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Muttersöhnchen mit Hirnschaden
Der Thriller »Joker« ist ein Mainstreamfilm mit dem Ziel, die intellektuelle Mittelschicht bei der Stange zu halten
Es hat sich unter Filmfreunden schon herumgesprochen: Todd Phillips’ Thriller »Joker« ist unter vielen Gesichtspunkten ein Remake von Martin Scorseses satirischem Psychodrama »The King of Comedy« aus dem Jahr 1982. Im Original spielt Robert De Niro den labilen Rupert Pupkin, der sich selbst als unentdeckten Star am Komödiantenhimmel sieht. Nach einem Treffen mit seinem Idol, einem erfolgreichen Fernsehentertainer, wird er nach und nach zum immer obsessiveren Stalker, der zum Schluss alle kriminellen Register zieht. Nicht nur narrativ gibt es große Parallelen zu »Joker«, dem neuesten Super-Bösewicht-Film. Joaquin Phoenix, der den »Joker« spielt, hat man sogar Pupkins lippenstiftrotes Sakko angezogen und De Niro lässt man in die äquivalente Rolle des angebeteten Entertainers schlüpfen, den einst Jerry Lewis verkörperte (in seiner ersten Rolle, in der er nicht den Komödianten gab).
Nun fragt sich der aufmerksame Filmfreund allerdings, was einen Riesenkonzern wie Warner dazu veranlasst, ein 35 Jahre altes, ziemlich erfolgloses Psychodrama neu aufzubrühen. Man weiß selbstverständlich, dass sich besonders flache, opulente Fantasy-Action-Reißer international gut verkaufen - der letztjährig erschienene »Aquaman« geriet mit einem Einspielergebnis von 1,1 Millarden US-Dollar zum weltweit zweiterfolgreichsten Film aller Zeiten für Warner Bros. Pictures. Womit er den Platz zwischen »Harry Potter und der Feuerkelch, Teil 2« und »Batman: The Dark Knight Rises« einnimmt.
Mit diesen Fakten befindet man sich bereits auf der wirtschaftlichen Spur des »Joker«. Schließlich ist dieser ein Spin-Off des Batman-Universums, schließlich spielte ihn zuletzt der jung verstorbene Heath Ledger in einem Film, den der durchschnittliche Filmfreund als herausragend betrachtet. Die Marke »Dark Knight« ist dermaßen stark und allseits positiv konnotiert, dass sich Warner guten Gewissens wagen kann, einen ruhigen, unspektakulären und vor allem kostengünstigen Film zu produzieren. Es besteht kein Risiko, da die Figur des psychopathischen Clowns noch dazu von Joaquin Phoenix gespielt wird. Dieser ist genauso gut im Ab- und Zunehmen von Körpergewicht, wie es von einem Hochleistungsschauspieler heutzutage erwartet wird. Physik ersetzt charakterliche Exzentrik, denn wenn man sich wie eine Echse bewegen kann, steigt der Schauwert und Sensationen verdrängen künstlerische Durchschnittlichkeit. Filmfreunde wissen zudem, dass der Bruder von Joaquin Phoenix der Schauspieler River Phoenix war, dessen früher Tod noch einmal Heath Ledger assoziieren lässt. Es ist ein einziges, großes (Super-)Heldengedenken, das jegliche Art Cineasten triggert - vom Comicbuchfan bis zum Kinochronologen. Der Aufriss um diesen Film ist erwartungsgemäß groß, die ersten Einspielergebnisse sind überragend. Bereits 234 Millionen Dollar generierte man in der Startwoche, bei Produktionskosten von 50 bis 70 Millionen Dollar - da scheppert die Kasse.
