Nächstes Ziel: »La Junta«

In Puerto Rico führten Proteste zum Rücktritt des Gouverneurs

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als eine halbe Million Demonstranten die Hauptstadt San Juan haben mit einem spektakulären Generalstreik und Protestmärschen lahmgelegt und den Rücktritt des Gouverneurs von Puerto Rico erzwungen. Es handelte sich um eine der größten politischen Kundgebungen in der Geschichte der Karibikinsel mit 3,2 Millionen Einwohnern. Ricardo Rossellós letzte verbliebene Verbündeten legten daraufhin ihre Ämter nieder, darunter sein Bürochef. Auch die Multimillionärin und Besitzerin der größten Einkaufsmeile in der Karibik und eine seiner wichtigsten Unterstützerinnen, Zoraida Fontalleda, forderte ihn per Twittermeldung zum Rücktritt auf.

Schließlich meldete sich auch das eigentliche Machtgremium, die vom Washingtoner Kongress eingesetzte Zwangsverwaltung, mit einer Erklärung zu Wort, und legte Rosselló indirekt den Rücktritt nahe. Von »Bewunderung für die Tapferkeit des puerto-ricanischen Volkes« ist darin die Rede ebenso wie vom »Scheitern« der Regierung. An gewählten Politikern liege es jetzt, »dem Volk von Puerto Rico zu dienen, nicht Insidern, Sonderinteressen oder ihren eigenen politischen Karrieren«. Am Dienstag meldeten dann zwei Medien übereinstimmend Rosselló werde am Mittwoch in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt verkünden.

Aber die gewählten Politiker, darunter auch der Gouverneur, verfügen wegen des quasi-kolonialen Status der Insel nur über eingeschränkte Macht. Puerto Rico hat als sogenanntes Außengebiet der USA weniger Rechte als die vollwertigen US-Bundesstaaten. Seine Bewohner besitzen zwar die US-Staatsbürgerschaft, haben aber kein Stimmrecht für den Washingtoner Kongress oder bei Präsidentschaftswahlen und sind damit Bürger zweiter Klasse. Wirtschaftlich sind sie vollständig dem Diktat der Zwangsverwaltung unterworfen, die als »La Junta« bezeichnet wird. Sie war 2016 infolge der Schuldenkrise der Insel vom Washingtoner Kongress eingesetzt worden. Puerto Rico erklärte sich im Jahr 2017 aufgrund eines Schuldenbergs von 123 Milliarden Dollar für zahlungsunfähig.

»La Junta« bestimmt nach einem scharfen Austeritätsprogramm die Ausgabenhöhen und -bereiche. Mehr noch legt sie fest, welche Gelder nicht ausgegeben werden dürfen. Dies bedeutet beispielsweise Entlassungen, die Schließung von Schulen und Krankenhäusern, die Erhöhung von Studiengebühren und die Rentenzahlungen. Die Politik der »Junta« bezeichnete die »New York Times« deshalb zurecht als einen der Hauptgründe für die Proteste. Das Gremium »ist nicht gewählt, kommt aus Washington und gibt den Puerto-Ricanern das Gefühl der Machtlosigkeit. Für Viele ist es ein weiteres Beispiel dafür, dass sie kolonisiert werden, einst von Spanien und dann von den USA«.

So tauchten in den vergangenen Tagen bei den Protesten neben der Forderung nach dem Rücktritt von Rosselló auch solche nach der Abschaffung von »La Junta« auf, etwa »Rosselló verschwinde, und nimm die Junta gleich mit«.

Auslöser der Proteste gegen Rosselló war die Veröffentlichung von Hunderten Chatseiten am 13. Juli durch das puerto-ricanische Center for Investigative Journalism. Darin hatte Rosselló mit Vertrauten nicht nur sexistische, LGBT-feindliche und gewaltverherrlichende »Witze« gerissen, sondern sich auch über Opfer des verheerenden Hurrikans Maria und über Arme lustig gemacht. Außerdem legen die Chats nahe, dass die Regierung die öffentliche Meinung über soziale Medien manipulierte und die Polizei gegen Kritiker einsetzte. Die Stimmung in der Öffentlichkeit gärte aber schon sehr viel länger, weil die Regierung wenig unternahm, um die Folgen des Hurrikans zu dämpfen. Dass sich Politiker mit guten Verbindungen in die USA seit jeher bereichern, gehört in Puerto Rico zum Standardwissen.

Linke in San Juan, die aus Furcht vor Repression ihre Namen nicht veröffentlich sehen wollen, sagten gegenüber »nd«, der Rücktritt von Rosselló sei »so zu begrüßen, wie der Rücktritt jedes korrupten Dorfschulzen«. Der nächste Schritt bestehe darin, der Öffentlichkeit Wege aufzuzeigen, »wie La Junta effektiv bekämpft werden« kann. Daneben überlegen sich sozialdemokratisch orientierte Reformer, wie an die Anti-Rosselló-Bewegung angeknüpft werden kann, um zu den Wahlen im kommenden Jahr Alternativen zum herrschenden Zweiparteiensystem aufzuzeigen. Erstmal wird verfassungsgemäß Justizministerin Wanda Vázquez neue Regierungschefin werden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!