Terror mit Konzept

Bombendrohungen, Mordversuch und Sprengstoffanschlag: Auch ohne erkennbare Netzwerke steckt hinter rechten Taten ein Plan.

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Moscheen in Villingen-Schwenningen, Duisburg und Mannheim mussten in der letzten Woche nach Bombendrohungen geräumt werden. Auch das Karl-Liebknecht-Haus, die Zentrale der LINKEN traf es am Dienstag. In einer mit »Combat 18« unterschriebenen Mail wurde mit einer Bombe gedroht. In all diesen Fällen kamen die Bedrohten mit dem Schrecken davon. Es gab keine Sprengsätze. Am Haus der LINKEN-Kommunalpolitikerin Ramona Gehring in Zittau gab es einen. Dort explodierte in der Nacht zum Mittwoch ein Sprengsatz und zerstörte mehrere Fensterscheiben. Nur durch Zufall wurden weder Gehring noch ihre im Haus befindliche Tochter und Enkelin verletzt. Dass es sich bei der Tat um einen rechten Anschlag handelt, liegt nahe.

Aus rassistischen Motiven schoss der 55-Jährige Roland K. am Montag im hessischen Wächtersbach auf einen jungen Mann, der aus Eritrea stammt. Das Opfer überlebte schwerverletzt. Seine Tat hatte Roland K. in seiner Stammkneipe angekündigt und im Anschluss damit geprahlt. Danach fuhr er mit dem Auto davon und tötete sich selbst. Nach dem Mordversuch in Wächtersbach wurde schnell vermutet, Roland K. könne in die extrem rechte Szene eingebunden sein. In seiner Wohnung gefundene NS-Devotionalien erhärteten diesen Verdacht. Am Tag nach der Tat dann die scheinbare Entwarnung. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt teilte mit, Roland K. sei bisher nicht polizeilich in Erscheinung getreten, Kontakte zu Neonazis seien nicht bekannt. Also ein rassistischer Einzeltäter. Nicht so einer wie Frank S., der im Oktober 2015 versucht hatte, die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker umzubringen, oder wie Stephan E., der dringend verdächtig ist, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen zu haben. Zwei Männer, die in der neonazistischen Szene verwurzelt sind. Kein Netzwerk also bei Roland K., wieso dann nicht zurück zur Tagesordnung?

Weil der rechte Terror dennoch Konzept hat. Seit den 1960er Jahren propagieren Neonazi-Gruppierungen, zuerst in den USA und später auch weltweit, das Konzept der »Leaderless Resistance« und der »Lone Wolf«-Attacken. Einer der wichtigsten Propagandisten war der amerikanische Neonazi William Luther Pierce. Seine Romane »Die Turner-Tagebücher« und »Jäger« beeinflussten nachweislich Timothy McVeigh, den Haupttäter des Anschlags auf ein Hochhaus mit mehreren US-Bundesbehörden in Oklahoma im Jahr 1995, bei dem 168 Menschen starben. »Die Turner-Tagebücher«, bei denen der Krieg einer antisemitischen und rassistischen Organisation gegen die US-Regierung seinen Höhepunkt in einem atomaren Selbstmordangriff auf das Pentagon findet, sind als Inspirationsquelle der extremen Rechten relativ bekannt. Weniger bekannt ist »Jäger«, der zweite Roman von Pierce, der sich wie eine Anleitung für den Mordversuch von Wächtersbach oder den Mord an Walter Lübcke liest. Das 1989 veröffentlichte Buch wurde 2009 ins Deutsche übersetzt und im, inzwischen geschlossenen, Neonazi-Forum »Thiazi« verbreitet. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe heißt es, die Übersetzung sei angefertigt worden, damit jeder die Möglichkeit habe, es zu »lesen und auch zu verstehen«, der Leser solle »aufwachen« und sich »umschauen«. Ein klarer Appell, nach den Inhalten des Romans zu handeln. Und die haben es in sich.

Der Protagonist ist Oscar, ein Vietnam-Veteran, der Paare umbringt, die aus Schwarzen und Weißen bestehen. William Luther Pierce erklärt die Taten der Figur im Roman so: »Oscar war nicht nur ein Mann der knappen Worte, er war ein Mann der Tat. Seine Lust war es, etwas für die Lösung eines Problems zu tun, nicht, darüber zu reden. Was er tat, als er sich schließlich zum Handeln entschlossen hatte, war anzufangen, rassisch gemischte Paare auf den Parkplätzen großer Einkaufszentren zu erschießen.« Auch warum Oscar die Paare erschießt, wird erklärt: Jeder könne die Bedeutung und Beweggründe der Taten erkennen und nachahmen, »viele konnten ein rasseschändendes Paar auf der Straße niederschießen«. Im weiteren Verlauf des Buches arbeitet Oscar mit einem FBI-Mann zusammen und wird Anführer einer Nazigruppe. Die Morde begeht er nebenbei und inkognito weiter. Im deutschen Nachwort zum Buch heißt es: »Er erkannte die Not seines Volkes und das war ihm Grund genug dagegen ins Feld zu schreiten.« Der Leser soll durch Pierces Bücher zum Handeln aufgefordert werden.

Ob der Täter von Wächtersbach »Jäger« oder die »Turner-Tagebücher« kannte, ist nicht bekannt. Beim mutmaßlichen Attentäter Walter Lübckes, Stephan E., muss davon ausgegangen werden. Sie wurden breit in der Naziszene rezipiert. Auch heute sind in Chatgruppen und Sozialen Netzwerken immer wieder Aufrufe zu lesen, man müsse jetzt losschlagen. Wer dafür eine Handlungsanweisung benötigt, findet Bücher wie die von Pierce und Anleitungen zum Bombenbau in wenigen Minuten im Netz. Mordversuche, Anschläge und Bombendrohungen, das alles ist so leicht wie noch nie durchzuführen. Netzwerke und große Organisationen werden dafür nicht benötigt. Der Rassist, der in der Kneipe über Geflüchtete hetzt, kann schnell zum Mörder werden, wenn niemand ihn aufhält. Andere einschüchtern, das »System« ins Wanken bringen: Dafür gehen Nazis über Leichen.

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