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Ein Leben für Mumia Abu-Jamal
Michael Schiffmann fordert seit Jahrzehnten die Freilassung des ehemaligen Black-Panther-Mitglieds. Die Aufhebung der Todesstrafe des berühmten Häftlings ist auch ihm zu verdanken.
Stellen Sie sich vor, Sie besuchen ein Hochsicherheitsgefängnis. An jeder Ecke des Gebäudes steht ein Wachturm, von dem aus das Personal jeden Ein- und Ausgang beobachten kann. Sie werden durch schwere, elektronisch betriebene Stahltore gewunken, die donnernd hinter Ihnen ins Schloss fallen. Jeder einzelne Schritt wird von einem bewaffneten Polizisten begleitet. In der Mitte des Gefängnisses dann der Besuchsraum, denn immerhin sind Sie kein Häftling, sondern Sie schauen lediglich vorbei. Häftling ist der Aktivist und Journalist Mumia Abu-Jamal, ehemaliges Mitglied der Black Panther Party, einer der berühmtesten Häftlinge der Welt.
Es war im Jahr 2010, als Michael Schiffmann in die USA flog und zusammen mit einem Berliner Genossen Abu-Jamal im Todestrakt besuchte. Schiffmann war aufgeregt. Wegen der hohen Sicherheitsvorkehrungen. Aber auch, weil er zum ersten Mal den Mann traf, für dessen Freilassung er sich seit über zehn Jahren einsetzte. Abu-Jamal selbst, »mit Dreadlocks bis zum Boden«, sei vergleichsweise entspannt gewesen.
Schiffmann mutet an wie der Archetypus eines linken Aktivisten: Er trägt lange blonde Haare und Bart und ein »Free Mumia«-Shirt. Die Heidelberger Studierendenkneipe »Drugstore« ist verraucht, im Hintergrund läuft Nina Hagens »Du hast den Farbfilm vergessen«. Vor Schiffmann steht ein Glas Weißwein, daneben liegen ein Buch über Jeremy Corbyn und ein paar linke Zeitungen. Er könnte sich ebenso gut gerade auf dem Bündnisplenum einer Demonstration gegen Rechts befinden.
Doch er ist nicht nur Aktivist, sondern auch Dozent für Linguistik und Anglistik an der Universität Heidelberg. Im Fach Anglistik promovierte er über Abu-Jamal. Später entstand daraus sein Buch »Wettlauf gegen den Tod: Mumia Abu-Jamal - Ein schwarzer Revolutionär im weißen Amerika«, eine akribische Auseinandersetzung mit dem Fall eines aus Schiffmanns Sicht unschuldigen politischen Gefangenen.
Schiffmann, 1957 in Tübingen geboren, setzt sich sowohl für den 1981 wegen des mutmaßlichen Mordes an einem Polizisten verurteilten Abu-Jamal als auch gegen die Todesstrafe generell ein. Seine Politisierung, erzählt er, begann 1989, als er zu Besuch in Berlin war und Plakate zur Freilassung politischer Gefangener in den USA sah. Schiffmann beobachtete das Thema von da an »aus den Augenwinkeln«, bis 1997 Abu-Jamals damaliger Anwalt Len Weinglass in Heidelberg über den Fall sprach. Eine gravierende Ungerechtigkeit, fand Schiffmann, ein drastischer Fall von institutionalisiertem Rassismus im US-amerikanischen Justizsystem. Aus seinem Studium wusste Schiffmann, dass in den 1960er Jahren zahlreiche schwarze Männer und Frauen wegen ihres Protests gegen Rassismus inhaftiert worden waren; Abu-Jamal war mitnichten der einzige.
Es sei nicht verwunderlich, meint Schiffmann, dass zahlreiche Linke über den Fall Mumia Abu-Jamals politisiert und radikalisiert wurden, da hier viele Themen aufeinander träfen: Antikommunismus, institutionalisierter Rassismus, Klassenkampf und Unrecht.
Schiffmann gründete zusammen mit anderen Aktivisten das »Bundesweite Netzwerk für die Freiheit Mumia Abu-Jamals und gegen die Todesstrafe«. Das Bündnis organisierte deutschlandweit Informationsveranstaltungen und -stände, verteilte Flyer. 2009 fertigten Mitglieder des Bündnisses zusammen mit der Roten Hilfe »das längste Transparent, das je zu Abu-Jamal gemacht wurde«, an - über 20 Meter. Es sei alleine schon schwierig gewesen, einen Raum zu finden, in dem Platz genug war, um das Transparent in seiner ganzen Länge auszurollen und es zu beschriften. Schließlich wurde es anlässlich des Jahrestages der Inhaftierung von Mumia Abu-Jamal über die Heidelberger Alte Brücke gehängt; es sollte sein »Leben am seidenen Faden«, wie die Aktion betitelt wurde, symbolisieren. Als Abu-Jamals Fall im Jahr 2000 auf US-Bundesebene verhandelt wurde, gingen in Berlin 10 000 Menschen auf die Straße.
