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Etappensieg für das digitale Proletariat in Kalifornien
Ein neues Gesetz stuft scheinselbstständige Gig-Worker als Angestellte ein - das bedeutet Anspruch auf Sozialleistungen und gewerkschaftliche Organisierung
Die Fahrdienstleister Uber und Lyft haben ein Problem an der Heimatfront, in Kalifornien. Das nun beschlossene Gesetz »Assembly Bill 5«, das aktuell unter dem Hashtag #AB5 in den sozialen Medien für Furore sorgt, hat es in sich. Laut dem Gesetz sind die »Gig-Arbeiter*innen« der Digitalwirtschaft, die etwa als Fahrer für Uber oder als Kuriere für Lieferdienste arbeiten, in Zukunft wie reguläre Beschäftigte zu behandeln. Sie hätten dann Anspruch auf Mindestlohn und Sozialleistungen, die normalen Arbeitsschutzvorschriften würden auch für sie gelten. In der Nacht zum Mittwoch stimmte der Senat des Bundesstaates mit 29 zu 11 Stimmen zu. In der »State Assembly«, dem kalifornische Unterhaus, war das Gesetz zuvor mit einer deutlichen Mehrheit von 59 zu 15 Stimmen verabschiedet worden.
Das Gesetz sei »ein Sieg für alle Arbeiter«, jubelte die California Labour Foundation, ein Dachverband von 1200 Gewerkschaften in Kalifornien, auf Twitter. Man werde es nicht länger zulassen, dass Digitalunternehmen »ein Freifahrtschein ausgestellt wird« und diese ihre »Geschäftskosten auf dem Rücken von Steuerzahlern und Arbeitern abladen«, erklärte die Demokratin Lorena Gonzalez. Sie hatte das Gesetz 2018 eingebracht.
»Assembly Bill 5« schließt eine große Lücke im US-amerikanischen Arbeitsrecht - zumindest in Kalifornien. Derzeit werden die Fahrer*innen von Uber und Lyft als »unabhängige Auftragnehmer« bezeichnet, sie sind damit Schein-Selbstständige. Für die Unternehmen bringt dies große Vorteile, da sie weder Mindestlohn noch Sozialabgaben zahlen müssen. Ebenso werden die Fahrer*innen pro Fahrt und nicht pro Stunde bezahlt, gewerkschaftliche Betätigung ist ihnen untersagt.
Das Gesetz erklärt, dass die Selbstständigkeit nicht gegeben sei. Die Fahrer*innen seien als Quasi-Angestellte abhängig von den Unternehmen: Fahrten laufen nur über die Firmen-App, es gibt keine direkte Verhandlung mit den Kund*innen. Ebenso setzen die Unternehmen die Tarife fest und können kontrollieren, wer Fahrer*in wird. Bei kleinsten Verstößen können diese von der App gesperrt – de facto gekündigt – werden. Die Abhängigkeit geht soweit, dass viele Fahrer*innen Kredite aufnehmen, um sich überhaupt Autos leisten zu können – manchmal sogar über die hauseigenen Autokredite von Uber und Lyft selbst.
Die Gruppe »Rideshare Drivers United«, eine Basisorganisation der Fahrer*innen in Los Angeles berichtet davon, dass die Situation für die Fahrer*innen immer schlimmer und prekärer wird. Mit der Einstufung als reguläre Beschäftigte würden sie nach kalifornischen Arbeitsrecht umfassende Rechte erhalten: neben dem Mindestlohn ist das die Bezahlung von Überstunden, Arbeitsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten. Dabei würde das Gesetz nicht nur Fahrer*innen betreffen, sondern weitere Beschäftigte wie Hausmeister, selbstständige Handwerker oder sonstige Dienstleister.
Kaliforniens Gouverneur, der Demokrat Gavin Newsom, hatte bereits angekündigt, er würde das Gesetz unterschreiben. Das Unterhaus muss nun noch einmal über im Senat verabschiedete Anhänge zum Gesetz abstimmen. Wenn Newssom wie erwartet zustimmt, könnte das Gesetz zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.
Den Unternehmen gefällt diese Entwicklung so gar nicht. Mit den Debatten um #AB5 fiel die Uber-Aktie seit Anfang Juni um ein Drittel, Lyft gar um ein Viertel. Daher versucht man bei den Unternehmen nun nach einer gescheiterten Lobbykampagne, alle Register zu ziehen, um das Gesetz zu verhindern. Das kalifornische Recht sieht die Möglichkeit eines verbindlichen Volksbegehrens vor. In ein solches wollen die beiden Unternehmen laut »New York Times« nun jeweils 30 Millionen US-Dollar investieren. Ebenso viel würde der Essen-Bringdienst Doordash besteuern, weitere Unternehmen könnten sich anschließen.
Um das Gesetz zu verhindern, waren Uber und Lyft auch zu weitreichenden Zugeständnissen bereit: bezahlte Auszeiten, mehr Mitsprache, ein höherer Stundenlohn – alles unter der Bedingung, die eigenen Fahrer*innen nicht als Angestellte behandeln zu müssen. Doch scheint die Gewerkschaftsseite und die politische Linke darauf nicht einzugehen. Elizabeth Warren, Kamala Harris, Pete Buttigieg und Bernie Sanders (allesamt Kandidat*innen der Demokraten für die Präsidentschaft) haben angekündigt, das Gesetz in zu unterstützen. Sanders plant im Falle seiner Präsidentschaft gar ein US-Bundesgesetz nach dem Vorbild von AB5.
Bisher hatten Gewerkschaften und Politik relativ wenig Erfolg dabei, Arbeitsrechte und Standards in der Digitalwirtschaft und in der Plattformökonomie durchzusetzen. In Deutschland versucht gerade die IG Metall gemeinsam mit der Bewegung »Youtubers Union« bessere Arbeitsbedingungen für Videoblogger und transparentere Vergütungsregeln auf der Videoplattform Youtube zu erstreiten. Die Gewerkschaft setzt sich seit einigen Jahren für bessere Arbeitsbedingungen sogenannter Crowdworker ein.
Auch wenn sich durch die zunehmende Digitalisierung Arbeitsformen und -verhältnisse rapide wandeln, zeigt die Verabschiedung von Assembly Bill 5 das die Formen der »traditionellen« Gewerkschaftsarbeit auch in der Gig-Ökonomie funktionieren können. Die Fahrer*innen hatten den Gesetzgebungsprozess bereits mit Streiks, Protesten und Boykotten begleitet – und selbiges angekündigt, sollte das von Uber und Lyft bezahlte Volksbegehren tatsächlich Realität werden.
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