Investorenschreck

Der heftige Protest gegen ein geplantes Logistikgebiet in Nordhessen hat den Standort zunehmend unattraktiv gemacht

Staatssekretär Jens Deutschendorf muss etwa 20 Meter durch eine Gasse von Demonstrierenden laufen, um zum Gemeindehaus in Hebenshausen zu gelangen. Ein Protestlied zur Bodenversiegelung begleitet ihn. Deutschendorf und sein Begleiter Marco Kreuter aus dem hessischen Wirtschaftsministerium sind sichtlich beeindruckt von dem Empfang. Als das Lied verstummt, redet er mit den Gegnern des geplanten Logistikgebiets in der Gemeinde Neu-Eichenberg. Er hört von ihrer Sorge, die Kommune könne auf den Planungskosten für das Mega-Projekt sitzenbleiben, wenn sie sich dagegen entscheidet. Die belaufen sich mittlerweile auf rund 1,5 Millionen Euro. Die landeseigene Hessische Landgesellschaft, über die der Verkauf der 81 Hektar großen Fläche abgewickelt wird, könnte das Geld von der Gemeinde zurückverlangen.

Das Land lasse die Kommune im Falle eines Ausstiegs nicht alleine; einen Bankrott werde es nicht geben, verspricht Deutschendorf - ohne jedoch konkret zu werden. »Wir sind hier, weil wir dialogbereit sind«, sagt er, aus Wiesbaden kommend, um mit Gemeindevertretern über das Projekt zu beraten. Vor einem Jahr erst hat der Landtag mit großer Mehrheit einen Verkauf der Domänenfläche beschlossen. Nun muss noch die Gemeinde zustimmen, um das seit 2003 geplante Großprojekt umzusetzen. Dann können auf dem Acker Blechhallen für Handelshäuser gebaut werden, die größer sind als das angrenzende Hebenshausen selbst.

Diese Entscheidung wolle das Land der Kommune nicht abnehmen, erklärt Deutschendorf als Vertreter der schwarz-grünen Landesregierung, die sich vorgenommen hat, wirtschaftliche und ökologische Belange miteinander in Einklang zu bringen.

Die Gemeinde Neu-Eichenberg erscheint in Bezug auf das geplante Logistikgebiet aber zunehmend ratlos. Wegen Hunderten von Einwänden der Bürger ist das Vorhaben nämlich ins Stocken geraten. »Die machen eine neue Begutachtung erforderlich«, erklärt Bürgermeister Jens Wilhelm (SPD) gegenüber »nd«. Dafür hat die Gemeindeversammlung auf ihrer letzten Sitzung am 2. September noch einmal 45 000 Euro für juristischen Beistand beschlossen, um Rechtssicherheit für das Projekt herzustellen. Wilhelm, ein Befürworter des Vorhabens - er verspricht sich davon Arbeitsplätze und Einnahmen für die Gemeinde - hatte unlängst angekündigt, dass für die Änderungen eine dritte Offenlegung der Pläne nötig wird. Ob bis zum Jahresende eine Baugenehmigung erteilt werden kann, ist eher unwahrscheinlich.

Nun gibt es lediglich einen Vorvertrag mit dem Projektentwickler Dietz, der bis Ende Dezember gilt. Und offenbar steht das Unternehmen jetzt vor dem Absprung. Der Gemeinde erteilte es eine Absage. Der Vorstand Hafez Balaei begründete dies in einem Brief mit der langen Planung und dem intensiven Protest. Dem »nd« liegt das auf den 28. August datierte Schreiben vor. Die »Maßnahmen der Verfahrensgegner hätten dazu beigetragen, dass der Standort für den potenziellen Nutzerkreis - um es positiv zu formulieren - enorm an Attraktivität eingebüßt hat«, schreibt er.

Die »Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg« hat im vergangenen Jahr großen Zulauf erhalten. Zudem haben Klimaaktivisten einen Teil des brachliegenden Ackers am Dorfrand von Hebenshausen im Mai besetzt. »Wir sind das Investitionsrisiko«, lautet einer ihrer Slogans. Es scheint, als hätte der Protest Wirkung gezeigt.

Die Bürgerinitiative hat Wilhelm noch zusätzlich unter Druck gesetzt und eine Fachaufsichtsbeschwerde an den Landrat des Werra-Meißner-Kreises und den Regierungspräsidenten in Kassel eingereicht. Er soll in der Gemeindeversammlung nämlich verschwiegen haben, dass Dietz den auslaufenden Vertrag zum Jahresende nicht verlängern will. Dadurch sei ein falscher Sachverhalt dargestellt worden, was dazu führte, dass mit einer knappen Mehrheit von einer Stimme die zusätzlichen Anwaltskosten bewilligt wurden.

Wilhelm zeigt sich überrascht von der Beschwerde. Wie der Brief der Dietz AG an ihn in die Hände der Bürgerinitiative gelangen konnte, ist ihm rätselhaft. Indes hofft er aber, den Investor doch noch zu halten. Nach der Absage hat er noch einmal den Kontakt mit Balaei gesucht. Er zeigt in seinem Büro eine E-Mail vom 2. September. Darin nennt der Dietz-Vorstand die Bedingungen, unter denen er in neue Verhandlungen treten würde: Es müsse Rechtssicherheit herrschen, und das Projekt müsse »von einer Mehrheit getragen« werden - sprich: Die Ablehnung in Neu-Eichenberg gegen das Vorhaben müsse weichen. Danach sieht es derzeit aber nicht aus.

Wie es weitergeht, ist völlig offen. Auch Wilhelm mag keine Prognose abgeben. Nur eines ist klar: Durch die Beschwerde hat sich sein Verhältnis zur Bürgerinitiative verschlechtert. »Natürlich bin ich angefressen«, sagt er. Dabei tritt er gegenüber Gegnern des Vorhabens ohnehin reserviert auf. Als Deutschendorf zu Besuch kam und mit Demonstrierenden diskutierte, stand Wilhelm am Eingang des Gemeindehauses - beinahe wie ein Türsteher. Er suchte nicht das Gespräch, sondern sorgte dafür, dass es ein Drinnen und Draußen gab.

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