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Onkel Arno aus Weißensee
Arno Kiehl wohnt sein Leben lang in Berlin, aber Kraków ist seine zweite Heimat.
Am Donnerstag erhielt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in der polnischen Botschaft in Berlin einen Orden für seine Verdienste um die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Der Name Woidke ist polnischen Ursprungs und der Politiker wohnt in Forst nahe der Grenze. Als Ministerpräsident und als Polen-Beauftragter der Bundesregierung hat er sich konkret für bessere Verkehrsverbindungen und allgemein für die Völkerverständigung eingesetzt. Dabei war das deutsche Verhältnis zur herrschenden rechtskonservativen Regierung in Warschau kein einfaches. Woidkes Bemühungen um Verständigung schlossen mit ein, die als Zeichen der Stärke an Russland gedachte und von Polen gewünschte Verlegung von US-amerikanischen Truppen nach Osteuropa kritisch zu sehen. Woidke hielt das nicht für friedensstiftend.
Was Woidke beruflich unternimmt, das probiert schon seit Jahrzehnten privat Arno Kiehl aus Berlin-Weißensee. Der 85-Jährige pflegt eine Freundschaft zu Polen - und dabei meint er nicht den Staat, sondern die Menschen, insbesondere Maria Sikora und ihrer Tochter Kasia in Kraków. Er hat Maria 1974 kennengelernt, als er als Betreuer eines polnisches Ferienlagers mit Kindern aus dem Kabelwerk Oberspree nach Roków bei Wadowice reiste. Als »Onkel Arno« gehört er nun schon lange praktisch zur Familie Sikora, war selbstverständlich zur Hochzeit von Kasia eingeladen. Sein ganzes Leben lang wohnte Arno Kiehl in Berlin-Weißensee. »Aber Kraków ist meine zweite Heimat geworden«, schwärmt er über die Stadt und ihre schönen Cafés.
Freunde auch im Ausland zu haben, mag heute keine große Sache sein. Doch in der Zeit nach den Verbrechen Hitlerdeutschlands in Polen war eine solche Bekanntschaft nicht ganz einfach - und heute scheint das auch wieder schwierig zu sein. Darum möchte Arno Kiehl jetzt darüber sprechen - als Beispiel für viele andere Freundschaften zwischen Deutschen und Polen. Und selbstverständlich war seine Freundschaft zu der Krankenschwester Maria Sikora nicht. Denn deren Mutter war während des Zweiten Weltkriegs verhaftet und ins Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt worden. Sie überlebte und lief im Chaos nach der Befreiung zu Fuß nach Hause. Das hätte sie nie geschafft, wenn ihr nicht unterwegs anständige Deutsche geholfen, sie nach den Leiden im KZ gepflegt hätten. »Ich hatte und habe keine Vorurteile«, antwortet Maria Sikora auf die Frage, wie eine solche Freundschaft zu dem Deutschen Arno Kiehl überhaupt möglich ist. Die DDR bezeichnete die Grenze zur Volksrepublik Polen demonstrativ als Oder-Neiße-Friedensgrenze. Sie hob sich damit von der Bundesrepublik ab, die den Verlust der Ostgebiete jahrzehntelang nicht anerkennen wollte. Noch heute wird behauptet, die Freundschaft zu Polen sei in der DDR nur offiziell angeordnet und auf der menschlichen Ebene nicht möglich gewesen.
»Dagegen wehre ich mich vehement«, sagt Arno Kiehl. Er hat eine polnische Großmutter. Die Sprache hat er jedoch als Kind nicht gelernt. Er brachte sich Polnisch ab Mitte der 1970er Jahre autodidaktisch bei, bis er die Sprache so gut beherrschte, dass er in einem Museum in Szczecin verblüfft gefragt wurde, warum er als Pole den deutschen Audioguide ausleihen wolle.
Stundenlang könnte Arno Kiehl über seine Erlebnisse in Polen berichten. Er erzählt eine Anekdote nach der anderen, aber zwischendurch bekennt er: »Mir kommen die Tränen.« Er hat erst Maschinenschlosser gelernt, stieg dann beim Reichsbahnkabarett »Die Knallkapseln« ein, besuchte später die Rundfunkschule in Berlin-Grünau und fing als Journalist beim DDR-Fernsehen an - nicht wie gehofft in der Unterhaltungsredaktion, sondern bei der Nachrichtensendung »Aktuelle Kamera«. Nach einem Streit mit dem Kommentator Karl-Eduard von Schnitzler über die Nutzung eines Schneideraums kündigte Arno Kiehl und wechselte zurück ins ursprünglich erlernte Metier, wurde 1961 Lehrmeister im polytechnischen Zentrum des Kabelwerks Oberspree. Mit jungen Menschen zu arbeiten, das hat ihm in seinem Berufsleben die meiste Freude bereitet. »Das war die schönste Zeit in meinem Leben.« Nebenbei spielte er im Kabarett »Die Reizzwecken« im Haus der jungen Talente.
Arno Kiehl hat eigene Kinder, Enkel und Urenkel. Genauso stolz jedoch nennt er die deutschen und polnischen Mädchen und Jungen, die er in den Ferienlagern betreute, »meine Kinder«. »Das waren gute Jungs«, schwärmt er beispielsweise über die erste Gruppe, mit der er in Polen war. Auf dem Weg von einem erfrischenden Bad im Fluss kam diese Gruppe an einem Acker vorbei, auf dem sich ein altes Ehepaar mit der Ernte des Weizens abmühte. »Können wir den alten Leutchen nicht helfen?«, schlug ein Junge vor. Der Bauer war skeptisch. Doch am nächsten Tag waren die deutschen Jugendlichen wie versprochen dort und packten fleißig zu. »Freundschaft muss man mit dem Herzen und den Händen schließen, nicht mit Plakaten«, ist Arno Kiehl überzeugt. Die Sache habe sich im Dorf herumgesprochen. »Nach den schlimmen Erfahrungen mit den Faschisten während des Zweiten Weltkriegs war das ein ungemein wichtiges Erlebnis.« Aber Kiehl sammelte auch andere Erfahrungen. So baute sich am Rande eines Fußball-Freundschaftsspiels ein zwölfjähriger polnischer Junge vor ihm auf, zeigte den Hitlergruß und rief laut: »Heil Hitler, Herr Obersturmbannführer!« Den deutschen Satz kannte der Junge aus dem Fernsehen. Kiehl war erschüttert, reagierte aber geistesgegenwärtig und sagte dem Jungen auf Polnisch: »Sei still und setz dich hin.« Nach dem Fußballspiel machte er ihm klar: »Wir sind keine Hitlerowcy!«
Sehr weh tut dem 85-Jährigen, der sich als Freund der Polen bezeichnet, der heute wieder aufkommende Nationalismus nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen. In Kraków sah er vor Jahren an einen Verkaufsstand geschmiert einen Davidstern und dazu den polnischen Satz: »Wir wünschen uns den guten Adolf Hitler wieder.« Antisemiten gibt es leider auch unter den Polen. Kiehl wollte dem Verkäufer Geld für einen Topf Farbe geben, damit dieser die schändliche Krakelei überstreicht. Doch der Mann lehnte ab, hatte Angst, dass die Verursacher ihm dann den Stand abfackeln würden.
Arno Kiehl hofft, dass junge Menschen nicht für Kriegshelden schwärmen, sondern sich Vorbilder suchen, die für Frieden und Freundschaft unter den Völkern kämpfen und sich mit Wort und Tat dafür einsetzen. »Denn es sieht im Moment leider nicht gut aus in der Welt«, bedauert er.
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