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Extinction Rebellion: »Es ist noch eine sehr junge Bewegung, da passieren Fehler«
XR-Activist Joshua antwortet auf Kritik an der Umweltbewegung
Extinction Rebellion ist in den vergangenen Tagen scharf von links kritisiert worden. Supernova hat Joschua, einen XR-Aktivisten, am Montag im Livestream auf der Blockade am Potsdamer Platz begleitet – und ihn mit der Kritik konfrontiert.
Ihr habt im Vorfeld eurer Aktionswoche einen Fragebogen ins Netz gestellt, in dem ihr sensible Daten von Aktivist*innen abfragt: Ihren Namen, wo sie organisiert sind, mit welchen Aktionsformen sie Erfahrung haben und ob sie bereit wären, ins Gefängnis zu gehen. Den Verfassungsschutz habt ihr damit quasi arbeitslos gemacht. Wieso habt ihr euch dazu entschieden?
Ich habe das auch intern kritisiert, weil das fahrlässig ist, meiner Meinung nach. Das Problem bei XR ist, dass vieles aus Großbritannien übernommen wird. Die Idee bei dem Fragebogen war, eine Bettenbörse zu schaffen und besser planen zu können. Es ist noch eine sehr junge Bewegung und da passieren einfach Fehler. Trotzdem muss man so etwas sehr kritisch betrachten. Gerade für Leute, die sowieso schon Repressionen erfahren haben oder sich das nicht erlauben können, ist das doppelt blöd. Die Kritik ist völlig berechtigt und XR hat auch schon reagiert und das ganze vom Netz genommen.
Alle eure Blockaden sind angekündigt und im Vorfeld mit der Polizei abgesprochen. Wieso?
Bei zivilem Ungehorsam ist es üblich, das vorher anzukündigen. Das machen auch andere Bewegungen so, wie Ende Gelände, wo ich auch aktiv bin. Trotzdem ist es natürlich etwas anderes, weil wir keine Kohlegruben, sondern Orte in der Stadt blockieren. XR versucht viel mit der Polizei abzusprechen und von vornherein zu deeskalieren, indem wir sagen, stellt euch drauf ein, wir werden da blockieren, aber wir werden es möglichst friedlich machen und zum Beispiel nicht versuchen, Polizeiketten zu durchfließen. Der Gedanke dahinter ist, dass sich möglichst viele Leute den Aktionen anschließen. Wenn genug Menschen mitmachen, dann kann die Polizei nichts tun, das ist die Taktik dahinter.
Nehmt ihr den Blockaden damit nicht ihren Haupteffekt, nämlich: zu stören und den Status Quo zu durchbrechen?
Wenn wir es schaffen, die Siegessäule zu blockieren, dann haben wir einen großen Verkehrsknotenpunkt lahmgelegt, ob wir das vorher angekündigt haben, oder nicht. Außerdem weiß die Polizei nur den Platz, nicht aber wie genau da blockiert wird, ob es Lock-Ons geben wird.
Der Gedanke ist, dass alle Aktivist*innen sicher sind und dass die Polizei möglichst nicht so rabiat durchgreift. Wenn man wirklich den Zugang zu bestimmten Objekten blockieren will, sind andere Strategien bestimmt sinnvoller, aber es geht in dieser Woche vor allem um symbolische Aktionen.
Einer der Gründer von »Extinction Rebellion«, Roger Hallam, hat in einem Zeit-Interview gesagt: »Anders als klassische linke Bewegungen schließen wir niemanden aus, auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen.«
Wir sind natürlich nicht offen für Rassist*innen, das muss man ganz klar sagen. Was Roger Hallam damit gemeint hat, war, dass Rassismus und Sexismus in jedem von uns steckt, es bedingt unsere Gesellschaft und die Art, wie wir wirtschaften. Leute kommen in die Bewegung und haben diese Dinge im Kopf. Hallam meint, wir müssen die Leute abholen, aber wir müssen ihnen ganz klar sagen, hier ist kein Platz für Rassismus und Sexismus. Das steht auch in den Leitlinien von XR, dass sowas nicht geduldet ist.
