Solidarisch Wirtschaften: Im Austausch für neue Impulse

Seit mehr als 20 Jahren bestehen Kollektivbetriebe in Berlin. Das Interesse an ihnen hat zugenommen und sie nutzen den Austausch für eigene Impulse

Seit fünf Jahren beteiligen sich die Kreuzberger Kollektive hinkelsteindruck-sozialistische Gmbh und der Verein Regenbogenfabrik an der »Wandelwoche Berlin-Brandenburg«. In dieser Woche öffnen Kollektive-Betriebe ihre Türen, um zu zeigen, dass solidarisches und ökologisches Wirtschaften auch im Kapitalismus schon möglich ist. Mit nd sprachen Sabine Weber, Cora Heitzmann und Andy Wolff über politische Bewegungen, Austausch mit Interessierten und die tägliche Praxis.

Warum beteiligt ihr euch an der Wandelwoche?

Cora: Wegen des Austauschs. Begonnen hat es mit der Wandelwoche zum Solidarische Ökonomie Kongress 2015. Da waren wir sehr aktiv und an der Organisation beteiligt. In den Jahren danach haben wir im Rahmen des Kollektive Netzwerks einen Stand und die Fahrradtour gemacht sowie uns an Veranstaltungen beteiligt.

Sabine: Der Austausch ist für mich auch ausschlaggebend. Die Menschen können einfach schauen, wie funktionieren Kollektive. Die Resonanz ist groß. Bei unserer vorletzten Veranstaltung im Berliner »about blank« waren über 100 Leute. Sie kommen entweder mit eigenen Kollektiverfahrungen oder überlegen, eines zu gründen. Oder sind aus anderen Gründen mit dem Thema verwurschtelt. Dabei gibt es immer einen interessanten Austausch.

Andy: Die Wechselwirkung ist für uns wichtig, damit wir nicht im eigenen Saft schmoren.

Hat das Interesse an Kollektivbetrieben insgesamt wieder zugenommen?

Sabine: Als wir uns Anfang der 1990er gegründet haben, da war Kollektiv eigentlich gar nicht mehr das Thema. Das war was altmodisches, etwas aus den 70er, 80er Jahren. In den letzten zehn Jahre kamen wieder mehr Leute, die sich überlegt haben, Kollektive zu gründen. Sie wollen auch auf unseren Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Andy: 2010 haben wir das Kollektive-Netzwerk wieder gegründet. Das gab es schon mal in den 80er Jahren. Wir hatten das Bedürfnis als Kollektive wieder nach außen zu treten. 2012 haben wir dann damit begonnen, Veranstaltungen anzubieten. Da haben wir gemerkt, dass Interesse da ist. Wir haben auch mitbekommen, dass es immer mehr Gründungen gibt. Es sind auch Leute vorbeigekommen und haben gefragt: »Hey, wie funktioniert ihr als Kollektiv? Wie funktioniert Hierarchiefreiheit? Wie kann man mit dem Konsensprinzip Entscheidungen treffen?«

Kollektivbetriebe wie eure wurden in engem Zusammenhang mit politischen Bewegungen gegründet. Die Regenbogenfabrik während der Hausbesetzerbewegung, Hinkelsteindruck im Zusammenhang mit der DDR-Opposition. Spielen die großen politischen Themen heute noch dieselbe Rolle wie in den Anfangsjahren?

Cora: Ich finde, es gibt Wellenbewegungen. Es gibt Zeiten, da ist man eben mehr in den alltäglichen Dingen verstrickt. Und dann gibt es neue Impulse. Für mich persönlich war es zum Beispiel die Degrowth-Konferenz in Leipzig. Da habe ich neue Themen mitgenommen, also anders Wirtschaften nochmal viel wachstumskritischer. Oder auch der Austausch mit den griechischen Genossen von vio.me.

Andy: Kollektive schwappen oft in politische Bewegungen rein. Und es ist ja nicht so, dass wir damit nichts zu tun hätten. Wir hängen da auch mit drin. Andersherum sind wir auch Impulsgeber für viele Leute, die sich mit politischen Fragen auseinandersetzen. Was sie am Ende allerdings mitnehmen, das können wir nicht beeinflussen. Im Kollektiv zu arbeiten, ist für viele ganz fremd. Darin besteht aber auch eine große Chance, den Leuten eine Idee in den Kopf zu setzen, auch wenn sie diese erst in fünf Jahren wieder herausholen, weil sie merken: »Oh, mein Chef ist ein Arsch.«

Neben der wachstumskritischen Bewegung »Degrowth« sind die Klimabewegungen politisch gerade stark. Spielt das für euch eine Rolle?

Cora: Ökologie und Klima war uns schon immer nah, da wir mit Papier arbeiten. Wir sind schon dogmatische Recyclingpapier-Anhänger. Ich habe schon Anfang der 90er bei der Berufsgenossenschaft einen Vortrag gehalten, dass man die Druckmaschinen anders reinigen kann als mit flüchtigen Lösemittel. Da haben mich alle angeschaut, als wäre ich nicht ganz normal. Klima war noch gar kein Thema.

Sabine: Außerdem war für uns auch immer total wichtig, was sinnvolles zu produzieren. Zum Beispiel inhaltlich tolle Broschüren und nicht irgendwelche Werbeflyer, die sofort in die Tonne wandern und die Briefkästen überschwämmen. Von daher war dieser Begriff sinnvolle Produktion eigentlich auch immer selbstverständlich. Und das ist Degrowth. Das man einfach schaut, was produzieren wir. Wir erhalten unsere Produktionsmittel. Andere Betriebe kaufen nach der Abschreibungszeit neue. Wir reparieren unsere.

Wie ist es in der Regenbogenfabrik?

Andy: Nachhaltigkeit spielt für uns schon eine Rolle, aber wir müssen schauen, was wir uns leisten können. Die Preise in der Kantine sollen für die Nachbarschaft erschwinglich sein. Wir müssen trotzdem unsere Löhne bezahlen. In der Konsequenz heißt das, dass wir nicht rein Bio anbieten können. Wir bewegen uns in einem Zwiespalt. Das Bewusstsein dafür ist groß, aber es müssen auch andere Aspekte berücksichtigt werden. In der Praxis funktionieren wir daher mit unserem Veranstaltungsbereich als Multiplikator, als das wir das Vorbild sind.

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