Im Wald gestorben

Vor einem Jahr verunglückte der Dokumentarfilmers Steffen Meyn bei der Räumung des Hambacher Forsts

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Verhalten der Polizei war es, das Steffen Meyn auf die Bäume getrieben hat. Der 27-jährige studierte an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Im Rahmen seines Studiums arbeitete er an einer Dokumentation über das Leben der Waldbesetzer*innen im Hambacher Forst. Die Aktivist*innen wollen verhindern, das der Wald in Nordrhein-Westfalen von RWE gerodet und auf dem Gebiet Braunkohle abbaut.

Die polizeilichen Absperrungen bei der Räumung empfand Meyn als zu weiträumig. Für ihn war es so nicht möglich, den Einsatz filmisch zu dokumentieren. Also entschloss er sich, in die Baumhäuser von »Beechtown« zu klettern. Am 18. September 2018 twittert er: »Nachdem die Presse in den letzten Tagen im #HambacherForst oft in ihrer Arbeit eingeschränkt wurde, bin ich nun in 25m Höhe auf Beechtown, um die Räumungsarbeiten zu dokumentieren. Hier oben ist kein Absperrband.« Einen Tag später stürzt Meyn von einer Traverse zwischen den Bäumen ab. Ein Brett, auf dem er gestanden hat, ist wahrscheinlich gebrochen. Eine direkte Einwirkung der Polizei gab es nicht. Am Donnerstag ist der erste Todestag von Steffen Meyn.

Auf dem Blog des Hambacher Forst wurde folgende Erklärung veröffentlicht:
»Ein Freund, der uns seit längerer Zeit im Wald journalistisch begleitet hat, ist heute von einer über 20m hohen Hängebrücke in Beechtown gefallen und gestorben. Zu dem Zeitpunkt wurde von Polizei und RWE versucht, das Baumhausdorf zu räumen. Das SEK war gerade dabei, einen Aktivisten in der Nähe der Hängebrücke festzunehmen. Der Mensch war anscheinend auf dem Weg dorthin, als er stürzte«, heißt es darin. Und weiter: »Wir sind zutiefst erschüttert. Alle unsere Gedanken und Wünsche sind bei ihm. Unser Mitgefühl geht an all die Angehörigen, Freund*innen und Menschen, die sich betroffen fühlen. Wir fordern die Polizei und RWE auf, den Wald sofort zu verlassen und diesen gefährlichen Einsatz zu stoppen. Es dürfen keine weiteren Menschenleben gefährdet werden. Was jetzt nötig ist, ist ein Moment der Ruhe.«

Diesen Moment gab es nicht. Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte zwar an, die Räumung auszusetzen, aber die Polizei blieb im Wald. Als sich 24 Stunden nach Meyns Absturz Freund*innen und Aktivist*innen in »Beechtown« versammeln, will die Polizei die Personalien von einer Aktivistin, die sich gerade von einem Baum abgeseilt hat, feststellen und ihren Klettergurt beschlagnahmen. Ein richtiges zur Ruhekommen ist unter diesen Umständen nicht möglich.

Schwere Anschuldigungen an die Adresse der Aktivist*innen folgten. Reul erklärte, die Waldbesetzer*innen hätten sich nicht für den Tod von Steffen Meyn interessiert. Eine Einsatzhundertschaft aus Essen habe ihm davon berichtet, wie Besetzer*innen nach dem Tod Meyns »Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr!« skandiert hätten. Der Minister zeigte sich entsetzt von dem Verhalten der Besetzer*innen.

Allerdings hatte Reuls Bericht einen kleinen Schönheitsfehler. Niemand in der Nähe der Absturzstelle hatte etwas von solchen Parolen mitbekommen. Auch auf Videos ist davon nichts zu hören. Auf Nachfrage korrigierte sich Reul zum Teil, ließ Örtlichkeit und genaue Zeit der Parolen offen.

In einer Stellungnahme zeigt sich auch die Familie von Meyn entsetzt über das Verhalten des CDU-Politikers: Als »unerträglich empfinden wir die für uns aus der Luft gegriffene Schuldzuweisungen des Innenministers Reul, dass die Erbauer*innen der Hängebrücke Schuld an Steffens Tod seien. Auch seine Behauptung, Aktivist*innen hätten hämische Bemerkungen über seinen Tod gemacht, stellt eine unerhörte und nachweislich falsche Aussage dar. Wir empfinden, dass der Innenminister den Tod Steffens benutzt, um gegen die Baumhausbewohner*innen zu hetzen. Selbst Wochen nach dem Ereignis wiederholt Innenminister Reul diese Aussagen trotz inzwischen klarer Beweislage, dass diese Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen.«

Vier Tage nach dem tödlichen Unfall von Steffen Meyn rückte die Polizei wieder mit schwerem Gerät im Hambacher Forst an. Die Räumung des Waldes wurde fortgesetzt. Den tödlichen Sturz nutzte die Polizei für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit. Er habe gezeigt, dass »Lebensgefahr für alle Beteiligten in den Baumhäusern« bestehe. Die Beamten forderten die Aktivist*innen dazu auf, die Häuser zu verlassen.

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