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»Berlin ist sehr, sehr gut aufgestellt«

Über 20 Gegenkundgebungen zu möglichem rechtsextremen Heß-Marsch am 17. August angemeldet

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Hoffentlich wird es nicht zur Tradition: Die vergangenen beiden Jahre marschierten im August Rechtsextreme in Berlin auf, um dem Kriegsverbrecher Rudolf Heß zu gedenken. Dieses Jahr gibt es noch keine Anmeldung.

Die Zivilgesellschaft bereitet sich trotzdem schon einmal vor. Nach den Ereignissen des letzten Jahres wurde die Strategie geändert. Damals wichen die Rechtsextremen spontan von Spandau nach Friedrichshain und Lichtenberg aus, führten dort ihren Marsch durch und wurden kaum von Protest begleitet oder gar behindert. Das soll dieses Mal anders sein: Über 20 Kundgebungen wurden für kommenden Samstag im ganzen Stadtgebiet angemeldet - in beinahe jedem Bezirk. »Berlin ist sehr, sehr gut aufgestellt«, sagt Ulf Balmer von »Berlin gegen Nazis«, einem Projekt, das sich als Mobilisierungsplattform gegen rechtsextreme Aufmärsche versteht, dem »nd«.

Viele Personen und Initiativen hätten sich lokal vernetzt und Kundgebungen auf die Beine gestellt. So könne man spontan reagieren. Die zentrale Kundgebung findet dabei auf dem Alexanderplatz statt und wird vom »Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin« organisiert. Ab 10.30 Uhr sollen dort unter anderem Sonja Staack, Vizechefin des DGB Berlin-Brandenburg, und der evangelische Bischof Markus Dröge auftreten. Laut Balmer ist das auch der Anlaufpunkt für den aktiven Protest: Wenn es Anzeichen für einen Versammlung der Neonazis gäbe, werde man von dort zu den vor Ort angemeldeten Kundgebungen fahren. Sollte das nicht der Fall sein, sind die lokalen Gegenproteste eher ein Treffpunkt für die große Kundgebung in Mitte.

Dass die Rechten noch einen Aufmarsch anmelden, ist für Balmer »von Tag zu Tag unwahrscheinlicher«. In den vergangenen beiden Jahren waren die Aufmärsche in Spandau zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Heß in der rechtsextremen Szene noch groß angekündigt worden. 2017 zogen rund 1200, 2018 etwa 750, Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet zum ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis in Spandau. In rechten Kreisen wurde der Aufmarsch stets als Erfolg verbucht. Man hätte es geschafft einen »Wallfahrtsort« zu etablieren, heißt es auf einschlägigen Websites.

Rudolf Heß genießt in der rechtsextremen Szene immer hoch einen hohen Symbolwert. Anfang der 2000er marschierten Neonazis in Wunsiedel auf, wo er begraben ist. 2005 wurde dies als »Verherrlichung des Nationalsozialismus« verboten. Seitdem wird nach Alternativen gesucht.

In Spandau stand das Gefängnis, in dem sich Heß 1987 selbst tötete, worüber bis heute Verschwörungstheorie verbreitet werden. So war das zentrale Thema des alljährlichen Aufmarsches auch die Freigabe der Gefängnisakten unter der Losung »Mord verjährt nicht«. Gerichtlich konnte man so einem Verbot entgehen und aufmarschieren. Als eine Verherrlichung des Nationalsozialismus kann man die Demonstration trotzdem werten, vielleicht nicht juristisch auf jeden Fall politisch.

Davon ist dieses Jahr noch nichts zu spüren: »Bisher liegt für dieses Jahr allerdings weder eine Anmeldung noch eine öffentliche Ankündigung der Organisatoren für einen Aufmarsch vor«, schreibt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in ihrer Einschätzung. Das bestätigt auch die Polizei. Auf Anfrage des »nd«, ob rechte Anmeldungen vorliegen oder es Hinweise auf eine Mobilisierung gibt, antwortet Pressesprecher Winfrid Wenzel mit einem kappen »Nein«. Man sehe kein Gefahrenpotenzial für den Tag und bereite sich »auf geeignete Art und Weise« vor - besonders auf die Gegenveranstaltungen.

Für die MBR ist das erstmal nichts Besonderes: »Die fehlende Anmeldung ist noch kein Anzeichen für ein komplette Veränderung der rechtsextremen Aktivität in Berlin«, so Balmer. Die Organisatoren der Heß-Märsche seien auch zu kurzfristigen oder spontanen Aktionen in der Lage. Immerhin habe es dieses Jahr noch keine rechte Großveranstaltung in der Hauptstadt gegeben. Eine positive Entwicklung sieht »Berlin gegen Nazis« jetzt schon: Man habe sich weit im Voraus vernetzt und Gegenprotest dezentral organisiert. Neben Initiativen waren daran auch Einzelpersonen oder AnwohnerInnen beteiligt, die keine Lust auf Neonazis haben, die durch ihren Kiez laufen. »Das ist natürlich super«, so Balmer. Effekt der Vernetzung sei eine Stärkung der Zivilgesellschaft auch bei künftigen Anlässen.

Andere zielen nicht auf bürgerlichen Protest: »Wir wollen eine Praxis von autonomer Antifa stärken«, sagt eine Sprecherin des Bündnisses »NS-Verherrlichung stoppen« dem »nd«. Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Die Antifaschist*innen planen keine zentralen Aktionen, sondern sehen den möglichen Heß-Marsch als Anlass zur Bekämpfung faschistischer Strukturen. »Da gibt es ja genug«, so die Sprecherin. Als Beispiel nennt sie Combat 18 oder auch die NPD. Denen wolle man »offensiv und tatkräftig« entgegentreten. Was genau das heißen soll, bleibt unklar. Es gelte selbst aktiv zu werden und das auch selbst zu organisieren.

Unklar bleibt die Planung der Rechten. Teile der Organisatoren der letzten Jahre mobilisieren in die Kleinstadt Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Ostdeutsche Neonazis wie die NPD oder der »III. Weg« haben ihr Kommen noch nicht angekündigt. Es könnte also zu einer Spaltung gekommen sein. Das heißt jedoch nicht, dass in Berlin nichts passieren wird. Wenn NPD und »III. Weg« aufrufen, wäre bei einer spontanen Mobilisierung nach Einschätzung der MBR mit einer dreistelligen Zahl von Rechtsextremen in der Stadt zu rechnen.

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