- Kommentare
- Migrationspolitik
Es war einmal Amerika
Das Wohlstandsversprechen der USA, das auf Rassismus, Ausbeutung und Entfremdung gründet, ist ein gefährlicher Mythos.
Nächste Woche ist es einen Monat her. Die Schüsse auf eine Menschenmenge in der US-Grenzstadt El Paso in Texas richteten ein Blutbad an. In den Vereinigten Staaten hat es allein dieses Jahr 251 Schießereien gegeben, 250 Menschen starben. Seit dem Massaker an der Colombine Highschool vor 20 Jahren summiert sich die Zahl von Schießerei-Opfern auf mehrere Tausend.
Nicht nur Menschen wurden ermordet. Auch der American Dream wurde massakriert. Der Mörder von El Paso war ein white suprematist, überzeugt von der Überlegenheit der »weißen Rasse«. Zum Tatort an der Grenze war er von Weitem angereist. Und er hatte ein klares Ziel: »die hispanische Invasion bekämpfen«. Auch US-Präsident Donald Trump bezeichnet die Anwesenheit von Ausländern in den USA als Bedrohung. Mit seinem Mord an 26 Menschen und zwei Dutzend Verletzten am 3. August hat der junge Mann ein Klima der Angst unter Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln geschaffen. Mit der Angst verschwinden, zumindest für einige Zeit, auch viele Illusionen all derer, die in dieses riesige Land gekommen sind oder kommen wollen. Sie alle sind auf der Suche nach einer Zukunft, die ihre Heimat ihnen verweigert.
Die Bluttat von El Paso hat einen Schleier des Schweigens gelüftet. Weit über die Hälfte der in den USA lebenden Latinos gaben jüngst an, wegen ihrer ethnischen Herkunft Opfer von Diskriminierung, ungerechter Behandlung oder Arbeitsausbeutung geworden zu sein. Diese Erfahrungen hätten sich mit Trumps fremdenfeindlicher Rhetorik und Anti-Migranten-Politik weiter verschärft - in einem Land, in dem der Kauf eines Gewehres einfacher ist, als einen Mietwagen zu leihen.
American Way of Life bleibt attraktiv
Derweil werden wir Zeugen der anderen Seite der Tragödie. Tausende überqueren die Grenzen der USA, weil die Versprechungen des American Way of Life im Vergleich zur Verzweiflung und fehlender Zukunft, vor allem im Globalen Süden, weiter attraktiv sind. Der Lebensstil in den Vereinigten Staaten, aber auch der »Europäische Traum« für Hunderttausende Afrikaner und Asiaten, die dafür ihr Leben aufs Spiel setzen, steht für das Versprechen der westlichen Moderne. Es wird vermittelt, dass der Globale Norden hart arbeitet, dafür mit Reichtum belohnt wird und dass es jeder Generation besser geht als der Generation vor ihr.
Dieser Mythos der kapitalistischen Moderne, stark gestützt von Werbung und Konsumismus, steht den geschaffenen Realitäten wie den blutigen Massakern und rassistischen Kampagnen völlig entgegen. Seit zweieinhalb Jahren schon führt Trump einen Kreuzzug gegen Einwanderer und Migration. Dabei sind die USA ein Land, das seine Geburt als Nation der Einwanderung verdankt. Doch heute ist seine Regierung entschlossen, im Süden des Landes eine Mauer zu bauen.
In der Öffentlichkeit wird mit sprachlicher Gewalt sogar gegen afro-amerikanische Politiker gehetzt, wovon auch weibliche Kongressabgeordnete nicht ausgenommen sind. Auch die Einwanderungsgesetze werden verschärft, womit Tausenden Antragstellern auf Bleiberecht die Tür endgültig zugeschlagen werden wird. Ziel der Trump-Politik ist es all jene Migranten aus den USA zu vertreiben, die von staatlichen Leistungen abhängen. Die neue Regelung stammt vom Einwanderungsgesetz aus dem Jahr 1882, demzufolge ein Visum denen zu verweigern ist, die eine »öffentliche Last« darstellen. Mit dieser »Formel der öffentlichen Last« sind sogar legale Migranten von der Abschiebung bedroht.
Der American Dream lebt weiter
Trotz dieser wachsenden Hindernisse bleibt der verbeulte Mythos vom American Dream intakt, im Norden wie im Süden. Damit wird eine wahrhaftige Dialektik zementiert. Einerseits übernehmen diejenigen, die diesen Traum zum größten Teil realisieren, Aufgaben, die als minderwertig angesehen werden, um insbesondere das Wohlergehen der Mittelschichten im Norden zu erhalten. Und diejenigen, die keinen Erfolg haben, halten an einem entfremdenden Versprechen fest und erfüllen daheim die gleichen Aufgaben wie diejenigen, die es schaffen, die Grenze zu überschreiten (ganz zu schweigen von allen, die bei diesem Versuch sterben). Während all das geschieht, bleibt der Globale Süden für die meisten seiner Bewohner eine hoffnungslose Welt. Zwischen Tod und Entfremdung haben wir also allen Grund zu der Überzeugung: Diese Welt muss verändert werden!
Der Autor ist Ex-Energieminister von Ecuador. Als Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung hat Acosta das »Gute Leben« und die Rechte der Natur in die Verfassung des Andenlandes verankert.
Übersetzung: Benjamin Beutler
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.