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Rot muss gewinnen

Oliver Ruhnert, Manager des 1. FC Union Berlin und Linksfranktionschef in Iserlohn, über Fußball und Politik

Sie kommen gerade vom Trainingsplatz und haben Gespräche mit Spielern geführt. Wie wichtig ist es für Sie als Geschäftsführer Profifußball, nah an der Mannschaft zu sein?

Ganz wichtig. Es ist so, dass wir zwei Verantwortliche für die Jungs haben, den Trainer als Hauptverantwortlichen und mich. Von uns bekommen die Spieler Rückmeldungen zu ihren Leistungen und ihrem Auftreten für den Verein. Ich gebe deutlich weniger Feedback als der Trainer, zu bestimmten Dingen äußere ich mich aber auch.

Es steht das erste Spiel der Vereinsgeschichte in der 1. Bundesliga an. Den Gegner, den der Verein für solch einen historischen Tag nicht wollte, hat er mit Leipzig aber bekommen. Wie schauen Sie angesichts der angekündigten Fanproteste gegen RB auf den kommenden Sonntag?

Ein historisches Spiel wird es ja trotzdem bleiben. Es wurde seit vielen Jahren herbeigesehnt und ist eine ganz ganz tolle Geschichte für die Menschen hier. Aber wer den 1. FC Union Berlin kennt, weiß eben auch, dass es hier eine starke, aktive Fanszene gibt, die den Verein repräsentiert und für bestimmte Werte steht.

Welche Werte sind das?

Da geht es um Zusammenhalt, Mitbestimmung, Fannähe oder eine starke Mitgliedschaft. Es gibt verschiedene Entwicklungen im Fußball, mit denen viele nicht einverstanden sind. Wir müssen stets zur Kenntnis nehmen, dass sich die verschiedenen Akteure des Fußballs im Dialog befinden. Und zu einem Dialog gehört eben nicht nur die Meinung von Führungskräften in Vereinen, Verbänden oder Gremien, sondern die derjenigen, die den Fußball Tag für Tag leben.

Sie haben viel Lob für Ihre Transfers bekommen. Wie schätzen Sie den Kader nach der Vorbereitung und dem Sieg im DFB-Pokal ein?

Ich habe das auch wahrgenommen, dass unsere Transfers sehr positiv betrachtet wurden. Aber das ist immer ein Gemeinschaftswerk: von unserer Scoutingabteilung, unserem Präsidium und von mir. Und noch ein Aber: Wir haben dadurch noch keinen einzigen Punkt gewonnen. Fakt ist, dass wir eine Vorbereitung gespielt haben, die Anlass gibt zu hoffen, dass es am Ende zum Klassenerhalt reichen kann. Auch, weil sich die neuen Spieler hier sehr schnell akklimatisiert und die Besonderheit dieses Aufstiegs wahrgenommen haben.

Es gab Befürchtungen, dass bei so vielen Neuzugängen die Euphorie, von der Aufsteiger leben, vielleicht nicht so zum Tragen kommen kann.

Das ist nicht ganz unberechtigt. Man darf aber nicht vergessen, dass uns die Euphorie nicht über die ganze Saison tragen würde. Wir müssen das Ganze eben nicht wie einen Sprint, sondern wie einen Marathon betrachten. Und ich glaube, die neuen Spieler runden unseren Kader insgesamt ab.

Das Team wurde auf vielen Positionen verstärkt. Aber es kam kein neuer Linksverteidiger, obwohl in schon in der zweiten Liga, auch im Verbund mit dem linken Innenverteidiger hier eine Schwachstelle war. Sehen Sie keinen Bedarf oder ist der Markt hier zu schwierig?

Wir haben uns natürlich mit allen Positionen befasst. Aber einerseits müssen wir als Aufsteiger mit unseren Finanzen sehr sorgfältig umgehen. Andererseits ist es eben so, dass Spieler für bestimmte Positionen unglaublich viel Geld kosten. Wir haben uns dafür entschieden, einen Linksfuß als linken Innenverteidiger zu verpflichten. Und das kann uns helfen, unser Spiel weiter zu entwickeln.

Oft heißt es, dass neue Spieler vom Charakter und der Persönlichkeit zum Verein passen müssen. Wie kann man das feststellen?

Wirklich feststellen kann man es nicht. Man kann aber schnell herausfinden, ob ein Spieler wirklich zu uns möchte. Ob das am Ende hundertprozentig charakterlich passt, ob einer die Werte des Vereins vollumfänglich teilt, das kann bei aller Recherche niemand garantieren. Aber es ist eine Stärke von handelnden Personen, zu entscheiden, dass da ein Spieler wäre, der das könnte. Das ist uns im letzten Jahr gut gelungen. Und die Hoffnung habe ich auch für diese Saison.

Zugleich sind Sie auch Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Stadtrat von Iserlohn. Sind Sie damit ein lebendes Beispiel, dass Sport und Politik nicht voneinander zu trennen sind? Manche behaupten das ja immer noch.

Ich habe mich immer schon für viele Dinge interessiert. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen bestimmen unser Leben und das Miteinander. Man sagt zwar immer, dass Fußballer in ihrem eigenen kleinen Universum leben. Das ist aber nicht so: Denn wenn man den Trainingsplatz oder das Stadion verlässt, geht das Leben ja weiter. Man hat mir in meiner beruflichen Karriere öfter gesagt, dass ich mich entscheiden solle, das eine oder andere lassen soll. Ich bin glücklich, dass ich diese Entscheidung nie getroffen habe, weil mir politisches und gesellschaftliches Engagement genauso wichtig ist.

Sind eine soziale, linke Politik und das Geschäft Profifußball nicht ein Widerspruch?

