Smarte Technologie allein hilft nicht

Wie könnte eine konzernunabhängige Digitalisierungsstrategie für Berlin aussehen?

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 5 Min.

E-Scooter, Airbnb und Gesichtserkennung im Bahnhof: Spürbar hat die Digitalisierung auch im Stadtbild Berlins Einzug erhalten. Veränderungen der Infrastruktur gehen einher mit digitalen Errungenschaften. Doch kann man sie wirklich ausschließlich positiv oder negativ sehen? Im Zuge der Debatte um die kommende Digitalisierungsstrategie des rot-rot-grünen Senats stellen sich Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik gleichermaßen der Frage: Wird Berlin eine »Smart City«, und dadurch auch sicherer?

Dazu regt sich auch etwas in der Linkspartei. Im Abgeordnetenhaus gibt es seit dieser Wahlperiode eine eigene Sprecherin für das Thema: »Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die das macht«, sagt Katalin Gennburg (LINKE), Sprecherin für Smart City, dem »nd«. Dass es auf diese Entwicklungen bisher eher selten eine linke Perspektive gebe, sei ein Fehler: »Das neue neoliberale Mantra ist die Smart City«, so die studierte Urbanistin. Darauf bräuchte es progressive Antworten, »scharfe Standpunkte«, wie sie das nennt.

»Die politische Elite hat keinen Zugang zu dem Thema«, sagt die Politikerin. Deswegen würden Städte Sachverstand einkaufen, meist bei großen Konzernen. So sei dies auch passiert beim Grünen-geführten Wirtschaftssenat, der bis zur nächsten Wahl noch eine neue Digitalisierungsstrategie vorlegen will. Dafür habe man die umstrittene Unternehmensberatung »Ernst & Young« engagiert. »Das ist wirklich falsch«, kritisiert Gennburg. Man benötige zwar externes Wissen, aber das solle man von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen beziehen und nicht von fragwürdigen Konzernen mit Profitinteresse.

So möchte es auch das »Bündnis digitale Stadt Berlin«, dem Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen angehören. Diese möchten die digitale Souveränität in die Hände der Bürger*innen legen. »Wir begrüßen, dass sich Berlin diese Fragen stellt«, sagt Bündnisaktivistin Elizabeth Calderón-Lüning. Sie würde sich allerdings einen anderen Prozess wünschen. Treffen mit dem verantwortlichen Staatssekretär Christian Rickerts gab es schon. Dieser plant offenbar eine Online-Plattform für die Bürgerbeteiligung. »Ob das ausreichend ist, um ein Gespräch in der Stadt zu beginnen?« Calderón-Lüning hat Zweifel. Eine breite Aufstellung über alle Bevölkerungsschichten, auch unter Einschluss der Digitalisierungskritik würde, sie bevorzugen.

Doch was sagt die Wissenschaft? Professorin Anke Strüver hat in ihrem 2018 erschienen Buch »Smart City - Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten« verschiedene Beiträge dazu gesammelt. »Die breitere Diskussion auf Ebene der Stadtpolitik gibt es seit ungefähr 2015«, erläutert sie im Gespräch mit »nd«. Zwei Definitionen der »Smart City« hat sie dabei im Kopf: Zum einen die klassische, bei der es zu einer Gleichsetzung mit Digitalisierung in der Stadt kommt, und es beispielsweise um die Vernetzung der Infrastruktur geht. Wenn man den Begriff zum anderen enger fasst, dann bedeute Smart City, tatsächlich eine schlaue Stadt zu entwickeln, so Strüver. Das widerspricht sich natürlich in manchen Teilen.