2001 wird das Todesurteil aufgehoben
Wie das »Bundesweite Netzwerk« setzten sich weltweit Solidaritätsgruppen für Abu-Jamal ein. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Todesurteil gegen das Black-Panther-Mitglied 2001 aufgehoben wurde. Damit endete die politische Arbeit für Schiffmann aber nicht. Das Netzwerk ist zwar nicht mehr ganz so aktiv, aber es gibt nach wie vor Ortsgruppen unter anderem in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Nürnberg und Heidelberg. Schließlich wird weltweit noch in 58 Ländern die Todesstrafe vollstreckt, allen voran China, Iran, Saudi-Arabien, Vietnam und Irak. Die Zahl der tatsächlichen Hinrichtungen ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen - das Ergebnis der internationalen Zusammenarbeit von Aktivisten überall auf der Welt. Schiffmann: »Es gab Erfolge und Niederlagen.«
Kurze Zeit nach dem islamistischen Terroranschlag auf das World Trade Center im September 2001 flog Schiffmann mit seiner Schwester und seiner Partnerin nach Philadelphia, wo Mumia Abu-Jamal seinerzeit verhaftet worden war. Hier nahm er an einem Treffen der »International Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal« teil. Bei der Einreise wurden sie »schikaniert«. »Es war ein klarer Beweis dafür, dass die Behörden uns auf dem Schirm haben«, meint er. Diese Repression habe durchaus funktioniert - jedes Mal, wenn ein Polizeiauto an ihm vorbeifuhr, befürchtete Schiffmann Kontrollen.
Die Aktivisten trafen sich in den USA mit Mitstreitern, die sie bis dahin nur aus dem Internet oder aus Zeitungen kannten. Es sei eine erhebende Erfahrung gewesen: »Man hat gemerkt, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, kann man etwas erreichen.« Schiffmann traf sich 2006 und 2010 erneut mit amerikanischen Solidaritätsgruppen in New York und San Francisco, der »New York Coalition to Free Mumia Abu-Jamal«, dem »Committee to Save Mumia Abu-Jamal« und der »San Francisco Mobilization to Free Mumia Abu-Jamal«. 2010 schließlich gelang es Michael Schiffmann, Mumia Abu-Jamal im Gefängnis, der »State Correctional Institution - Mahanoy«, zu besuchen.
Über die Jahre hinweg nahm sich die Initiative immer wieder inhaftierter Einzelpersonen an, zum Beispiel des vermutlich unschuldig in Texas inhaftierten Gary Graham, der 2000 hingerichtet wurde. Graham war 1981 für den Mord an einem 53 Jahre alten Mann auf einem Supermarktparkplatz zum Tode verurteilt worden. Damals war er 17 Jahre alt, bei seinem Tod 36. Die Hinrichtung Grahams sei »devastating« - katastrophal - gewesen, sagt Schiffmann, und sein Blick verdunkelt sich. »Wir hatten gedacht, wir schaffen das.« Eine andere Kampagne widmete sich 2005 dem Gangleader Stanley »Tookie« Williams, dem vier Morde angelastet wurden - vermutlich zu Unrecht. Trotzdem war er ein Berufskrimineller, der, dessen ist Schiffmann sich bewusst, möglicherweise Menschenleben auf dem Gewissen hatte. »Es ist eine feine Gratwanderung, sich gegen die Todesstrafe einzusetzen und sich trotzdem vor Augen zu führen, dass nicht jeder zum Tode Verurteilte unschuldig ist.« Williams hätte sich im Gefängnis jedoch tatsächlich gewandelt und Bücher für Kinder und Jugendliche verfasst, um sie davon zu überzeugen, dass ein Leben als Berufsverbrecher lange nicht so glamourös ist, wie es in Filmen oder Serien gerne dargestellt wird.
Das Gift kam zum Teil auch aus Europa
Mit einer anderen Kampagne hatte die Initiative großen Erfolg. »Die meisten Hinrichtungen finden per Giftinjektion statt«, erklärt der Dozent und Aktivist, »und dieses Gift kam teilweise auch aus Europa.« Zum Beispiel von der niederländischen Firma Lundbeck, die in Deutschland eine Dependance hat. Die Initiative gegen Todesstrafe forderte 2011 in einer Petition, die Lieferung an Gefängnisse einzustellen. Tatsächlich verkündete das Unternehmen wenige Monate später, es wolle das Mittel künftig nur noch an Krankenhäuser und Ärzte schicken. Viele Staaten, die die Todesstrafe durchführen, sehen sich inzwischen mit einem »Lieferengpass« konfrontiert und können die Urteile nicht vollstrecken. Auch das »neue deutschland« hatte über die Kampagne berichtet.
Bis heute beschäftigt sich Schiffmann bei seiner Arbeit als Dozent für Anglistik mit der Todesstrafe. Eine seiner Studentinnen, eine Austauschschülerin aus Russland, sei lange nach einem seiner Seminare zur Todesstrafe in die Sprechstunde gekommen. Sie berichtete, dass sie ihre Position pro Todesstrafe dank seines Seminars revidiert habe.
Was den heute 65-jährigen Abu-Jamal angeht: Plötzlich aufgetauchte Archivordner haben neue Beweise für seine Unschuld zutage gefördert, sagen seine Anwälte. Sein Fall soll nun noch einmal vor Gericht gehen. Der Staatsanwalt gilt als progressiv. Die Verteidigung hofft, dass er ihr in wichtigen Punkten zustimmt. Vielleicht besteht tatsächlich Hoffnung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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