Nach dem Genuss dieses übermäßig antizipierten Films, mit all seiner intendierten popkulturellen Wirkmächtigkeit, werden die allermeisten mit den Schultern zucken, weil sie ein Werk vorgesetzt bekommen, das sich nicht nur mangels straff getakteter Explosionen und Verfolgungsjagden allumfassend unspektakulär gestaltet. Arthur Fleck, so der bürgerliche Name des Jokers, ist ein Muttersöhnchen mit Hirnschaden, das sich mit einem Job als Werbe- und Kinderclown durchschlägt. Von der Gesellschaft ausgestoßen, versucht sich der bemitleidenswerte Kranke von sich selbst zu emanzipieren. Am Ende gelingt ihm diese Katharsis nur mit äußerster physischer Gewalt und narzisstischer Grandesse. Die plumpe Anlage zum Irren durchschaut man bereits in der ersten Einstellung: Man sieht Phoenix, gequälte Grimassen schneidend in einen Spiegel schauen. Im Hintergrund die CGI-Welt der nicht ganz so fiktiven Stadt Gotham, anno 1986 (Zeitungsmeldungen von einem ukrainischen Super-GAU weisen darauf hin). Sie ist auf schmutzig getrimmt, hochglanz aber grau, digital ausgebleicht, aber tiefenscharf bis zum einzelnen Körperhaar. In diesem Setting darf man die Figur beim kontrollierten Entgleisen beobachten.
Regisseur Todd Phillips ist ein Crowd-Pleaser, der weiß, welche Register er zur Erheiterung des Publikums ziehen muss. Seine größten Erfolge feierte er mit den Komödien der »Hangover«-Filmserie, die Slapstick- und Absurditätskonventionen aneinanderreiht - mehr als ein herkömmliches Broadwaystück vom Wahnsinn bietet auch der »Joker« nicht.
Phoenix, stets den Hauptdarsteller-Oscar vor Augen, windet und krümmt sich, zeigt konsequent paradoxe Mimik, tanzt und prügelt so durchchoreografiert, dass es eine wahre Leistungsschau, aber keine Charakterdarstellung ist. Phillips lässt ihn gewähren, hat dem nichts entgegenzusetzen, addiert nur dramatische Schminke und Kulissen. Subversion, verschreibt man sich ihr auch noch so krampfhaft, entsteht aus inhaltlicher Brechung und Mut zur Publikumsüberforderung. Einzig als der gestörte Clown seinen Stepptanz zu einem Song des in der echten Welt gerichtlich verurteilten Kinderschänders Gary Glitter vollzieht, muss man den Kopf schütteln und nachdenken, ob hier etwas zu weit geht.
Nachdenken sollte man in diesen 122 Minuten öfter, auch über die politischen Motive des Films. Die Rache des Killerclowns und seiner Gesellen ist niemals heroisch, sondern pathologisch. Sie ist nicht allgemeingültig, sondern Angelegenheit von ein paar grausamen Frustrierten. Nur etwas mehr Sozialdemokratie bräuchte es, so der unterschwellige Tonus dieser Erzählung, dann wäre die Welt eine bessere - der Rest ist grausam aber unhinterfragbar, unabänderlich. Es ist die alte Mär der Gleichheit aller Extremismen, - rechts oder links - die dem Zuschauer vermittelt wird. Er will zum Zeitpunkt des Abspanns weder auf der Seite der ausbeutenden Superreichen noch auf der des sich erhebenden Armenmeers gestanden haben.
Auch deswegen ist »Joker« ein wohlkalkulierter Mainstreamfilm mit dem Ziel, die intellektuelle Mittelschicht bei der Stange zu halten. Das »Extended DC Universe« soll sich nicht nur für Teenager, Nerds und Geringverdiener eignen, sondern zum versöhnlichen Massenvergnügen mit sparsamem Diskurspotenzial taugen. Man kann diesen Film konsumieren, sollte sich aber bewusst sein, dass man ihn bereits nach der Betrachtung des Trailers gesehen hat.
»Joker«, USA 2019. Regie: Todd Phillips. Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy. 122 Min.
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