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Extreme Fantasien
Die Gleichsetzung von links und rechts hat Konjunktur. Das wirkt sich auch auf »die Mitte« aus, meint Sebastian Friedrich
Es war mehr als nur ein Hauch Kalter Krieg, der durch das Europäische Parlament pfiff: Am 19. September wurde dort eine Entschließung verabschiedet, in der die Sowjetunion mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt wird. Das Europaparlament fordert eine Erinnerungskultur, »die die Verbrechen faschistischer, stalinistischer und anderer totalitärer und autoritärer früherer (!) Zeiten ablehnt«. Nazis und Kommunisten sind sich eben doch gleich, weil jeweils irgendwie totalitär, lautet das Credo des Textes.
Eine große Mehrheit stimmte für die Entschließung zur »Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas« - darunter auch Ska Keller, Sven Giegold (beide Grüne) und Nico Semsrott (Die PARTEI) von der Grünen-Fraktion. Martin Sonneborn (ebenfalls Die PARTEI) hatte zunächst auch dafür gestimmt, das jedoch später korrigiert.
Nicht nur im Europäischen Parlament geraten Linke wieder vermehrt unter Verdacht, unterm Strich den Nazis ähnlich zu sein. Jüngstes Beispiel: Im Bundestag erteilte Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) der Abgeordneten Martina Renner (LINKE) einen Ordnungsruf, weil sie einen Antifa-Anstecker trug. Für die Ermahnung gab es Beifall von Abgeordneten der AfD, FDP und CDU. Renner sprach sich in ihrer Rede übrigens gegen einen Antrag der AfD-Fraktion aus, der diesen Titel trug: »Antiextremistischer Grundkonsens in Politik und Gesellschaft - Rechtsstaat und Demokratie schützen - Antifa ächten«. Letzteres hat offensichtlich geklappt.
Die Extremismuslogik trendet mal wieder. Die Extremismusfantasten argumentieren so: Die vergangenen Jahre habe man sich sehr viel, vielleicht sogar zu viel, mit den Rechten beschäftigt. Da sei der böse Linksextremismus ein wenig aus dem Blick geraten. Bei den Aktionsformen sind zeitgenössische Linksextremisten von Rechtsextremisten ja auch wirklich kaum zu unterschieden. Denn Leute, die Lokalpolitiker erschießen, Menschen über Marktplätze jagen und jahrelang durch Deutschland reisen, um wahllos Leute zu ermorden, sind ja schwer zu unterschieden von Leuten, die in leer stehenden Häusern wohnen, eine Sitzblockade machen oder Menschen aus dem Mittelmeer vor dem Ertrinken retten. Linke und Rechte nähern sich zumindest in der Wahl ihrer Mittel an, behaupten sich als differenziert verstehende Extremismusfantasten. Als Beispiel muss die Gewalt herhalten. Ob in der Nacht der SUV des Nachbarn oder der Nachbar selbst brennt: Extrem sei beides.
Wer links und rechts per se, also auch inhaltlich, gleichsetzt, unterzeichnet seine intellektuelle Bankrotterklärung. Diejenigen, die das tun, hören ganz auf ihr Bauchgefühl: Ränder sind schlecht und die Wahrheit liegt immer (wirklich immer!) irgendwo in der Mitte. Dass Linke soziale Gleichheit zwischen Menschen erreichen wollen, Rechte auf Ungleichheit und Ungleichwertigkeit pochen, Linke auf die Massenherrschaft, Rechte hingegen auf die Herrschaft einer Elite setzen, ist ihnen egal. Schließlich teilen beide ein entscheidendes Merkmal: Nicht-Mitte zu sein.
Tragisch enden könnten diese Extremismusfantasien für die ominöse Mitte selbst. Heute geht es um »die« Antifa, die aus der Gesellschaft gedrängt werden soll. Gelingt das, stellt sich die Frage, wer dann eigentlich noch linksextrem ist? Die Verfechter der Extremismuslogik bestimmen die Mitte ebenso wie rechts und links nicht inhaltlich. Sie sind deshalb auf die Pole angewiesen. Heute trifft es die Antifa, morgen sind vielleicht die Linksliberalen die nächsten Linkextremisten. Übermorgen droht der Sozialdemokratie ein ähnliches Schicksal, sofern sie dann überhaupt noch existiert. Es folgen die Liberalen und so weiter. Währenddessen verschiebt sich die Mitte immer weiter nach rechts. Das erklärt auch, warum die Rechten ganz weit vorne sind, alles, was ihnen nicht in ihrem Kram passt, am liebsten als linksextrem einzustufen.
Auch die selbst ernannte Mitte oder zumindest die, die ein wahrhaftes Interesse daran haben, dass die Rechten nicht eines Tages den Takt vorgeben, haben guten Grund, sich gegen die Extremismusfantasien zu stellen. Ob irgendwann völkische Nationalisten die Mitte der Gesellschaft bilden, wird wesentlich davon abhängen, wie sich die heutige Mitte positioniert. Noch hat sie die Chance, die Säge beiseite zu legen und nicht weiter an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzt.
Sebastian Friedrich, Jahrgang 1985, ist Journalist mit dem Schwerpunkt »Neue Rechte«. Er hat das Buch »Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen« veröffentlicht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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