Steht dahinter eine Strategie um möglichst viele Menschen zu erreichen – egal wen?
Der Gedanke dahinter ist auch, dass es eine Massenbewegung werden soll. Wenn jemand neu dazu kommt, gibt es aber erstmal ein »Onboarding«, das heißt, wir reden mit den Leuten, was wir wollen und wie unsere Vision von Gesellschaft aussieht. Es gibt auch interne Weiterbildungen, zum Beispiel zu strukturellem Sexismus.
Hat dich innerhalb der Bewegung mal jemand auf diskriminierendes Verhalten aufmerksam gemacht oder hast du jemanden mal auf Rassismus oder Sexismus hingewiesen?
Ich komme aus Bayern aus einem 300-Einwohner*innen-Dorf. In dem konservativen Denken, das da vorherrscht, sind auch rassistische und sexistische Elemente verankert. Als ich mit 17, 18 in die Klimabewegung reingerutscht bin, habe ich immer mehr angefangen, mich damit auseinander zu setzen.
Wie genau?
Zum Beispiel habe ich angefangen, beim Sprechen und Schreiben zu gendern. Oder mir fällt auf, wenn es beim Plenum vor allem Männer sind, die reden. Ich denke, es ist am wirksamsten, wenn man sowas direkt anspricht, aber die Leute nicht an den Pranger stellt. Davon lernt man, glaube ich, eher weniger. Man muss auch einfach jeden Tag an sich selber arbeiten. Die Leute bei »Ende Gelände« sind da zum Beispiel viel weiter, da wird das bei jedem Schritt mitgedacht.
Es gab auch viele Menschen, die mich kritisiert haben, konstruktive Kritik finde ich bewegungsintern total wichtig. Was ich an der Kritik in den letzten Tagen nicht gut fand, war, dass sie öffentlich stattgefunden hat.
Europa trägt seit der Kolonialzeit zur Umweltzerstörung im globalen Süden bei. Dort sind Menschen schon jetzt stark vom Klimawandel betroffen und kämpfen zum Teil schon seit Jahrzehnten dagegen. Solidarisiert ihr euch mit diesen Bewegungen und setzt ihr euch bei XR mit dem europäischen Kolonialismus auseinander?
Ich würde sagen, dass das bei XR noch nicht hundertprozentig angekommen ist. Die Bewegung ist letzten November aufgeploppt und viele Dinge sind da noch nicht ganz aufgearbeitet. Viele Leute kommen da hin, weil sie Angst um ihre eigene Zukunft haben. Das sind zum großen Teil Europäer*innen aus der akademischen Mittelschicht, da wird das Thema Kolonialismus oft nicht mitgedacht. Bei der Ortsgruppe Berlin gibt es eine AG, die das Thema Klimagerechtigkeit mehr in die Bewegung reintragen will.
Oft hört man, Extinction Rebellion sei »nicht links, nicht rechts, einfach für das Klima«. Spielt Kapitalismuskritik im Zusammenhang mit Umweltzerstörung bei euch eine Rolle?
Für mich ist gerade die Wirtschaft ein zentraler Punkt. Oder Kapitalismuskritik, kann man ja einfach mal so aussprechen. In den Forderungen steht »das toxische System«, das kann man natürlich unterschiedlich interpretieren. Ich denke, man will bei XR lieber nicht »Kapitalismus« sagen, weil das gesellschaftlich so ein verbranntes Wort ist, dann denken alle: »das sind die Linksradikalen«.
Warum wollt ihr von »den Linksradikalen« distanzieren?
XR will nicht in diese Ecke gestellt werden, weil man damit gesellschaftliche Anschlussfähigkeit verliert. Ich selber würde mich auch als linksradikal bezeichnen, ich habe damit kein Problem. Für mich persönlich kann man Kapitalismus und Umweltzerstörung auch nicht auseinander denken. Ich denke, dass viele Leute, die schon länger bei XR sind, unserem Wirtschaftssystem im Kern sehr kritisch gegenüber stehen. Dass es ein zentrales Thema in der Bewegung sei, kann man aber nicht sagen.
Dieses Interview erschien zuerst bei Supanova, dem leftstylemag.
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