- Serienkiller
- »Der dunkle Kristall«
Die Liebe zur Haptik
Puppentheater für Animationsmüde: Die Vorgeschichte des 80er-Jahre-Films »Der dunkle Kristall«
Die Welt der Fiktion ist eine Wiederholung in Endlosschleife. 2018 bestand gut die Hälfte der 25 lukrativsten Kinofilme aus Neuzuschnitten alter Stoffe - wobei auch der Rest selten sonderlich innovativ war. Und während das lineare Fernsehprogramm weiterhin Kommissare aus Fleisch und Blut verschleißen darf, feiern Streamingdienste die meisten Zugriffe mit Gebrauchtware wie »Friends« oder lassen vom »Boot« bis zum »Denver-Clan« Untote auferstehen. Bekanntheit gleich Quote - so lautet mehr denn je die Gleichung in Film und Fernsehen.
Trotzdem ist es einigermaßen überraschend, mit welcher Serie Netflix neuerdings die Retro-Schiene bedient: »Der dunkle Kristall«. 1982 war der legendäre Strippenzieher Jim Henson kurzzeitig vom heiteren Varieté seiner »Muppets« in ein Fantasiereich von irritierender Dunkelheit verschwunden, die keine noch so süße Figur darin erhellen konnte. Es war, Nachkriegsjahrgänge erinnern sich, die Zeit des Wettrüstens und Waldsterbens - ein leicht apokalyptisches Grundgefühl, auf das Hollywood vor allem mit Horror und Heididei antwortete. Nicht nur das Kino, auch das Fernsehen war voller Endzeitdystopien mit fantastischen Tierwesen und politikferner Highschool-Komödien.
Weil die Tierwesen zu Beginn der globalen Digitalisierung noch an Werkbänken statt an Großrechnern kreiert wurden, traf Hensons extraterrestrischer Puppenfilm »Der dunkle Kristall« den Nerv. Fast 40 Jahre später dreht nun seine Tochter Lisa die Uhr ins letzte Millennium zurück und leitet mit ihrem Prequel genannten Vorspiel eine »Ära des Widerstands« ein. Gezeigt wird der ewige Kampf der arglosen Gelflinge, einer Art Elfen, gegen schreckliche Vogelwesen namens Skekse.
Regie führt Showrunner Lewis Leterrier. Er hält sich relativ devot ans haptische Rüstzeug des Altmeisters; die ersten fünf Minuten sind sogar identisch mit dem Auftakt der Urversion. Und dann bestehen auch noch sämtliche Protagonisten der Produktion - die von der Suche dreier Freunde nach einem Stein der Wahrheit erzählt, dessen Zerstörung den Planeten Thra bedroht -, tatsächlich aus Stoff plus Plastik, nicht aus Bits und Pixeln.
Natürlich wurde das Drumherum massiv digitalisiert und damit aufgehellt; es gibt sogar eine Liebelei zwischen den Plüschfiguren. Die Kelleratmosphäre des seltsam modrigen Originals wurde etwas aufgehellt. Denn wer sich das Original - etwa auf Netflix - heute ansieht, kriegt angesichts der Tristesse schlechte Laune.
Andererseits ist auch die »Ära des Widerstands« keine Sache für Hedonisten. Und so passt diese Serienadaption gut in unsere zerrüttete Gegenwart. Gerade jetzt, wo wir uns wieder an der Schwelle zum Kalten Krieg befinden und außerdem noch der Klimakollaps droht.
Gesucht wird ein ominöser Kristallsplitter. Verglichen mit dem Original ist die Zahl der handelnden Charaktere sprunghaft gestiegen. Das ergibt eine horizontale, soziokulturell anschlussfähige, fesselnde Dramaturgie. Die Kulisse wirkt dabei weniger improvisiert als 1982, der Sound zudem klarer, alles irgendwie facettenreicher.
Die Nähe zu moderner Fantasy, von »Game of Thrones« bis zu »Herr der Ringe«, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass dieser Zehnteiler mit großer Hingabe in Nostalgie badet. Der beste Grund, ihn sich anzusehen, wäre daher die Liebe zur Haptik - beseelt von Sprechern wie Mark Hamill oder Sigourney Weaver, deren Karrieren zur Zeit von Hensons alter Kristall-Saga begannen. So wie Tarantinos Neowestern das Kino der 60er und 70er Jahre konsequent aufs organische Zelluloid bannen, lernen animationsmüde Serienfans in Lisa Hensons Puppentheater, wie damals mit den Augen zu fühlen. Nicht jedermanns Sache, aber gut für ein bisschen Wärme in kalter Zeit. Winter is coming.
»Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands«, ab dem 30. August auf Netflix.
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