»Ihr könnt auch Fahrrad fahren«

Das Aktionsbündnis »Sand im Getriebe« hat am Sonntag Teile der Automesse IAA lahmgelegt. Messebesucher reagierten mit Unverständnis.

  • Katharina Schwirkus und Sebastian Weiermann, Frankfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die spinnen doch!«, rief ein mittelalter Herr, »Verpisst euch!«, ein anderer und ein Dritter zeigte sich überzeugt: »Ich gehe da jetzt rein.« So reagierten Besucher der Internationalen Automobilausstellung (IAA), als sie am Haupteingang der Frankfurter Messe am Sonntagmorgen auf Hunderte Klimaaktivist*innen trafen, die in weißen Anzügen gehült zwei zentrale Eingäge blockierten. Vor gut zwei Monaten hatte »Sand im Getriebe« angekündigt, die Automesse zu blockieren. Das Bündnis fordert eine »Verkehrsrevolution«, die Autoindustrie heize die Klimakrise an und stehe einer Verkehrswende im Sinne der Gesellschaft im Weg.

»Mit unserer friedlichen Blockade setzen wir ein Zeichen gegen den Autowahn der IAA. Ein echter Wandel hin zu klimafreundlichem Verkehr ist nur gegen die Profitinteressen der Autolobby möglich«, sgate Pressesprecherin Tina Velo zum »nd.« Allen »schönen Reden und Behauptungen zum Trotz: Die Autoindustrie will weiterhin fette Spritschlucker verscheuern. Wenn wir uns nicht in den Weg stellen, machen die Konzerne weiter, als gäbe es kein Morgen – unterstützt von der Bundesregierung«, so Velo weiter. Heute würden die Aktivist*innen »die Verkehrsrevolution auf die Straße bringen.«

Die Klimaaktivist*innen verabredeten sich am Sonntag in aller Früh an verschiedenen Punkten in der Frankfurter Innenstadt. Die Kleingruppen werden als »Finger« mit einer Farbe benannt. Es starteten ein blauer, roter und ein grüner Finger. In dem blauen und grünen Finger waren je etwa 300 Aktivist*innen unterwegs, im roten waren es etwa 100. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad machten sie sich auf den Weg zur IAA. Die Polizei ließ sie dabei meist gewähren und beschränkte sich darauf, die Klimademonstrant*innen zu begleiten.

An der Messe angekommen, ließen sich alle an verschiedenen Eingängen nieder. Als die Messe ihre Türen öffnete, hieß es an zwei von vier Eingängen: Dieser Eingang ist geschlossen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete die Messe schon um 9:17 Uhr die Mitteilung der Schließung des Haupteingangs und empfahl zwei noch geöffnete Zugangsmöglichkeiten. Dies war eine Reaktion, auch auf die hektischen Szenen, die sich zuvor mehrfach abspielten, als IAA-Besucher*innen versuchten, sich durch die Sitzblockaden zu drängeln. Ein Messegast, der besonders rabiat vorging, stürzte dabei und musste im Anschluss medizinisch behandelt werden. Sonst blieben größere Zwischenfälle zwischen Aktivist*innen und Autofans aus. Immer wieder kam es allerdings zu Gerangel zwischen Polizeikräften und Akivist*innen vor dem Haupteingang der Messe. Einige Polizist*innen verließen ihre Reihen, in der sie sich hinter den Aktivist*innen aufgestellt hatten und beschwerten sich dann, wenn die Aktivist*innen sie nicht wieder durchlassen wollten.

Unter den Aktivist*innen waren sowohl ältere Menschen aus der Anti-Atom-Bewegung, als auch sehr junge Teilnehmer*innen von den »Fridays for Future«. Die 17-jährige Jana Boltersdorf war mit einer Gruppe aus Köln angereist. Zum »nd« sagte Boltersdorf:»Ich denke, dass es sich irgendwann ergeben wird, dass 'Fridays for Future' solche Aktionen immer mehr unterstützt, weil unser Protest einfach nicht gehört wird.« Boltersdorf war im grünen Finger vor dem Haupteingang der Messe und berichtete, dass es sehr einfach gewesen sei, die Blockade zu errichten. Sie seien in Kleingruppen gelaufen und einfach an den aufgestellten Polizeibussen vorbeigegangen. Die Einsatzkräfe hätten sie nicht daran gehindert.

Joachim Heier, ein 65 Jahre alter Teilnehmer, der aus der Anti-Atombewegung kommt, war im blauen Finger, der den Eingang West der Messe blockierte. Gegenüber »nd« erklärte er: »In der Anti-Atomkraftwerke-Bewegung haben wir gelernt, dass es wichtig ist, zivilen Ungehorsam zu leisten. Wären wir damals nicht ungehorsam gewesen, ständen heute sicher noch 30 Atomkraftwerke in Deutschland.«

Auch Tadzio Müller, seit vielen Jahren in der Klimabewegung aktiv, zeigte sich überzeugt, dass es Radikalität beim Protest brauche. Er sagte, die radikalen Aktivist*innen hätten zuerst geplant, die Messe zu blockieren und im Anschluss hätten dann einige Nichtregierungsorganisationen die große legale Demonstration am Samstag geplant, an der letztendlich 25.000 Menschen teilnahmen. An beiden Tagen herrschte bei den Demonstrierenden sehr gute Laune. Auch die Polizei, die an beiden Tagen mit mehreren Tausend Beamt*innen im Einsatz gewesen sein dürfte (aber keine Zahl bestätigen noch angeben wollte) zeigte sich ebenfalls überwiegend entspannt.

Einzig gestresst wirkten viele Besucher*innen der Messe, aber das war auch das Ziel der Klimaaktivist*innen. Mit ihrem Protest wollten sie Autofahrer*innen dafür sensibilisieren, über die negativen Nebenwirkzungen ihres Verkehrsmittel nachzudenken. »Ihr könnt auch Fahrrad fahren«, riefen die Menschen in den weißen Overalls den Autfans freundlich und gelassen zu.

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