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Kompromiss führt zu null Treffern

Die neue Liste der Bundesärztekammer hilft ungewollt Schwangeren kaum

  • Lea Schönborn und Lotte Laloire
  • Lesedauer: 5 Min.

Lena hat die ersten beiden Ziffern ihrer Postleitzahl eingegeben. Null Treffer. Die 23-jährige Studentin wollte eine Ärztin für einen Schwangerschaftsabbruch finden. Auf der neuen Liste der Bundesärztekammer stehen 215 Namen für Deutschland. In der Gegend von Münster: keiner.

Die beispielsweise unter www.familienplanung.de einsehbare Liste ist ein zentraler Bestandteil des Kompromisses, den die Bundesregierung Anfang des Jahres beschlossen hatte. Damals wurde auch der umstrittene Paragraf 219a Strafgesetzbuch dahingehend ergänzt, dass Ärzt*innen nun auf ihren Websites darüber informieren dürfen, dass sie Abbrüche durchführen, nicht aber über die Art und Weise, wie sie behandeln.

Doch Diskussionen und starke Emotionen bestehen fort, niemand scheint mit dem Kompromiss wirklich zufrieden zu sein. Viele Abtreibungsgegner*innen wie jene, die am Samstag beim »Marsch für das Leben« in Berlin demonstrierten, wollen Abtreibung komplett verbieten. Feminist*innen, die diese Woche weltweit zu Tausenden auf die Straße gehen, kritisieren indes, dass der Zugang zu reproduktiven Maßnahmen nach wie vor schlecht ist.

Praktisch soll die nach der Gesetzesänderung im Juli veröffentlichte Liste ungewollt Schwangeren helfen, einen Arzt oder eine Ärztin für den Abbruch zu finden. Doch sie ist bei Weitem nicht vollständig. Ein kleiner Test zeigt: Für den gesamten Postleitzahlbereich, der mit vier beginnt und das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet einschließt, stehen darauf gerade einmal elf Praxen.

Tatsächlich gibt es in ganz Deutschland aber um die 1200 Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, schätzen Fachleute. »Die Liste ist nicht nur lückenhaft, sie geht auch am eigentlichen Problem vorbei«, sagt die Bundestagsabgeordnete der LINKE, Cornelia Möhring, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt.

Ob Paragraf 219a im Bund bald noch einmal diskutiert wird, steht in den Sternen. Die Große Koalition scheint froh darüber, dass das Thema endlich vom Tisch ist. Die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, findet, dass die Neuregelung »tragfähig« sei. »Sie beruht auf einem Kompromiss, mit dem Ziel, den Streit um Paragraf 219a nun beizulegen«, sagt sie »nd«. Neben vielen Mitgliedern von CDU und CSU steht auch die AfD auf der Seite der selbst ernannten »Lebensschützer«. So schreibt sie in ihrem Wahlprogramm: »Schwangerschaftskonfliktberatung muss tatsächlich dem Schutz des Lebens dienen.« Das kann so verstanden werden, dass Schwangere in jedem Fall zum Austragen des Kindes gebracht werden sollen.

Die Opposition sieht das anders. Der FDP, den Grünen und der LINKEN geht der Kompromiss nicht weit genug. Stephan Thomae, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag, sagt »nd«: »Es ist ein Trauerspiel, dass die Große Koalition, allen voran die SPD, Frauen und Ärzte weiterhin im Stich lässt.«

Eine Wiederaufnahme der Debatte sieht Möhring nur bei einem Platzen der Großen Koalition oder durch eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Bei einer solchen Klage würde geprüft, ob der Paragraf mit den Normen des Grundgesetzes in Einklang steht. Die Fraktionen von Grünen, LINKE und der FDP hatten das als gemeinsamen nächsten Schritt angedacht. Doch dann hatte sich die FDP von dem Vorhaben losgesagt. Eine interne Prüfung der FDP habe ergeben, dass die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags als »gering« einzustufen seien. Und ohne die FDP können die Grünen und die LINKE das Quorum von 25 Prozent aller Stimmen im Bundestag nicht erreichen.

Die Studentin Lena hat für ihren Schwangerschaftsabbruch letztlich über einen anderen Weg Informationen und eine Ärztin gefunden: bei Pro Familia. Der Verband unterhält deutschlandweit Anlaufstellen, wo ungewollt Schwangere Unterstützung finden. Er finanziert sich durch Spenden und Gelder vom Bundesministerium fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend.

Pro Familia darf auch die obligatorischen Beratungsscheine ausstellen, die Schwangere für einen Abbruch in Praxen oder Krankenhäusern vorlegen müssen. Als Lena dort war, gab es dort eine Liste mit rund 15 Namen von Ärzt*innen allein aus ihrer Region. »Wäre dieser Termin nicht Pflicht gewesen, wäre ich nicht hingegangen«, sagt Lena. Im Nachhinein findet sie die Beratungspflicht gut. Cornelia Möhring und viele andere fordern stattdessen ein Recht auf Beratung, die freiwillig in Anspruch genommen werden kann. »Durch die Pflicht wird die Selbstbestimmung der Frau infrage gestellt«, sagt Möhring.

Lena betont noch eine weitere Bedingung für Beratungen: Sie dürfen nicht manipulativ sein. Sie hält es für Glück, dass sie direkt bei »Pro Familia« gelandet ist. Dort müssen die Berater*innen sich zwar an die strengen gesetzlichen Vorgaben halten, doch in vielen Einrichtungen arbeiten Feminist*innen, denen die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren am Herzen liegt.

Wäre Lena hingegen auf die antifemistische Website von »Pro Femina« gestoßen, hätte es anders ausgehen können: Die Seite wirkt professionell und gibt sich als unabhängig. Seit einigen Monaten betreibt die dahinterstehende Organisation sogar Beratungsstellen wie in Berlin, die aber keine offiziellen Beratungsscheine ausstellen dürfen. Wenn Betroffene sich mit »Pro Femina« einlassen, kann das dazu führen, dass sie wertvolle Zeit verlieren und im schlimmsten Fall die Frist von 14 Wochen ab dem ersten Tag der letzten Regelblutung verstreicht, in der ein Abbruch nach der Beratungsregelung vorgenommen werden darf.
»Ich wusste das zum Glück vorher und habe mich beim Suchen deshalb nur an Seiten gewendet, deren Name mir etwas gesagt hat.« Ihr damaliger Freund war sich dessen nicht bewusst und hat ihr nach dem ersten Googeln schockiert von den manipulierenden Seiten berichtet.

Der Fall zeigt, dass Betroffene nach wie vor im Internet Rat suchen. Weder die Änderung von Paragraf 219a noch die Liste der Bundesärztekammer haben Lena geholfen. Auch deshalb hat die Studentin sich am Samstag an den Protesten für mehr sexuelle Selbstbestimmung und die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beteiligt. Sie sagt: »Die Erfahrungen am eigenen Körper haben mich politisiert.«

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