Zinstief hilft Genossenschaften

Finanzexperte: Mietendeckel ist dank gesunkener Kreditraten leistbar

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Opposition der Genossenschaften gegen den geplanten Mietendeckel kann ich nicht nachvollziehen«, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Er bezweifelt, dass große Genossenschaften in finanzielle Schwierigkeiten kommen könnten, nachdem er sich einige öffentlich zugängliche Geschäftsberichte angeschaut und nachgerechnet hat.

»Die Genossenschaften profitieren eigentlich gerade von den Niedrigzinsen«, erklärt Trautvetter. »Im Vergleich der Geschäftsjahre 2017 und 2007 haben sich die Zinssätze halbiert, die Genossenschaften sparen jedes Jahr Millionen«, so der Finanzexperte, der erst kürzlich gemeinsam mit der LINKE-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Dossier über jene Wohnungskonzerne verfasst hat, die dem Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« zufolge sozialisiert werden sollen.

Die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG ist mit über 6800 Wohnungen eine der Großen in der Hauptstadt. Musste sie 2007 noch 4 Prozent Zinsen zahlen, lag der Satz zehn Jahre später bei gerade mal 1,8 Prozent. Auf Basis der 2017 laufenden Kreditlinien ergibt das eine rechnerische Ersparnis von 1,61 Euro pro Quadratmeter und Monat, erklärt Trautvetter. Er geht dabei von im Durchschnitt 65 Quadratmeter großen Wohnungen aus. Die »1892« erwirtschaftete dabei 2017 einen Jahresgewinn von 5,7 Millionen Euro - 2007 waren es noch 4,9 Millionen Euro.

Der Beamten-Wohnungs-Verein zu Köpenick eG (BWV) hat durch die von 4,4 auf 1,9 Prozent reduzierten Zinssätze im Zehn-Jahres-Vergleich 77 Cent weniger Kosten monatlich pro Quadratmeter Wohnfläche. Im gleichen Zeitraum stieg die durchschnittliche Quadratmetermiete für die über 5300 Wohnungen der Genossenschaft von 4,74 auf 5,36 Euro.

Die Berliner Baugenossenschaft eG (bbg) macht in der aktuellen Ausgabe ihres Mitgliedermagazins »bbg intern« gleich auf der Titelseite Front gegen rot-rot-grüne Mietregulierungspläne. Auf einem nachempfundenen Verkehrsschild ist ausgerechnet der nach links führende Abzweig zum Mietendeckel eine Sackgasse, im harmonischen Rechtsschwung führt die Hauptstraße zur »Genossenschaftlichen Selbstverantwortung«. »Politik sollte uns Genossenschaften einfach machen lassen, denn wir tragen den ›Mietendeckel‹ in unserer DNA«, schreiben die bbg-Vorstände Jörg Wollenberg und Jens Kahl dann auch im Editorial.

Für 3700 ihrer etwas über 7000 Wohnungen hatte die Genossenschaft Mieterhöhungen verschickt - nach Bekanntwerden des Eckpunktepapiers von Rot-Rot-Grün zum geplanten Mietendeckel von Anfang Juni, der ein Einfrieren der Mieten für fünf Jahre zum Stichtag 18. Juni vorsieht. Es sei festgestellt worden, dass im neuen Geschäftsjahr nicht auf eine Mieterhöhung verzichtet werden kann, heißt es in einem internen Schreiben, das »nd« vorliegt.

Und obwohl der Zinssatz für die Kredite der bbg von 2007 bis 2017 nur um rund ein Viertel sank, führte das auf Basis des aktuellen Schuldenstands im Vergleich zu einer Kostenersparnis von 33 Cent pro vermietetem Quadratmeter und Monat. Die Mieten stiegen derweil bei der Genossenschaft im Durchschnitt von 4,51 auf 6,31 Euro. Von knapp 770 000 Euro stieg der Jahresgewinn in der Frist auf 9,8 Millionen Euro.

»Das politische Agieren der Genossenschaften im Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) gegen den Mietendeckel entbehrt jeder sachlichen Grundlage und ist mir völlig unverständlich«, sagt Gaby Gottwald, Wohnungspolitikerin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Denn wie Herr Trautvetter anschaulich belegt, sind die Genossenschaften wirtschaftlich gut aufgestellt«, so Gottwald.

Die Funktionärinnen und Funktionäre des BBU seien »seit Längerem auf Krawall gegenüber dem rot-rot-grünen Senat gebürstet«, merkt Gottwald an. Es sei »geradezu absurd, wenn gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen wie Genossenschaften und kommunale Gesellschaften zusammen mit finanzmarktgesteuerten Renditejägern wie der Deutsche Wohnen und Vonovia in einem Verband« seien. »Dieser Antagonismus schreit nach Auflösung«, fordert sie.

Lesen sie auch: Falsches Mantra. Simon Poelchau meint, dass Bauen allein die Wohnungskrise nicht löst.

»Strategisch verfolgen die Genossenschaften und die rot-rot-grüne Koalition das gleiche Ziel. Die Mieten müssen bezahlbar bleiben, vielfach sinken«, ist Gaby Gottwald überzeugt. »Wir hätten die Genossenschaften daher gerne von der geplanten Marktregulierung ausgenommen, aber dies ist rechtlich nicht möglich«, stellt sie klar. Es sei auch verständlich, dass die Genossenschaften auf ihre Autonomie pochten und keine Intervention wollten. »Wir müssen nur umgekehrt auch Verständnis für die weit über eine Million Mieter in dieser Stadt erwarten, die nicht das Glück haben, in einer Genossenschaftswohnung zu leben. Sie haben ein Recht darauf, dass der Staat regulierend in den überhitzten Mietenmarkt eingreift, wenn er kann - und dies ist gegeben. Alles andere wäre fahrlässig«, sagt Gottwald. »Sollte ein Mietenstopp zu einer wirtschaftlichen Unterdeckung führen, wird es Ausnahmeregelungen geben«, versichert sie.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.