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Zu Hause ist da, wo es wehtut
Die Punks vom Flugplatz: Die Band Klostein schlägt sich mit Nazis und Behörden herum und organisiert Konzerte für Zwickau und gegen die Starre der Provinz.
Ein Anruf, spät in der Nacht. Es gibt Probleme. Mal wieder. Eben saß die Punkerclique noch gemütlich beieinander, jetzt rennt sie nach draußen. Einer aus der Gruppe steckt in der Klemme und braucht Hilfe. Auf der Straße treffen sie auf etwa zwanzig Personen. Es ist dunkel. Glatzen, Springerstiefel, Gepöbel, die ersten Fäuste fliegen. Passanten bleiben stehen und beobachten die Szene. Einige fangen an zu klatschen und zu johlen. Sie feuern: Endlich bekommen die Punks auf die Schnauze. Dass es Nazis sind, die zuschlagen, stört sie nicht. Eine nächtliche Keilerei zwischen zwei Jugendbanden. Nichts besonders Erwähnenswertes in Zwickau.
Wenn Tony Müller anfängt zu erzählen, ist er nicht zu stoppen. Geschichten kennt er einige: Von Nazis, die einst Kumpels waren, und Freunden, die weggezogen sind und sich nicht mehr interessierten für die sächsische Kleinstadt. Der Punker mit den grünen Haaren ist dageblieben. In »Zwigge«. Wo sich in der malerischen Innenstadt Cafés aneinanderreihen und das Rathaus seine neogotische Fassade präsentiert. Beleuchtet von den Strahlen der Abendsonne, die durch die Blätter der alten Bäume am Hauptmarkt fallen. Es könnte so friedlich sein. Wären da nicht die Geschichten, die Müller hineinspuckt in die Idylle.
Es sind die Erzählungen einer gefährlichen Jugend. Seit er 14 Jahre alt ist, macht er Punkmusik, singt und spielt Gitarre. Seitdem gibt es Probleme mit Nazis. Es ist auch die Geschichte einer Stadt, die ihre winzige alternative Szene nicht unterstützt. Die sich wegduckt und nicht gesehen hat, wie die Rechten die Punks wieder durch die Stadt jagen. Einmal geht Müller zur Polizei. Er war mit seiner Freundin auf dem Nachhauseweg. Auf einmal hört er seinen Namen.
Seine Telefonnummer war nur der Polizeidienststelle bekannt
»Tony Müller!« Er dreht sich um. Woher kennen die meinen Namen, fragt er sich noch. Dann sieht er eine massige Gestalt auf sich zu rennen, »mindestens doppelt so groß wie ich«. Auch seine Freundin und er fangen an zu rennen. Das ist das einzig Vernünftige. Man weiß nie, wie verrückt, wie gefährlich die Nazis sind. Unberechenbar. Das Paar schafft es, den Verfolger abzuhängen und sich in die gemeinsame Wohnung zu retten. Einige Tage später entdecken sie die ersten Nazisticker an der Wohnungstür.
Sie erkennen den Angreifer später wieder. Ein bekannter Neonazi. Sie erstatten Anzeige bei der Polizei. Dieses eine Mal. Kurz danach kommen die Drohanrufe. Aufs Handy. Auf eine Nummer, die eigentlich nur der Polizeidienststelle bekannt war. Wie schützt man sich vor der permanenten Gewalt, wenn Polizei und Stadtgesellschaft nicht willens sind hinzuschauen? Müller lacht. »Gut laufen können«, sagt er. Mehr geht nicht. Und oft umziehen. Immer wieder bekommen Nazis seine Wohnadresse oder die seiner Freunde heraus. Sie plakatierten die Türen mit Nazipropaganda, filmen vor der Haustür, fangen die Punks ab. Psychoterror. Die Nazis sind gefährlicher geworden, gehen systematischer und bedrohlicher vor, so der Eindruck von Müller. Früher, erzählt er, waren sie direkter. Da hat man sie noch erkannt mit ihren Springerstiefeln. Da gab es in der Innenstadt regelmäßig »auf die Mütze«. Wann immer Müller auf die Stadtfeste geht, gibt es auf die Schnauze. Auch die Kneipen werden weniger, sie sterben weg. In denen, die bleiben, sitzen Nazis und Punks oft nebeneinander. Es gibt keine sicheren Orte. Einmal, bei einer Schlägerei, meint Müller den späteren Terroristen Uwe Mundlos erkannt zu haben.
In die Kneipen und zu den Festen geht er trotzdem. Es gibt ja sonst nichts. Vorerst. Dann fangen Müller und seine Freunde an, eigene Konzerte zu organisieren. Sie drucken Handzettel bei Kaufland, verteilen sie in der Stadt. Fahren auf die umliegenden Dörfer. Eine kleine Szene entsteht. Vieles ist fluide in diesen Jugendkulturen: Skinheads, die früher bei den Punkfesten dabei waren, marschieren heute mit den Nazis auf. Und umgekehrt. Müller tourt mit seiner Band. Alle Namensvorschläge hatten etwas mit Pisse zu tun. Am Ende einigen sie sich auf »Klostein«. Punkrock eben. Sie proben im Keller der Eltern, auch 14 Jahre später noch.
