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Go Alba!
Andreas Koristka über die Pausengestaltung beim Berliner Basketball-Bundesligisten
Wer sich in Deutschland für Basketball interessiert, der hat es in der Regel gut. Es gibt über dieses etwas peinliche, aber recht exklusive Hobby keine nennenswerten Berichterstattung in Zeitungen oder im Fernsehen. Wenn es sie doch einmal gibt, dann ist sie in der Regel mit Fehlern durchsetzt. Die Rede ist dann oft von »Anwurfzeiten«, »Zwei-Körbe-Führungen« oder von »sicher verwandelten Freistößen«. All das gibt es im Basketball nicht. Und die kleine nerdige Basketballgemeinde sammelt die Fehler dieser Berichte in eigenen Threads ihrer Internetforen. Dabei kichert sie, bis ihren Mitgliedern die Brillen von der Nase rutschen.
Doch letzte Woche war alles anders. Alba Berlin gab bekannt, dass man fortan auf Cheerleader verzichten und stattdessen lieber den Frauenbasketball im Verein stärken möchte. Laut Statement des Clubs findet man es bei Alba nicht mehr zeitgemäß, wenn sich Männer beim Verrichten ihrer Tätigkeit von halbnackten Damen beklatschen lassen.
Ein Skandal! Plötzlich waren Millionen von Deutschen empört. Ein Shitstorm tobte in den sozialen Medien. Vom Vorwurf, dass Alba dem Druck von Islamisten nicht standgehalten habe, bis zu dem, dass der Verein Teil einer linksgrün versifften Weltverschwörung sei, war alles dabei, was derzeit so von den Nervenheilanstalten direkt in den politischen Diskurs schwappt. Die überkorrekten Berliner verbieten Cheerleading! Wo kommen wir da hin? Was kommt als nächstes? Wird das Binnen-I verpflichtend? Werden jedem Mann mit einer rostigen stumpfen Schere die Eier abgeschnitten?
Sogar Sportminister Horst Seehofer, der - so munkelt man - gern durch ein Spalier applaudierender Sekretärinnen schreitet, sprach sich gegen die Abschaffung des Cheerleadersports aus. Es gab Artikel in »Bild«, »Zeit« und »FAZ«. Bei letztgenannter möchte man in der testosterongeschwängerten Luft der Redaktion nicht auf Cheerjournalistinnen verzichten, die abgestellt werden, um in dieser schrecklichen Zeit, in der Mann nicht mehr alles sagen darf, die Meinung der Männer wiederzugeben. Johanna Dürrholz legte wahrscheinlich ihre Pom Poms, diese riesigen Winkepuschel, ab, bevor sie schrieb: »Niemandem, vor allem keiner Sportlerin, ist geholfen, wenn Männer oder Vereine oder die Gesellschaft jetzt wieder Frauen vorschreiben, was sie zu tragen, wie sie sich zu geben haben.«
Das ist natürlich alles korrekt. Aber es ist auch scheinheilig. Bei der Abschaffung der Alba-Cheerleader ist die Aufregung groß. Aber wo waren die Bedenkenträger und Kritiker, die das Halbzeitprogramm des deutschen Basketball-Vizemeisters so aufmerksam verfolgen, als vor Jahren zwei Maskottchen ohne Kommentar abgeschafft wurden? Haben überdimensionale Plüschfiguren keine Gefühle? Die Lobby für diese possierlichen Kreaturen ist erschreckend klein. Dabei sind es soziale Wesen, die in hochkomplexen Familienstrukturen leben. Zitat von der Alba-Hompage: »Einst gab es den Albatros im Doppelpack. Nachdem der Original-Albatros während eines Heimspiels Nachwuchs bekommen hatte (der ›Alba-Spross‹ schlüpfte aus einem überdimensionalen Ei), betrat für kurze Zeit der ›Alba-Boss‹ die Bühne - ein Albatros im Superhelden-Outfit.«
Dann waren plötzlich beide nicht mehr da. Sind sie verschollen? Wurden sie umgebracht von einem gewissenlosen Basketballverein, der meint, er könnte sich über den gesellschaftlichen Auftrag, die Fortpflanzung seltener Seevögel im Rahmen seines Pausenprogramms zu thematisieren, einfach so hinwegsetzen? Damals schwiegen die Medien.
Es bleibt ein ungutes Gefühl. Auch wenn beide Tiere doch nicht geschlachtet wurden und sich bis zum heutigen Tag bester Gesundheit erfreuen, werden wir das leider nie erfahren. Denn über Basketball gibt es in Deutschland keine nennenswerte Berichterstattung.
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