Wagenknecht will »sozialen Sprengsatz« entschärfen

Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag unterstützt die Idee eines bundesweiten Mietendeckels - Union und FDP wollen dagegen klagen

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Hitzig bis skurril könnte man die Debatte nennen, die um den Mietendeckel entbrannt ist, nachdem am Wochenende Details über dessen möglichen Inhalt bekannt geworden waren. Von »Sozialismusfantasien des Senats« sprach etwa der Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, während Jan-Marco Luczak (CDU) den Plan einen »sozialistischen und verfassungswidrigen Amoklauf« nannte.

Auch die Wohnungswirtschaft kündigte Widerstand gegen die Pläne in der Hauptstadt an. »Wir werden uns wehren«, sagte etwa der Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, Andreas Mattner. Ähnliches gab auch Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft von sich, als er beklagte, dass es in Berlin keinerlei Rückenwind für Investoren gebe. Noch während die Immobilienwirtschaft, Politiker*innen von Union, FDP und AfD sowie Teile der Presse sich also besorgt über eine nächste sozialistische Diktatur zeigen, geht der Kampf um bezahlbaren Wohnraum in der Hauptstadt weiter: Am Dienstag forderte ein breites Bündnis verschiedener Berliner Initiativen die Politik in einem offenen Brief zu einer raschen Durchführung der rechtlichen Prüfung des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen« durch den Innensenat auf. Zu den Unterzeichner*innen gehören die »Vernetzung der Akelius-Mieter*innen«, »Kotti & Co«, »Bizim Kiez«, das »Bündnis für bezahlbare Mieten Neukölln« und verschiedene Mieter*inneninitiativen in Deutsche-Wohnen-Häusern.

Im Juni hatte die Initiative 77 000 Unterschriften für die Einleitung eines Volksbegehrens mit dem Ziel der Vergesellschaftung aller profitorientierten Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen an die Senatsverwaltung überreicht. Auch Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) bekräftigte trotz heftiger Kritik das Ziel des Senats, den Anstieg der Wohnkosten mittels eines Mietendeckels zu stoppen. Auf maximal 7,97 Euro pro Quadratmeter nettokalt sollen Mieten in Berlin dann in den kommenden fünf Jahren eingefroren werden - mit Ausnahme von nach 2014 gebauten Wohnungen.

Auf Bundesebene forderte nun auch LINKE-Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht einen Mietendeckel. Der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte sie, statt »ihre wirkungslose Mietpreisbremse zu verlängern, sollte sich die Bundesregierung am Entwurf des Berliner Mietendeckels ein Beispiel nehmen«. Darüber hinaus nannte sie es »unerträglich, dass die Große Koalition seit Jahren zuschaut, wie große Immobilienfonds die Mieten nach oben treiben, um ihren Anlegern Traumrenditen zu bieten, während Familien mit normalen Einkommen aus den Innenbezirken großer Städte vertrieben werden«. Wohnen sei ein Menschenrecht und kein Spekulationsobjekt. Der »soziale Sprengsatz« müsse deshalb auch bundesweit durch einen Mietendeckel und ein öffentliches Wohnungsbauprogramm entschärft werden.

»Was Berlin macht, ist nötig und entspricht sogar einer sozialstaatlichen Verpflichtung«, sagte auch Christian Pestalozza, Staatsrechtler an der FU Berlin, der »Berliner Zeitung«.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte zuvor erklärt, gemeinsames Ziel sei es, die spekulative Gier auf dem Wohnungsmarkt zu stoppen. »Was wir nicht brauchen, ist ein Vorschlag für ein Gesetz, über das jahrelang gestritten wird und das am Ende keinen Bestand vor den Gerichten hat.«

Union und FDP kündigten an, gegen den geplanten Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. »Wenn es vom Alter der Wohnung und von sonstigen Staffelung nachvollziehbar ist, dann wird es auch dem Bundesverfassungsgericht ausreichen«, hielt Pestalozza dagegen.

In Berlin erklärte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) nach der Senatssitzung, alle Koalitionspartner befürworteten einen Mietdeckel, beträten damit aber Neuland. Daher seien sicher längere Diskussionen und sehr sorgfältige Abwägungen nötig.

Derweil verständigte sich nach nd-Informationen der Koalitionsausschuss von SPD, LINKE und Grünen am Dienstag in einem kurzfristig anberaumten Treffen zum Mietendeckel. Demnach wollen alle Koalitionsparteien den Mietendeckel einführen. Übereinstimmung herrschte darüber, dass es ein komplexes Verfahren sei, bis zum Ende der Woche wird ein Referentenentwurf erwartet. Die Koalition strebt an, bis zum 14. Oktober einen Senatsbeschluss herbeizuführen.

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