Wegschauen ist keine Option

Am Samstag machte die Kampagne #wannwennichtjetzt im sächsischen Plauen halt. Eine Reportage

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 4 Min.

Hier wegziehen? Chris schaut kurz aus dem Autofenster. »Dann haben die Nazis doch gewonnen.« Der 34-Jährige ist Antifaschist, lebt seit er denken kann in Plauen und heißt eigentlich anders. Zusammen mit Freund*innen engagiert er sich bei der Kampagne #wannwennichtjetzt.

Unter diesem Namen organisieren linke Gruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg eine Marktplatztour in ostdeutschen Städten. Die Organisator*innen kommen sowohl aus den Kleinstädten als auch aus Leipzig, Dresden und Berlin. Das Ziel der Tour: linken Kräften eine Stimme geben. Für einen Tag die rechte Hegemonie durchbrechen. Menschen abseits der großen Städte zeigen, dass sie nicht alleine sind.

Plauen ist der siebte Stopp der Marktplatztour. Spätestens seit dem 1. Mai 2019 gilt die Stadt in Südwestsachsen als Symbol für rechte Hetze. Die Nazipartei »Der Dritte Weg« marschierte am Tag der Arbeit in NSDAP-Manier auf: Trommeln, Uniformen, Rauchbomben. Die Bilder gingen um die Welt. Das kleine Plauen war plötzlich bekannt. Selbst die New York Times berichtete.

Eine vielbefahrene Straße führt von der sanierten Innenstadt in den Norden der 60.000-Einwohnerstadt. Spielotheken, viel Leerstand, verrammelte Fenster. Haselbrunn heißt der Stadtteil. »Haselbraun«, sagen Antifaschist*innen. Denn hier wohnen viele Rechte. »Der Dritte Weg« hat hier seine Bundeszentrale und kürzlich ein weiteres Haus eröffnet. Die grüne Fahne der Partei hängt am Eingang. Auf einer gegenüberliegenden Wiese, wo noch am 1. Mai noch nationalsozialistische Volkstänze aufgeführt wurden, herrscht an diesem Samstag gähnende Leere. »Lass uns in der Nähe des Autos bleiben«, sagt Chris, »damit wir im Notfall schnell abhauen können«.

Auch in Haselbrunn wollten Antifaschist*innen Poster für die Marktplatzveranstaltung verteilen. Aus Angst hätten viele Geschäfte und Restaurants die Plakate aber nicht in ihre Schaufenster hängen wollen – obwohl sie eigentlich gegen die Nazis sind.

»Der Dritte Weg« ist präsent in Plauen, läuft sogar Streife. In den Wintermonaten organisiert die neonazistische Kleinstpartei Kleiderspenden für bedürftige, weiße Deutsche, gibt Nachhilfe für Kinder. Gerne inszenieren sich die Nazis als Kümmerer und versuchen, mit einer antikapitalistischen Rhetorik zu punkten. Auch an diesem Samstag haben sie sich etwas ausgedacht: In sozialen Medien werben sie damit, Schultüten an deutsche Kinder zu verteilen. Für Chris ist die Aktion eine Antwort auf die Marktplatztour von #wannwennnichtjetzt.

Neben dem »Dritten Weg« ist in Plauen auch die AfD stark. Außerdem hängen in der ganzen Stadt NPD-Plakate. Viele Lokalpolitiker*innen ignorierten dennoch die Problematik, kritisiert Chris. Allzu oft werde lieber weggeschaut.

Nicht wegschauen will #wannwennnichtjetzt. Am Samstagvormittag füllt sich langsam der mondäne, kopfsteingepflasterte Platz vor dem Alten Rathaus. An einem Stand lassen sich Kinder die Gesichter bemalen. Jugendliche lümmeln auf Couches herum, während Menschen mit T-Shirts von Punkbands auf Bierbänken sitzen und den Vorträgen und Konzerten lauschen. Etwas ab vom Trubel findet ein Graffiti-Workshop statt. Vor dem alten Rathaus spielt eine Gruppe junger Männer Basketball. Einer von ihnen ist Filmon Weldemikael. Der 18-Jährige floh aus Eritrea – erst in den Sudan, dann nach Libyen und Italien. Vor drei Jahren kam er nach Plauen, wo er derzeit eine Ausbildung macht. Die Stadt gefalle ihm gut, Probleme mit Rechten habe er bisher nicht gehabt. Und die meisten Menschen seien freundlich. Er will gerne in Plauen bleiben.

Die Stadt unweit der tschechischen Grenze hat eine kleine, aber aktive linke Szene. Es gibt ein Hausprojekt, ein Kulturzentrum und mehrere Vereine und Initiativen, die sich gegen Nazis engagieren. Dennoch: Wer anders ist, kann schnell Probleme kriegen. Auch Chris wurde schon öfter angepöbelt, musste vor Nazis flüchten. Einige der Rechten kennt er noch aus der Schule. Die Stadt ist klein.

Am Nachmittag füllt sich der Altmarkt weiter. Einige Passant*innen bleiben neugierig stehen, andere gehen kopfschüttelnd weiter. Die Meinungen über das Treiben sind geteilt. Ein Koch aus einem nahelegenden Restaurant kann nicht viel mit den politischen Zielen anfangen. Außerdem sei die laute Musik »geschäftsschädigend«. Eine Plaunerin, die etwas am Rande steht, findet die Veranstaltung »eine gute Sache« und wünsche sich öfter solche Events in ihrer Heimatstadt.

Als am Abend die Berliner Elektro-Punk-Band Egotronic die Bühne betritt, wird es noch einmal voll vor der Bühne. Es wird getanzt, Pyros gezündet. Jubel kommt auf als die Band das Lied »Hundesohn« spielt, das Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gewidmet ist. Mit Einbruch der Dunkelheit endet die Veranstaltung. Normalität kehrt wieder ein in Plauen.

Franziska Koop aus dem Orga-Team von #wannwennnichtjetzt ist zufrieden mit dem Tag. Das Feedback sei »sehr positiv« gewesen. Viele Plauner*innen wären spontan vorbeigekommen. Während der Planungen in den vergangenen Wochen seien »krasse Freundschaften« entstanden - und ein Ort des Austausches geschaffen worden. »Unsere Arbeit hier wird nicht einschlafen«, meint Koop. »Nach den Landtagswahlen machen wir weiter – dann erst Recht.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.