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Räumungen im linken Viertel
Die konservative griechische Regierung will den Athener Stadtteil Exarchia gentrifizieren
Im weit über die Grenzen berüchtigten Athener Stadtteil Exarchia sperrten Hunderte von maskierten Bereitschaftspolizisten am Morgen des 26. Augusts das gesamte Gebiet ab. Vier Besetzungen wurden geräumt - zwei davon beherbergten Geflüchtete. Es wurden 143 Personen, darunter 35 Minderjährige, zur Ausländerbehörde Atticas gebracht, um dort zu untersuchen, ob sie eine legale Aufenthaltserlaubnis im Land haben. Die Operation konzentrierte sich auf den nordwestlichen Teil des Stadtteils, in dem sich auch die Notara 26 befindet, Griechenlands erste Hausbesetzung für und von Geflüchteten. Besser bewacht und symbolisch wichtig für die Nachbarschaft, ist Notara 26 bisher unberührt geblieben.
Nach einem Plan, der unter Beteiligung verschiedener Abteilungen der Athener Stadtverwaltung, wie der Umwelt- und Infrastrukturbehörden, umgesetzt wird, soll Exarchia von Drogenhandel, Sexarbeit, Geflüchteten und »antistaatlichen Elementen« befreit werden. Phase eins ist die Säuberung, Phase zwei ist die Erhaltung des Gebietes und die ersten oberflächlichen Änderungen im Stadtteil. Phase drei ist der Bau des »Athener Montmartre« samt eigener U-Bahn-Station innerhalb von fünf Jahren.
Weitere Räumungen werden folgen - bis zur endgültigen Konfrontation mit der revolutionären Gruppe Rouvikonas. Sie ist der persönliche Erzfeind des neuen Premierministers Konstantinos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia. Benannt nach dem Fluss Rubikon, hat Rouvikonas in den letzten Jahren durch spektakuläre Aktionen gegen Privatunternehmen und Regierungsbehörden an Popularität gewonnen. In den Nächten nach den Räumungen versuchte die Bereitschaftspolizei sogar, in das besetzte K*Vox auf dem Exarchia-Platz einzudringen, das die Medien als »Operationszentrum« der Gruppe dargestellt haben. Giorgos Kalaitzidis, Mitglied von Rouvikonas, meint, es sei »kein Zufall, dass an drei separaten Abenden Tränengasgranaten in die Räumlichkeiten gelandet sind«.
Exarchia ist ein historisches Viertel, das zwischen zwei Hügeln im Herzen von Athen liegt. Benannt nach einem Lebensmittelhändler, wurde der Stadtteil Ende des 19. Jahrhunderts erbaut. Seit den 1960er Jahren hat es sich zu einem Studenten-Hotspot und Treffpunkt der alternativen politischen und kulturellen Szene entwickelt. Heute zeichnet sich der Stadtteil durch viele Cafés, Druckereien, unabhängige Verlage und kleine Buchhandlungen aus.
Die Geschichte des Stadtteils ist eng mit der Entwicklung von Linksradikalismus und Anarchismus nach dem Ende der Diktatur 1974 verbunden. Jahrzehnte später, im Dezember 2008, als der 15-jährige Student Alexandros Grigoropoulos von der Polizei im Zentrum des Stadtteils getötet wurde, brach eine Revolte aus, die sich schnell in alle Ecken des Landes ausbreitete.
Immer wieder muss das Viertel im öffentlichen Diskurs als Beispiel des »Ausnahmezustands« herhalten. In den letzten Jahren griffen die Konservativen die steigende Anzahl an Ausschreitungen und florierenden Drogenhandel öfter auf, um der Regierung von Alexis Tsipras (SYRIZA) Kontrollverlust vorzuwerfen. Damals behauptete der Chef der Nea Dimokratia und damalige Oppositionsführer Mitsotakis, dass er im Falle einer Regierungsübernahme »Exarchia aufräumen werde«.
Der neue konservative Bürgermeister von Athen und Neffe von Mitsotakis, Kostas Bakoyannis, wurde am Sonntag, den 25. August, vereidigt. Die Polizeiaktionen am nächsten Tag waren auch das erste Zeichen für Mitsotakis als neuen Premierminister - genau zum richtigen Zeitpunkt für die Rückkehr aus den Sommerferien und Saisonarbeit.
Mitsotakis kündigte parallel zu den Räumungen im griechischen Parlament an, dass er die Kapitalverkehrskontrollen, die Griechenland seit 2015 heimgesucht hatten, aufheben werde. Es war ein Erfolg für ihn, dank seines Freundes Yannis Stournaras, dem Präsidenten der griechischen Zentralbank, ein Erfolg, den die von der Linkspartei SYRIZA geführte Regierung auf Druck ihrer »internationalen Partner« verweigert wurde. Nebenbei aber wird die Neoliberalisierung der Universitäten und zahlreiche Privatisierungen vorangetrieben.
Seit dem letzten Wochenende ist es wieder ruhiger in und um Exarchia. Der Filmemacher und Aktivist Yannis Youlountas hat dazu zwei Hypothesen: Es handelt sich entweder um die »Ruhe vor dem Sturm« oder »es ist das Ergebnis der Wut der Bewohner, die sich immer mehr über polizeiliche Missbräuche in der Nachbarschaft beschweren«.
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