Grundlegend für die Entwicklung hin zur »Smart City« ist für die Professorin, die im österreichischen Graz Humangeografie lehrt, der Umbau der städtischen Verwaltung in den zurückliegenden 20 Jahren hin zu Management-Konzepten, die solchen von Unternehmen ähneln. »Sprich, alles privatisieren und digitalisieren«, sagt Strüver. So gäben Verwaltungen die Verantwortung ab, aber eben auch die Kontrolle. Damit sei der Nährboden für hoch spezialisierte Konzerne bereitet. Diese richteten nun intelligente Systeme ein, wie zum Beispiel smarte Mülleimer oder Verkehrsregelungssysteme, die die Effizienz steigern sollen. Der Einfluss auf den städtischen Raum mag zwar nicht auf den ersten Blick erkennbar sein, er ist aber ohne Frage da, und er hat auch weitere Folgen: So ist hat zum Beispiel der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware das Überwachungspotenzial am Bahnhof Südkreuz deutlich erhöht.

Für die touristische Vermarktung ist es von Bedeutung, dass der Stadtraum nicht zugemüllt ist, der Verkehr flüssig läuft und ein Sicherheitsgefühl ausstrahlt. Ohnehin überlaufene Großstädte können im Zuge der Entwicklung hin zur Smart City noch effektiver erschlossen werden - wenn auch auf dem Rücken der Anwohner*innen. Ein anderer Punkt: Die Digitalisierung durch private Unternehmen ist mit einem großen Aufwand für den Aufbau der Infrastruktur verbunden. Das ist nicht nur teuer. Dieses Geld fehle der Stadt dann auch in anderen, meist sozialen Bereichen.

Das macht klar: »Analoge Probleme lassen sich nicht digital lösen«, sagt Strüver. Technologisierung allein hilft also nicht. »Die sozialen Grundprobleme bleiben.« Oder werden sogar verschärft, wie der Fall der Ferienwohnungsanbieter Airbnb zeigt: Durch die Online-Plattform wird die Wohnungsknappheit noch dramatischer.

Alleiniger Sündenbock sollte die Digitalisierung allerdings nicht sein: »Es geht nicht darum zu sagen, Digitalisierung ist immer schlecht.« Viele soziale Projekte würden durch Vernetzung ermöglicht - auch digitale. Eine Fetischisierung der Technik dürfe das allerdings nicht mit sich bringen, ein Problembewusstsein mit Gesellschaftsbegriff sei nötig.

Das zeigt das Beispiel Barcelona: Dort habe man Airbnb in die Schranken gewiesen, die digitale Überwachung zurückgebaut und der Öffentlichkeit wiederum zugänglich gemacht - zum Beispiel in Form von freien WLAN-Hotspots, bei denen keine Großkonzerne im Hintergrund agierender, die nur Daten verkaufen möchten. Einher ging dieser Umschwung mit der Wahl einer linken Regierung um die Aktivistin Ada Calau. Das hat auch Katalin Gennburg begeistert: Sie organisierte eine Reise mit dem Ausschuss für Stadtentwicklung in die katalanische Hauptstadt.

Die LINKE-Politikerin bedauert, dass es in Berlin so nicht läuft. Dem widerspricht die Wirtschaftsverwaltung, die zwar den Auftrag an »Ernst & Young« bestätigt, aber die Rolle des Unternehmens herunterspielt. »Die Digitalisierungsstrategie nimmt alle mit«, sagt eine Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) dem »nd«. Auch Bürgerinnen und Bürger sollen als »Stakeholder«, wie es im BWL-Deutsch heißt, bei der Erstellung der Strategie einbezogen werden. Die Verantwortung läge klar in der Hand des Senats, das Unternehmen würde lediglich beraten. Das sei eine »übliche, zielführende und kosteneffiziente Maßnahme« in diesem Bereich.

Nun wird ein Grün- und Weißbuchprozess gestartet, bei dem der aktuelle Stand der Entwicklung und nächste Schritte erarbeitet werden sollen. Ob das reicht und der Situation gemäß schnell genug geht, ist unklar. Zentral für das Zusammenleben ist das Thema jedenfalls, meint Gennburg: »Es geht um gesellschaftliche Teilhabe und den sozialen Zugang zu Digitalisierung.« Jedenfalls nicht nur um ein paar WLAN-Masten.

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