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Kollektivstrafen gegen die Schwächsten
Sanktionen sind kein Instrument gegen Menschenrechtsverbrecher, sie sind selbst Verbrechen, meint Fabian Goldmann
Wenn in China Demonstranten niedergeknüppelt werden, am Golf ein Tanker gekapert wird oder in Brasilien der Regenwald brennt, dauert es nicht lange, bis im Westen Politiker nach Sanktionen rufen. Von zielgerichteten Strafmaßnahmen gegen Menschenrechtsverbrecher ist dann die Rede. Von diplomatischem Druck, um unliebsame Despoten zur Einsicht zu bewegen. Von einer gewaltlosen Alternative zu Bomben und Raketen, um Gesellschaften aus der Unterdrückung ihrer eigenen Herrscher zu befreien. Mit der Realität westlicher Sanktionspolitik hat das Gerede von der Weltverbesserung mittels Zwangsmaßnahmen allerdings nichts zu tun.
Untersuchungen zeigen: Wirtschaftliche Strafmaßnahmen erreichen so gut wie nie ihr Ziel. Nicht einmal fünf Prozent der Sanktionen der vergangenen 80 Jahre konnten ihre Versprechen einlösen. Wirtschaftsembargos, Kontensperren oder Einreiseverbote konnten weder Syriens Präsidenten Baschar Assad zum Machtverzicht bewegen noch Wladimir Putin veranlassen, auf die Krim zu verzichten. In Iran, Kuba, Myanmar oder Nordkorea leiden Menschen seit Jahrzehnten unter Wirtschaftsblockaden des Westens, ohne dass die Herrschaft der dortigen Eliten in Gefahr geriet.
Westliche Sanktionspolitik scheitert aber nicht nur daran, Menschenrechtsverbrechen zu verhindern. Sie befördern sie sogar. Repressionsmaßnahmen wie Folter, politisch motivierte Inhaftierungen und außergerichtliche Tötungen nehmen in von Sanktionen betroffenen Ländern nicht ab, sondern zu. Despoten festigen unter der Drohkulisse der Strafmaßnahmen ihre Macht, Oppositionelle verlieren an Einfluss.
Einen politischen Wandel führen Sanktionen so gut wie nie herbei. Wirkungslos sind sie dennoch nicht. Zahllose Veröffentlichungen von internationalen humanitären Organisationen belegen, dass es vor allem die Zivilbevölkerung ist, die unter den Maßnahmen leidet: Volkswirtschaften brechen zusammen, die Arbeitslosigkeit nimmt rapide zu, die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert sich rasant. Und oftmals führen Sanktionen ganze Länder in die humanitäre Katastrophe.
Anders als zu Zeiten der Irak-Embargos in den 1990ern, als die wirtschaftliche Totalblockade des Landes laut Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen 500 000 Kindern das Leben kostete, tauchen Lebensmittel und Medikamente zwar heute kaum noch auf Sanktionslisten auf. Doch stattdessen sorgen der Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr und Exportverbote für die wichtigsten Einnahmequellen eines Landes dafür, dass Staaten das Lebensnotwendige für ihre Bevölkerung theoretisch zwar ordern, in der Praxis aber nicht bezahlen können. Ob die US-Sanktionen gegen Venezuela, die EU-Sanktionen gegen Syrien oder die internationalen Strafmaßnahmen gegen Nordkorea: Überall auf der Welt tragen Sanktionen dazu bei, dass Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung zusammenbrechen und oftmals sogar Hilfsorganisationen ihre Arbeit einstellen müssen.
»Eine Sache müssen wir alle verstehen: Heutige Wirtschaftssanktionen und Finanzblockaden sind vergleichbar mit mittelalterlichen Belagerungen von Städten mit der Absicht, sie zur Kapitulation zu zwingen«, erklärte der US-amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas im Juni dieses Jahres, nachdem er im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates die Folgen der US-Sanktionen gegen Venezuela untersucht hatte.
Solche »Belagerungen« sind trotz ihrer verheerenden Wirkungen heute so populär wie nie. Über 150 Mal hat der UN-Sicherheitsrat in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftliche Restriktionen beschlossen. Zum Vergleich: In den 1990ern tat er dies nur fünfmal. 8000 einzelne Strafmaßnahmen haben die USA derzeit verhängt, davon 2000 allein in den vergangenen vier Jahren. Über 30 Staaten stehen derzeit auf der Sanktionspolitik der EU.
Mit rund einem Drittel der Erdbevölkerung sind heute mehr Menschen denn je von Wirtschaftssanktionen betroffen. »Zielgerichtet« ist an dieser Politik allenfalls, dass all die Dekrete Resolutionen und Verordnungen, fast immer von wirtschaftlich reichen Staaten auf wirtschaftlich ärmere zielen. Sanktionen sind kein Instrument gegen Menschenrechtsverbrecher, sie sind selbst Menschenrechtsverbrechen. Sie sind keine zielgerichteten Maßnahmen zum Schutz vor Despoten, sondern Kollektivstrafen der Stärksten gegen die Schwächsten.
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