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Immer mehr Kinder besuchen Privatschulen

Die Rahmenbedingen an nicht-öffentlichen sind nicht per se besser, als an staatlichen Schulen

  • Yuriko Wahl-Immel
  • Lesedauer: 4 Min.

Dortmund. Die einen freuen sich über mehr Vielfalt und ein breiteres Angebot für den Nachwuchs, die anderen sind skeptisch und in Sorge um die Chancengleichheit. Vertieft sich mit der wachsenden Bedeutung von Privatschulen die soziale Spaltung im Land und driftet das Bildungswesen in Richtung Zwei-Klassen-System? Knapp eine Million Schüler - das ist jeder elfte Schüler - lernen inzwischen laut Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) an einer Einrichtung in privater Trägerschaft. Man müsse angesichts dieser Zahlen nicht »überdramatisieren«, sagt Bildungsforscherin Nele McElvany von der Uni Dortmund. Aber den wachsenden Zulauf doch kritisch im Auge behalten. »Die Frage ist: Bis zu welchem Grad wollen wir das - mitsamt der starken sozialen Selektivität«.

Binnen 25 Jahren hat sich die Zahl der Schulen in privater Trägerschaft von rund 3200 auf knapp 5850 nahezu verdoppelt. Sie haben nach jüngsten Zahlen einen Anteil von 14 Prozent gemessen an allen Schulen. Das Wachstum kommt stark aus Ostdeutschland, wo es vor der Wende praktisch keine Privatschulen gab, erläutert McElvany. In fast allen Bundesländern sind die Privatschülerzahlen zuletzt im Schuljahr 2018/19 konstant oder steigend, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zeigt.

»Wir sehen ein kontinuierliches Wachstum und eine steigende Beliebtheit«, schildert VDP-Sprecherin Beate Bahr. Privatpersonen, Stiftungen oder kirchliche Organisationen - alle können eine Privatschule gründen. Unter mehreren Bedingungen: Sie müssen dem VDP zufolge gemeinnützig und für jeden zugänglich sein, Kriterien und Auflagen erfüllen und staatlich genehmigt werden.

Wer lernt an Privatschulen? In hohem Maße eine »sozial privilegierte Schülerschaft«, berichtet McElvany. Die Privaten seien bereichernd. Allerdings: »Was nicht Idee und Ziel sein darf: Wer es sich leisten kann, wandert ab zu den Privatschulen.« VDP-Sprecherin Bahr betont dazu, das Schulgeld werde gestaffelt nach Elterneinkommen erhoben. Die Schülerschaft sei heterogen. »Privatschüler sind keine selektive, elitäre Gruppe.« Tendenziell nutzten »Familien mit Bildungsinteresse« das Angebot stärker.

Privatschulen sollten nicht für soziale Spaltung verantwortlich gemacht werden, findet Bahr. Bedenken in diese Richtung gibt es schon länger, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wird deutlich: Die Existenz privater Schulen wirke »sozial selektiv«, kritisiert NRW-Landeschefin Maike Finnern.

Für zusätzliche Aufregung sorgt Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, der sich zu mangelnder Sprachkompetenz vor der Einschulung geäußert und angeregt hatte, eine Einschulung notfalls zurückzustellen. Dabei sagte er der »Rheinischen Post« auch: »Bis tief hinein in die Mittelschicht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil das Niveau an staatlichen Schulen sinkt.«

Lesen Sie hier den Kommentar: Die Kinder sind nicht schuld.

Was also sind die Beweggründe der Eltern? Für viele gebe das pädagogische Konzept den Ausschlag, erläutert der Bundeselternrat (BER). Einige Privatschulen seien offenbar finanziell besser ausgestattet. Womöglich zeigten Lehrer an Privatschulen - wo sie tendenziell mehr Gestaltungsfreiraum haben - manchmal ein ganz besonderes Engagement, glaubt der BER-Vorsitzende Stephan Wassmuth. Und: Manche öffentliche Schulen machten aus finanziellen Gründen dicht und private Anbieter füllten diese Lücke.

Vielfalt sei begrüßenswert, meint der Elternrat: »Aber wir dürfen den Privatschulen nicht das Feld überlassen.« Zentral über allem stehe das Ziel: »Wir brauchen ein durchweg hohes qualitatives Niveau für unsere Kinder.« Dafür müsse deutlich mehr in Bildung investiert werden. Ausreißer beim Schulgeld seien nicht akzeptabel, betont Wassmuth: Es gebe Privatschulen, die 50 Euro pro Monat verlangten, aber manchmal eben auch extrem hohe Summen. »Das könnte die Chancengleichheit unterbinden, was fatal wäre«, findet er. Und: »Ein Zwei-Klassen-System wollen wir doch wohl alle nicht.«

Expertin McElvany sagt: »Es gibt Schulen, da geht es um Elite.« Häufiger seien aber eine alternative Pädagogik oder ein christlich-sozialer Hintergrund wesentliche Merkmale. Besondere Ausrichtungen etwa im sportlichen oder kreativen Bereich könnten attraktiv wirken. Einige wollten das eigene Kind nicht an Brennpunktschulen schicken. »Manchmal haben Eltern auch tatsächlich keine Wahl.« Wenn auf dem Land auch die letzte öffentliche Grundschule schließe, sei die private Schule alternativlos.

Sind Rahmenbedingungen und Leistungen bei den Privaten so viel besser, wie es oft heißt? Bei Klassengröße und Unterrichtsstunden haben sie im Schnitt nur leicht die Nase vorn, erklärt McElvany. Das gelte auch für die Leistungen. »Und das liegt an der sozial privilegierten Schülerschaft und kann nicht als Erfolg des Konzeptes bewertet werden.« Auch mit Blick auf Linnemanns Äußerung meint sie: »Eine Flucht aus dem öffentlichen Bildungssystem ist nicht der zentrale Faktor, der die Privatschulbewegung treibt.« dpa

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