• Politik
  • Chemnitz - Ein Jahr danach

Wenn ein Neonazi den MDR lobt

Sender führt seine umstrittene Diskussion zu einer Dokumentation über die Ausschreitungen von Chemnitz mit einem geänderten Konzept durch

  • Johannes Süßmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Chemnitz. Am Ende waren doch fast alle gekommen: Margarete Rödel von der Grünen Jugend, Professorin Olfa Kanoun von der TU Chemnitz und auch AfD-Mitglied und »Pro Chemnitz«-Ordner Arthur Österle. Sie alle saßen bei der Vorpremiere der MDR-Dokumentation »Chemnitz - Ein Jahr danach« am Donnerstagabend im Saal eines Chemnitzer Kinos und debattierten im Anschluss miteinander.

Auf dem Podium aber saßen sie, anders als ursprünglich geplant, nicht. Dessen Zusammensetzung - auch die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) war geladen - war nach der ersten Ankündigung des MDR vor allem wegen AfD-Mann Oesterle auf derart harsche Kritik gestoßen, dass nach Rödel auch Ludwig ihre Teilnahme abgesagt hatte. Der MDR blies die Debatte daraufhin ab. Stattdessen stellten sich nun drei Verantwortliche des MDR den Fragen des Publikums. Und als erster meldet sich: Oesterle.

Der wettert aber nicht etwa über einseitige Berichterstattung oder »Lügenpresse«. Oesterle sagt, er wolle dem Team des MDR seinen Respekt entgegenbringen für den Film. Dieser sei seit Jahren der erste Versuch, einen Dialog zwischen verschiedenen Gruppen anzustoßen. »Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden«, sagt Österle: »Wir sind auf einem guten Weg.«

Das kommt nicht gut an. Der erste Gegenredner kritisiert, er finde es nicht richtig, »solchen Leuten so viel Spielraum in den Medien zu geben«: Kurze Unruhe im Saal, doch die MDR-Verantwortlichen auf dem Podium wehren sich. Der Film sei nun mal ein Spiegel der Realität, sagt Redakteurin Anja Riediger: »Wir finden, man muss es einfach zeigen.«

MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi ergänzt, es sei wichtig, die Lebenswirklichkeit abzubilden. Im Übrigen sei die Frage, ob denn nun mit Rechten zu reden sei oder nicht, noch nicht ausdiskutiert und so leicht auch nicht zu beantworten. Dies führe zu Problemen und Konflikten, »und denen müssen wir uns auch stellen«.

Der Zündstoff ist damit erst mal dahin. Es folgen Redner, die den Film nicht rundum loben, sondern nüchtern-sachlich kritisieren. Manchen kam der Auslöser der Ausschreitungen vor einem Jahr, der gewaltsame Tod des Chemnitzers Daniel H. am 26. August 2018, zu kurz. Andere kritisieren das Fehlen von Positionen der »bürgerlichen Mitte« oder von Hintergründen zu rechtsextremen Strukturen in der Region und der rasanten Mobilisierung der Szene in den Tagen nach der Tat.

Andere halten dem Film zugute, ein Schritt hin zu mehr Dialog in der Stadt zu sein, der verschiedene Stimmen und Sichtweisen wiedergebe und bedanken sich für die differenzierte Darstellung. Einer sagt, die Stadt sei im Wandel begriffen, und zwar zum Positiven. So dass MDR-Redakteur Jörg Wildermuth schon zur Halbzeit resümiert, ihm gefalle die Bereitschaft zum Dialog, die aus den Beiträgen hervorgehe: »Das Aufeinanderzugehen finde ich aus diesem Abend eine gute Erkenntnis.«

Doch immer wieder gibt es auch Redner, die auf die festgefahrene Lage in der Stadt hinweisen, auf die Spaltung, die die gewaltsamen Ausschreitungen vor einem Jahr ausgelöst haben. Gegen Ende fasst sich Professorin Kanoun ein Herz. Die gebürtige Tunesierin lebt seit mehr als zehn Jahren in Chemnitz. Sie habe festgestellt, sagt Kanoun, »dass wir immer noch über dasselbe reden und vergessen, was Chemnitz ist«. Es gebe so viele wunderbare und offene Menschen in der Stadt. Doch zum Diskutieren gehöre auch, »die andere Perspektive aufzunehmen und nicht abzulehnen«. Und mit Blick auf Zugewanderte betont die Professorin: »Wir müssen die Leute integrieren und nicht sagen, die müssen sich integrieren.« Dafür erntet sie Applaus. epd/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.