Mach dir keinen Kopf!

Julia Wycisk telefoniert dem ostdeutschen Wortschatz hinterher

  • Julia Wycisk
  • Lesedauer: 2 Min.

Kann ein Buchstabe es bewerkstelligen, die Einheit zu zerbrechen? »No«, sagt die sächsisch sozialisierte Person und nickt bejahend. Der gemeine Wessi ist verwirrt - und hat noch nicht einmal gemerkt, dass sein Gegenüber eigentlich »nu« gesagt hat. Anfang der 90er wäre das ein passender Moment gewesen, um das »Sprachberatungstelefon« der Uni Halle anzurufen. Doch die dort beschäftigten Germanist*innen wurden zumeist von Menschen aus den »neuen Bundesländern« angerufen, um Begriffe wie »Lohnsteuerjahresausgleich« oder »Sozialversicherungsnummer« abzuklären.

Die Wende kam, noch bevor die vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht prophezeite Auflösung der gesamtdeutschen Sprache eintreten konnte. Stattdessen wurden 1989 etliche Wörter aus dem Sprachgebrauch der DDR ersetzt und an die neuen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Die Belegschaften wurden angewiesen, das westdeutsche Ohr zu schonen und unbekannte Wörter wie »Kader«, »Brigade« oder »Werktätiger« zu unterlassen. Das »Kollektiv« wurde zum »Team«.

Während dieser Angleichung an den westdeutschen Sprachgebrauch wurden 2000 bis 3000 Wörter von dort übernommen, doch allein 14 ostdeutsche Vokabeln wanderten in den gesamtdeutschen Wortschatz. Getarnt als sprachliche Übersetzungsleistung führte dies auch zu Missverständnissen auf symbolisch-politischer Ebene - und erzählt davon, welche Puzzleteilchen des ost- und westdeutschen Habitus nach der Wende als normal und welche als abweichend einsortiert wurden. Der »Broiler« zeigt sich dabei so wenderesistent wie mancher Ossi oder Wessi.

Was ist schief gelaufen, wenn die Wortwahl beim Bestellen von Brathähnchen zum Akt des Widerstands wird? Die nicht enden wollenden Erzählungen, wie denn nun Ossis oder Wessis im Kern beschaffen sind, was der BMW vor Nachbars Haus zu suchen hat, wer mit oder ohne Bikini in den See springt und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen seien, vermochte auch das »Sprachberatungstelefon« nicht aufzuhalten.

Und wo ruft man an, wenn sich noch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall notorische »Jammerossis« und »Besserwessis« nur unter Vorbehalt über den Weg trauen? Ein kluger Telefonservice mit gesammeltem Wissen aus 30 Jahren könnte vielleicht dazu ermutigen, neugierig zu bleiben im Spannungsfeld von Balaton und Ballermann. Und uns um Normalität keinen Kopf zu machen - übrigens eine der wenigen Ostwendungen, die sich bis heute auch im westdeutschen Jargon festgesetzt hat.

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