Kritikpunkte findet man überall. Auch wenn ich in einem anderen Bereich als dem Fußball tätig wäre, würden sich Widersprüche auftun. Man muss die Probleme natürlich benennen. Aber der Profifußball steht ja auch für großes gesellschaftliches Engagement. Die Kampagnen gegen Rassismus, Homophobie und jede andere Art von Diskriminierung erreichen ganz viele Menschen. Hinzu kommen die sozialen Projekte vor Ort, die unmittelbar helfen. Ich nehme mal meinen vorherigen Arbeitgeber Schalke 04 als Beispiel: Das Projekt »Schalke hilft« hat eine ganz, ganz große Bedeutung in Gelsenkirchen. Gleiches gilt für Union mit seiner Stiftung »UNION VEREINT. Schulter an Schulter« und viele andere Vereine. Darüber wird oft gar nicht gesprochen, gemacht wird es trotzdem Ob das ausreichend ist, darüber muss man immer wieder diskutieren. Zur gesellschaftlichen Verantwortung des Fußballs zählt auch noch, dass er inzwischen unglaublich viele Arbeitsplätze schafft. Der Sport besteht eben nicht nur aus elf Spielern, die am Wochenende auflaufen.

Hatten Sie schon mal Gewissenskonflikte, dass Sie Entscheidungen, die aus sportlicher Sicht vielleicht sinnvoll waren, aus moralischen Gründen nicht getroffen haben?

Also eins ist ganz klar, wenn ich bei Union Berlin bin, arbeite und handle ich nur nach dem Motto: »Ich will das Beste für meinen Verein.« Aber klar ist auch, jeder von uns ist auf seine Art und Weise sozialisiert worden. Und natürlich habe ich bestimmte Werte, die ich, egal, wo ich arbeiten würde, immer auch so leben wollen würde. Was ich bei meiner Arbeit nicht tue, ist, mein Parteibuch danebenlegen und fragen: »Wie sieht das jetzt DIE LINKE?« Das mache ich auch nicht im Stadtparlament von Iserlohn. Wenn ich dort bin, muss ich schauen, wie ich Menschen im Rahmen meiner Überzeugungen gewinnen und am besten Lösungen generieren kann. Das Wichtigste ist, dass man seine Werte lebt.

Wie interpretieren Sie den Begriff »Klassenkampf«, den Unions Präsident Dirk Zingler in Bezug auf das anstehende Berliner Derby mit Hertha BSC benutzt hat?

Ich würde es unterscheiden. Im politischen und gesellschaftlichen Bereich findet man gute Beispiele dafür, der Begriff ist auch nicht umsonst dort angesiedelt. Den sportlichen Klassenkampf sehe ich bei Union in dem Kampf, die Klasse zu halten.

Sie sind auch Gründungsmitglied von »aufstehen«. Warum ist eine linke Sammlungsbewegung wichtig?

Ja, als einer der ersten Unterzeichner bin ich wohl ein Gründungsmitglied. Ich finde eine Bewegung jenseits der LINKEN, also mit dem Wunsch, überparteilich Prozesse in Gang zu bringen, sehr gut. Es ist eine weitere Möglichkeit. Denn Parteipolitik ist vielleicht nicht mehr das Entscheidende im Leben. Sie ist heute oft auch abschreckend für Menschen. Und so eine offene Idee ist in anderen Ländern sehr erfolgreich geworden. Denn es geht vorrangig um Inhalte. Und viele Menschen tun sich leichter, sich hinter gute Inhalte zu stellen, wenn sie nicht von einer Partei vorgegeben werden. Aber ich glaube, in Deutschland ist das Bewusstsein dafür noch nicht allzu sehr ausgeprägt. Hier muss man die Organisationsform vorher sehr gut durchdenken, das Konstrukt klar benennen und ganz klare strategische Säulen haben.

Ob nun der Transferwahnsinn oder die Korruption: Wäre eine Sammlungsbewegung für einen faireren Fußball nicht eine gute Idee?

Das Wichtigste ist, dass alle Akteure im Dialog bleiben. Auch weil dieser Sport aufgrund seiner Größe eine enorme gesellschaftliche Bedeutung hat. Und gerade im Amateurbereich wird jeden Tag wichtige Sozialarbeit geleistet, meist von Ehrenamtlern. Davon leben wir, das nimmt so viel gesellschaftliche Brisanz weg, die wir so gar nicht sehen. Deshalb sind auch die Traditionsvereine so wichtig: Sie machen das Ganze auch für viele Menschen - mit dem klaren Bewusstsein, es nicht nur für sich, sondern auch für die Gesellschaft zu tun.

Wie regeln Sie Arbeit und politisches Ehrenamt zeitlich?

Wir haben in Iserlohn sechs bis sieben Stadtratssitzungen im Jahr, ich kann an jeder teilnehmen. Einmal wöchentlich, meistens am Montag, haben wir eine Fraktionssitzung. Und da ich im Regelfall nach den Spielen nach Hause fahre, kann ich auch daran teilnehme. Und zu Hause versuche ich dann schon, Politik zu denken und vom Fußball wegzukommen. Es ist oft gut und hilfreich, um dann wieder neue Lösungen im Fußball zu finden. Beides befruchtet sich ein bisschen.

Sie sind zudem als Schiedsrichter aktiv. Warum?

Ich mache das sehr gerne, weil ich dann Spiele Rot gegen Blau habe und es mir am Ende egal ist, wer gewinnt. Sonst will ich immer, das Rot gewinnt. Und etwas Bewegung tut mir gut, beim Abschalten hilft es auch: In den 90 Minuten, denke ich nicht über Sieg oder Niederlage nach, sondern bin einfach mal wieder ich selbst.

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