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Kampf um die ostdeutsche Geschichte
Bewegt euch! über die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen.
Wenige Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen läuft der Kampf um den Osten auf Hochtouren. Die Auseinandersetzung um die politische Vormachtstellung in den neuen Ländern wird dabei immer stärker auch als Kampf um die kollektive Erinnerung der Ostdeutschen, also um eine spezifische Geschichtsdeutung zur Mobilisierung und Aktivierung, geführt. Die miteinander konkurrierenden Erzählungen kristallisieren sich mittlerweile deutlich heraus: Grüne, SPD, FDP und CDU geben sich zwar nun aus Angst um ein Wahldebakel mit rhetorischen Zugeständnissen vorsichtig als Ostdeutschen-Versteher, ihre westdeutsch geprägte und tendenziell paternalistische Botschaft - relativer Wendeerfolg, die Ablehnung einer fundamentalen Kritik der Treuhandanstalt, die mangelnde Bereitschaft, die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen der 1990er Jahre zu thematisieren - verfängt jedoch kaum. Der große Streit verläuft zwischen einer reaktionären und einer emanzipatorischen Interpretation der widersprüchlichen ostdeutschen Erfahrungen.
Rechtsaußen liefert hier eine vermeintlich kohärente Erzählung. Der kluge Umgang der ostdeutschen außerparlamentarischen wie parlamentarischen Linken mit den Widersprüchen ist weitaus herausfordernder. Groß ist die Gefahr der unzulässigen Vereinfachung, doch genauso so groß die Gefahr, dass emanzipatorische Erfahrungen untergehen. Wir sollten dabei gerade jetzt diese positiven Momente ostdeutscher Geschichte ausgraben, an sie erinnern, von ihnen lernen. Kurzfristig, um den Stimmenanteil der Reaktionäre bei den Landtagswahlen zu schmälern; langfristig, um Perspektiven im Osten für emanzipatorische Mehrheiten zu schaffen.
AfD und die »Wende 2.0«
Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass sie sich als neue »Kümmererpartei« und alleiniger Interessenvertreter des Ostens etablieren will. Die Ironie: Führende Funktionäre im Osten wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz kommen ursprünglich aus dem Westen. Ihr Wahlkampf in den neuen Ländern läuft nichtsdestotrotz unter dem Motto »Wende 2.0«. Die Rechtsaußenpartei beansprucht damit einerseits das Erbe der Revolution von 1989, andrerseits versucht sie die nahtlose Weiterführung eines autoritären und bevormundenden Systems von der DDR zu einem aktuellen »Allparteienkartell« samt »Lügenpresse« zu suggerieren.
Das Geschichtsnarrativ der AfD baut auf einem umfassenden ostdeutschen Opfermythos auf. Es verstrickt verzerrte historische Erfahrungen zu einer generalisierenden Systemkritik gegen ein diffuses Oben: Die Ostdeutschen werden von der AfD so zu einer stets betrogenen, unverstandenen und verleumdeten Gemeinschaft verklärt. Ein »authentisches Volk«, das von den Alliierten mit Bomben beworfen, von den »SED-Bonzen« betrogen, von den westdeutschen Treuhandmanagern abgezockt wurde. Und das heute von der »Merkel-Diktatur« und ihrer Flüchtlingspolitik um seine vermeintliche Kultur, Lebensweise und zustehende Ressourcen gebracht wird. Diesen anhaltenden »Verrat« kann in dieser Logik nur ein Aufbegehren, eine bewusst vage gehaltene »nationale« Wende, die Weiterführung der Revolution, stoppen. »Wir sind das Volk«, von 1989 über die Pegidademonstrationen 2015 bis zu den rassistischen Ausschreitungen im Sommer 2018 in Chemnitz. Diese Geschichtsdeutung stärkt eine Wagenburgmentalität. Sie ist völkisch aufgeladen, ausschließend, autoritär und gefährlich. Und trifft bei vielen Ostdeutschen einen Nerv.
Feminismus, Ökologie und Antifa
Die ostdeutsche Linke steht vor der Herausforderung, dieser Erzählung eine eigene Erinnerung gegenüberzustellen – ohne dabei den teilweise gravierenden Rassismus zu verschweigen. Man muss sich die emanzipatorische Geschichte nicht ausdenken. Die realen Erfahrungen sind vorhanden, jedoch häufig verschüttet, überlagert oder verdrängt. Nicht nur, aber auch durch eine dominante Geschichtsdeutung der BRD. Erlebnisse, an die es sich zu erinnern lohnt, gibt es einige.
