Mit Haltung verloren

Das 0:4 gegen Leipzig zeigt, dass Unions Fußballern nicht nur Bundesliga-Tempo fehlt

Marcel Halstenberg war einfach nur ehrlich. Genau das tut manchmal am meisten weh. »Wir haben es uns auf jeden Fall schwerer vorgestellt«, sagte der Linksverteidiger. Er hatte mit seinem Klub RasenBallsport Leipzig gerade mit 4:0 beim 1. FC Union gewonnen. Der 27-Jährige hatte am Sonntagabend besonderen Spaß. Mit Leichtigkeit zirkelte der Linksfuß den Ball mit rechts zur Leipziger Führung ins Berliner Tor - weil er viel zu viel Platz und jede Menge Zeit hatte. Den zweiten Treffer bereitete Halstenberg vor: Dabei war er bei seiner Flanke so ungestört wie der Torschütze Marcel Sabitzer. Zur Halbzeit stand es aus Sicht von Union 0:3.

Dem dritten Leipziger Treffer von Timo Werner vor dem Pausenpfiff war später noch der vierte durch Christopher Nkunku gefolgt. Wirklich einordnen konnten die schwer geschlagenen Gastgeber das gerade Erlebte noch nicht. »Dafür brauchen wir noch ein wenig Zeit«, meinte Kapitän Christopher Trimmel. Dass von der Fassungslosigkeit der ersten Halbzeit bei den Unionern nach Spielende nur Ernüchterung und Enttäuschung übrig blieben, lag auch an der zumindest zahlenmäßig sportlich etwas angenehmeren zweiten Hälfte. Vor allem aber wurden sie aufgefangen, von ihren Fans. Gefühlt sehr viel lauter als sonst, feierten sie ihre Mannschaft - und sangen noch von »Liebe«, »Stolz« und ihrem »Verein« als die Spieler längst in den Katakomben ihre körperlichen und seelischen Wunden pflegen ließen.

Für die Leipziger sind Siege in der ersten Liga Alltag. In der letzten Saison waren es 19. Das reichte für Rang drei und einen Startplatz in der Champions League. Mit dem neuen Trainer Julian Nagelsmann scheinen sie noch präziser und wuchtiger in der Offensive sowie stabiler in der Defensive zu sein. Der 1. FC Union muss noch auf seinen ersten Bundesligapunkt warten. Oder wie es der Berliner Trainer Urs Fischer formulierte: »Zumindest sind wir angekommen - auf dem Boden der Tatsachen.«

Der erstmalige Aufstieg in die Bundesliga wurde auch am Sonntag in der Alten Försterei noch gefeiert. Das Gefühl, etwas Einzigartiges erreicht zu haben und jetzt erleben zu dürfen, machte letztlich die bittere Niederlage zur Premiere etwas erträglicher. Und der Gegner. Sportlich sind die Leipziger kein Maßstab für Union. Weil der vor zehn Jahren mit Red-Bull-Millionen gegründete Klub jeglichen traditionellen Normen im Fußball widerspricht, gilt er zumindest vielen in der Fanszene als Feindbild. Deshalb wurde nach dem Anpfiff geschwiegen: 15 Minuten Stille als Protest. Der Forderung der Ultras vom Wuhlesyndikat an, auch am Feiertag »Haltung« zu zeigen, schlossen sich alle Berliner Anhänger an. Sicherlich auch, weil die Vereinsführung den Protest im Vorfeld unterstützt hatte. Die emotionale Rede von Christian Arbeit, Pressechef und Stadionsprecher des Vereins, über Werte wie »Fannähe« oder »Mitbestimmung« half dabei sicherlich auch.

Nur 46 Sekunden nach dem Stimmungsboykott, mitten hinein in die ersten lautstarken Gesänge, fiel das 0:1. Möglicherweise zweifelten danach nicht nur neutrale Beobachter, ob Schweigen wirklich Gold ist. Unter den Berliner Fans wurden vor der Bundesligapremiere aber auch andere Dinge kontrovers diskutiert. Zum Beispiel, ob Union sportlich mithalten kann. Viel Hoffnung gibt der Auftakt nicht. Auch die ersten Reaktionen aus der Mannschaft nicht. »Wir haben gedacht, Paroli bieten zu können«, sagte Mittelfeldspieler Grischa Prömel.

Das Bild, dass der 1. FC Union Berlin am Tabellenende steht, muss man vielleicht noch eine Weile ertragen. Dem Auswärtsspiel in Augsburg folgen mit Dortmund, Bremen, Leverkusen, Frankfurt, Wolfsburg weitere schwere Gegner. Da reicht es nicht, sich nur an das neue Tempo zu gewöhnen. Um die für das Selbstvertrauen wichtigen Erfolgserlebnisse zu erzielen, muss Union etwas mutiger angreifen. Wie in Ansätzen in der zweiten Halbzeit gegen Leipzig. Und vielleicht auch mal mit Anthony Ujah im Sturm statt des bislang gesetzten Sebastian Andersson. In der Abwehr sollte schnellstmöglich eine Lösung für die offensichtlich großen Probleme auf der linken Seite gefunden werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.