In der Schule war es ganz in Ordnung, damals gab es da noch kaum Nazis. Das soll sich später ändern: Das Viertel, in dem sie steht, ist inzwischen bekannt als rechter Kiez. Als Müller mit der Schule fertig ist, folgt die Ausbildung in Leipzig. Die Stadt ist größer, kulturell aufgeladener, antifaschistischer. Am Anfang pendelt er zwischen den Städten. Doch Müller wird es schnell langweilig. »Die Studenten sitzen da alle nur in ihren Szenestadtteilen und ziehen einen Joint nach dem anderen durch«, erzählt er. In Leipzig gibt es jedes Wochenende eine Unmenge Konzerte. Und alle sind gelangweilt. Von Zwickau aus muss er jedes Wochenende auf ein anderes Dorf fahren, um Bands zu sehen. Außerdem fehlen ihm »dann doch die ganzen Hackfressen am Bahnhof«. Es geht zurück nach Zwickau. Dort etwas aufbauen, eine alternative Kultur etablieren.
Einfacher wird es nicht. Viele der alten Freunde ziehen weg. Die Nazis sind immer noch da. Sie sprechen ihn an der Kasse des Supermarktes an: »Tony, wir warten draußen auf dich.« Die Angst schießt in den Körper. Der Supermarkt hat nur einen Ausgang. Keine Möglichkeit zur Flucht. Draußen warten sie, umringen die Punks. Der eine hat eine Pfeffersprayflasche dabei, »so groß wie ein Feuerlöscher«. Die Nazis drohen und höhnen, genießen ihre Macht. Zum Glück greift der Filialleiter des Supermarktes ein, verkündet, er habe bereits die Polizei gerufen. Die Meute verstreut sich. Müller und sein Freund laufen weiter durch die Innenstadt. Schon ein paar Meter weiter, beim Schnitzelparadies, stehen sie wieder, die Faschos. Grüßen ihn mit dem Hitlergruß. Johlen ihm hinterher.
Für Punk braucht es Instrumente und etwas Wut im Bauch
Müller wird Siebdrucker. Und bleibt Punkrocker. Er und seine Freunde lassen viel über sich ergehen. Sie halten es aus und die Füße still. »Punk ist die einzige Möglichkeit, etwas selber zu machen«, sagt Müller. Für die Musik braucht es nicht viel, vor allem keine lange musikalische Ausbildung. Ein paar Instrumente und ein wenig Wut im Bauch reichen. Die wenigen Alternativen in der Stadt tun sich zusammen. Sie fangen an, ein Festival zu organisieren, das »Störfaktor«. Auf einem Flugplatz am Rande der Stadt. Am Anfang hilft Müllers Vater noch beim Aufbau. Dann kommt er immer seltener. Seine Eltern sind keine Fans der AfD. Aber auch sie sagen Dinge, die ihnen einige Jahre vorher noch nicht über die Lippen gekommen wären, über Ausländer und Flüchtlinge.
Eigentlich findet Tony es schlimm, auf der Bühne zu stehen. Der 27-Jährige mag es nicht, sich in den Mittelpunkt zu drängen. Aber man darf sich nicht kleinmachen. Man mache sich meistens ja eh schon viel zu klein. Und die Leute müssen eben sehen, »dass wir zusammenstehen können«.
Das gilt auch und gerade kurz vor den Landtagswahlen: In Sachsen, Brandenburg und Thüringen werden im Herbst die Parlamente neu besetzt - und die Aussichten sind düster. Der Rechtsruck scheint unaufhaltsam, die AfD könnte in Müllers Heimat die stärkste Partei werden, und angesichts einer wankelmütigen CDU ist auch eine Regierungsbeteiligung in Sachsen denkbar. Doch dagegen gibt es allerorts Widerstand. Müller engagiert sich in der Initiative WannWennNichtJetzt. Diese organisiert vor den Landtagswahlen Konzerte in mehreren Städten in Sachsen, um die Zivilgesellschaft zu stärken und der AfD Kontra zu geben. In Zwickau startete die Tour, unter anderem mit einem Konzert von Klostein. »Das war der vielleicht satteste Sound, den wir je hatten«, erzählt Müller nach dem Auftritt. Die Bühne, auf der er gespielt hat, war groß, fast so groß wie das gegenüberliegende Rathaus. Vielleicht ein wenig zu groß für die nur etwa 100 Menschen, die dem Auftritt lauschen. Klostein störte das nicht, die drei Punker legten sich ordentlich ins Zeug an diesem Abend. Denn so viel wie heute ist selten los in der mondänen Innenstadt von Zwickau. Müller freut sich, dass Menschen aus anderen Städten gekommen sind, um hier Protest gegen die rechten Umtriebe zu demonstrieren. Aber er ist auch skeptisch. Zu viele Leute, die abgehauen sind, von denen er nie wieder gehört hat. Bevor er die Konzerttour politisch einordnen will, wartet er ab: Ob die Leute auch in ein paar Monaten noch da sind, ihnen und der kleinen Subkultur in Zwickau beim Gedeihen helfen. Für ihn ist schließlich sicher: Er bleibt. Wenn er das erzählt, wird die Hand zur Faust. Geballt war diese in den letzten Jahren sicher allzu oft. Es muss Kraft kosten, sich so quer zu den Verhältnissen zu stellen.
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