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Köthen will weltoffen sein
Ein Jahr nach umstrittenem Todesfall: Zivilgesellschaft aktiver, ein Afghane abgeschoben
Kein Mensch, kein Vogelzwitschern, nur Wind in den Bäumen, braun-gelbes Laub - und ein einzelnes Grablicht. Lediglich die Kerze darin erinnert an einen tödlichen Streit vor genau einem Jahr, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Der Spielplatz, im Osten der sachsen-anhaltischen Stadt Köthen, auf dem damals Markus B. starb, ist leer.
Am Abend des 8. September 2018 geraten an diesem Ort einige junge Afghanen in Streit. Markus B., wie die Migranten stark alkoholisiert, kommt hinzu. Es gibt Handgreiflichkeiten, der Deutsche geht zu Boden - und stirbt noch in der Nacht. Wie sich später herausstellt, war der 22-Jährige schwer herzkrank und hatte einen Infarkt. Experten finden keine Verletzungen, die von Schlägen oder Tritten herrühren.
Dennoch sind in der Kleinstadt noch lange viele überzeugt: Die Afghanen haben Markus B. umgebracht. Gleichwohl konnten die Personen, die später vor dem Landgericht Dessau-Roßlau als Zeugen befragt wurden, nicht darlegen, was geschehen war. Während einige von einem Schubsen berichteten, erzählten andere von einem oder mehreren Schlägen. Das Gericht geht am Ende davon aus, dass jemand Markus B. mit dem Fuß »stampfend, aber nicht kraftvoll« ins Gesicht getreten habe.
Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen, weil nur zwei Wochen zuvor ein Deutscher in Chemnitz erstochen worden war. Pfarrer Horst Leischner hatte nach den Vorfällen in Köthen vier Wochen lang zu Friedensgebeten geladen. »Aber ich finde es auch sehr wichtig, dass dieses tragische Ereignis nicht instrumentalisiert wird«, sagt er.
Nur einen Tag nach dem Tod von Markus B. nahmen 2500 Menschen bei einer von Rechten initiierten Demonstration teil. Die Stimmung drohte zu eskalieren. »Mit dem Zeitpunkt des Todes und der Auseinandersetzung mit den beiden Afghanen war ja klar, dass wir Chemnitz im Rücken haben«, erinnert sich Leischner. Dennoch hat sich die Lage in Köthen aus seiner Sicht relativ schnell wieder beruhigt, weil die Zivilgesellschaft schnell reagiert habe und »breit aufgestellt« gewesen sei. Köthens Bürgermeister Bernd Hauschild (SPD) ist überzeugt, dass die Lokalpolitik in dem Fall vieles richtig gemacht hat. Zudem hätten Kirche und Polizei wesentlich zur Deeskalation beigetragen, sagt er.
Natürlich seien auch Fehler gemacht worden. So habe er die Bürger damals gebeten, nicht bei den Rechten mitzulaufen, erzählt Hauschild. Darauf hätten viele gemeint: »Ist ja so wie früher, der verbietet uns.«
Richtig sei aber gewesen, Demoanmeldern von außerhalb, egal ob rechts oder links, zu sagen, dies sei nicht erwünscht. Auch die Entscheidung, damals den Tag der offenen Hochschule abzusagen, hält Hauschild nach wie vor für richtig. Man habe damit verhindern wollen, dass Teilnehmer einen negativen Eindruck bekämen, »das in ihre Länder tragen und übermorgen keine Studenten mehr kommen«. Tatsächlich sei man auch im aktuellen Ranking der Hochschulrektorenkonferenz und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung die Einrichtung mit dem höchsten Anteil ausländischer Studierender, sagt der Präsident der Hochschule Anhalt, Jörg Bagdhan.
Bürgermeister Hauschild freut sich derweil, dass der »Alltag wieder eingezogen ist«. Zudem nimmt er seitdem ein deutlich gesteigertes Engagement von Bürgern wahr.
Die beiden in den Vorfall verwickelten Afghanen wurden vom Landgericht Dessau-Roßlau Mitte Mai zu Jugendstrafen von einem Jahr und fünf Monaten sowie einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Der jüngere der beiden, der zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt war, wurde Ende Juli nach Afghanistan abgeschoben. Die Richterin war beim Tatbestand »Körperverletzung mit Todesfolge« geblieben, obwohl die Staatsanwaltschaft den Vorwurf im Zuge der während des Prozesses gewonnenen Erkenntnisse auf »gefährliche Körperverletzung« zurückgestuft hatte. Die Beschuldigten hätten nicht mit der schweren Herzerkrankung ihres Gegenübers rechnen können, hatte die Anklagebehörde dies begründet. Das Urteil wurde Mitte Juni rechtskräftig, nachdem die Verurteilten ihre Anträge auf Revision zurückgenommen hatten.
Im Zusammenhang mit den rechten Demonstrationen im September 2018 sind derweil 72 Ermittlungsverfahren gegen insgesamt 61 Personen eingeleitet worden, wie die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau mitteilte. Ihnen werden Delikte wie Beleidigung, Volksverhetzung, Körperverletzung und Bedrohung vorgeworfen. Zudem wurden Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, gegen das Waffengesetz, öffentliche Aufforderung zur Begehung von Straftaten, Widerstandshandlungen, Sachbeschädigungen und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen festgestellt. 31 Verfahren wurden eingestellt, in 24 Fällen gab es eine Anklage oder einen Strafbefehl. Davon sind 18 rechtskräftig. dpa/nd
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