1,6 Millionen Menschen nutzen Lebensmittel-Tafeln

Mehr Rentner und junge Menschen auf Hilfe angewiesen / Einzige positive Nachricht: 2018 nutzten etwas weniger Flüchtlinge die Tafeln

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Die Zahl der Lebensmitteltafel-Nutzer ist im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf aktuell 1,65 Millionen Menschen angestiegen. Besonders dramatisch sei der Anstieg bei den Senioren um 20 Prozent, sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes Tafel Deutschland, Jochen Brühl, am Mittwoch in Berlin. Völlig inakzeptabel sei auch die Zunahme von Kindern und Jugendlichen bei den Tafeln. Fast 50.000 junge Menschen mehr, ein Plus von zehn Prozent, sind demnach auf die Unterstützung mit Lebensmitteln angewiesen. Insgesamt liegt der Anteil von Kindern und Jugendlichen bei 30 Prozent der Tafel-Nutzer.

»Wir Tafeln sind eine Art Seismograph der Gesellschaft«, sagte Brühl und sprach von einer »alarmierenden Entwicklung«. Niedrige Renten seien nach Langzeitarbeitslosigkeit der zweithäufigste Grund, eine Tafel aufzusuchen. »Altersarmut wird uns in den kommenden Jahren mit großer Wucht überrollen«, warnte der Vorsitzende von Tafel Deutschland.

Zugleich wüchsen mit aktuell 500.000 bedürftigen Kindern und Jugendlichen die »Altersarmen von morgen heran«. Es zeige sich immer deutlicher, auch Armut werde vererbt, sagte Brühl. Es sei gefährlich für die Gesellschaft, wenn sich ein Teil generationenübergreifend als abgehängt betrachte. Einen Rückgang hat es dagegen bei Flüchtlingen um sechs auf 20 Prozent gegeben.

Brühl kritisierte, diese Entwicklung sei seit zehn Jahren absehbar, seit vier Jahren würden die Tafeln darauf hinweisen - ohne ein Echo in der Politik. »Das Thema Armut braucht lösungsorientierte Vorschläge und muss ganz oben auf die politische Agenda gepackt werden«, forderte der Tafel-Chef.

Bundesweit gibt es derzeit 947 Tafeln mit 60.000 Mitarbeitern. 90 Prozent der Mitarbeiter engagieren sich demnach ehrenamtlich. »Sie spenden 20,4 Millionen Stunden Zeit pro Jahr«, sagte Brühl. Bekämen sie Mindestlohn, entspreche das einem finanziellen Gegenwert von 180 Millionen Euro. Gleichzeitig gehe die Zahl der Ehrenamtsstunden leicht zurück. Die Mehrheit der Helferinnen und Helfer sind Frauen (61 Prozent) und Senioren (63 Prozent). 20 Prozent sind Bedürftige oder frühere Bedürftige. Nur sechs Prozent der Ehrenamtlichen sind unter 30-Jährige. Manches freiwillige Engagement scheitere schon am zu teuren Busticket, das sich mögliche Helfer nicht täglich leisten können, sagte Brühl. Auch deshalb fordert er staatliche Unterstützung für die Tafeln.

Mit ihrem Engagement retteten die Tafeln gut 265.000 Tonnen Lebensmittel im Jahr, sagte Tafel-Geschäftsführerin Evelin Schulz. Doch es könnte noch mehr sein, denn vernichtet würden in Deutschland bis zu 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr. »Den Tafeln fehlt es aber an Geld für mehr Kühlfahrzeuge und Lagerkapazitäten - und vor allem brauchen sie mehr Helferinnen und Helfer«, sagte Schulz. Bislang hätten die Tafeln bundesweit zehn kleinere und größere Logistik-Lager. Nötig wären mindestens zehn weitere Standorte. Der Unterhalt eines Logistikzentrums koste aber alleine an Betriebs- und Verwaltungskosten 50.000 Euro im Jahr. Die bundesweit erste Tafel wurde vor 26 Jahren, 1993, in Berlin gegründet. epd/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.