Viele Ostdeutsche verknüpfen die DDR-Zeit bis heute mit Solidargemeinschaften, sozialen und reproduktiven Sicherheiten und einer fundierten Kapitalismusskepsis. Ostalgische Referenzen an diese Aspekte sollten jedoch keine Solidarität mit dem unterdrückenden Staat bedeuten. Die linke DDR-Opposition steht für eine weitaus emanzipatorischere Politik, auf die man sich beziehen kann. Weite Teile der ostdeutschen Gesellschaft waren 1989 von einer gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung geprägt. Es gab zahlreiche soziale Bewegungen, darunter unabhängige feministische, ökologische, friedenspolitische und antifaschistische Initiativen. Ideen eines demokratischen Sozialismus wurden bis zur Wirtschafts- und Währungsunion breit diskutiert, der Gedanke von Betrieben in Selbstverwaltung war alles andere als absurd.
Für eine emanzipatorische ostdeutsche Geschichte
Als die blühenden Landschaften nach der Wende ausblieben und ganze Industriezweige über Nacht verschwanden, bildete sich im Osten eine neue Welle des progressiven Widerstandes heraus. Zahlreiche Belegschaften begehrten gegen den Ausverkauf der eigenen Betriebe durch die desaströse Treuhandanstalt auf, allen voran die Kali-Kumpel von Bischofferode. Mit Hungerstreiks, Werksbesetzungen und Demonstrationen setzten sich die Beschäftigten verzweifelt und mutig gegen eine Politik zur Wehr, die für sie keine Verwendung mehr hatte. Ein Jahrzehnt später revoltierten dann die nun vielfach mit Erwerbslosigkeit konfrontierten Ostdeutschen massenhaft gegen die Einführung von Hartz-IV. Hunderttausende gingen 2004 in Sozialprotesten gegen die weitere Prekarisierung der eigenen Lebensverhältnisse auf die Straße – nicht immer widerspruchsfrei und auch vielfach ohne Unterstützung. Die Massenproteste gegen die Treuhandpolitik wie auch gegen die Hartz-IV-Reform sackten letztlich in sich zusammen, die Bundesregierung saß beide einfach aus. Die Niederlagen schmerzen bis heute. Das Erinnern unsererseits bleibt umso wichtiger.
All diese Erfahrungen kann man zusammenführen. Eine emanzipatorische ostdeutsche Geschichte, in der man trotz aller Herausforderungen ein selbstermächtigender Akteur war. In der Kämpfe um ein besseres Leben geführt wurden, die zumindest nicht per se ausschließend waren. In der auch die Perspektiven migrantischer Vertragsarbeiter einen Platz haben.
Linke können heute daran anknüpfen. Sie sollten bei ihren Interventionen bedenken, dass Antirassismus, Klimagerechtigkeit und Feminismus untrennbar mit der sozialen Frage verknüpft sind. Auch die speziellen Bedürfnisse des vernachlässigten ländlichen Raums gehören berücksichtigt. Beides ist für die Akzeptanz linker Positionen im Osten essenziell. Und beide Aspekte haben beispielsweise »Unteilbar« wie auch die Markt- und Konzerttour »Wannwennnichtjetzt« in ihren jüngsten Projekten verstanden und umgesetzt. Letztlich braucht es in den neuen Ländern wieder Zuversicht, Erfolge bei gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Erfahrungen gelebter Solidarität. Damit gewinnen Ostdeutsche hoffentlich den notwendigen Mut für einen fortschrittlichen Wandel. Sie haben in der Geschichte gezeigt, dass sie auch anders können, als nur nach unten zu treten.
Dieser Artikel ist der Auftakt der»nd«-Debattenserie »Bewegt euch!«. Die kommenden Landtagswahlen könnten eine Zäsur für Ostdeutschland darstellen. Der Druck auf linke Projekte wächst hier bereits jetzt. Aufgeben? Mitnichten. Doch wie können sich Linke im Osten gegen den Rechtsruck wehren - und vielleicht sogar wieder in die Offensive kommen? Was braucht es für einen emanzipatorischen Wandel und einen neuen Aufbruch? Diese Fragen wollen wir auf unserem Debattenblog diskutieren. Du willst mitschreiben? Schreib uns eine Mail: f.hillebrand (@) nd-online.de; s.baehr (@) nd-online.de
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