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Die Kurden sind vor allem eins: allein

Während die Türkei Nordsyrien bombardiert, bereiten sich die kurdischen Kräfte auf einen Gegenschlag vor

  • Jan Keetmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Sieg konnte Erdogan bereits vor dem am Mittwoch begonnenen Syrien-Feldzug verbuchen, und zwar einen gewaltigen: Er hat die Opposition gespalten. Zuerst hatte die sozialdemokratisch- kemalistische CHP eindringlich davor gewarnt, Soldaten in den syrischen »Sumpf« zu schicken. Dann stimmte sie am Dienstag doch der Verlängerung türkischer Auslandseinsätze im Irak und Syrien um ein Jahr zu. Das war praktisch die Zustimmung zur Invasion. Natürlich tat sie das nicht leichten Herzens: »Unser Inneres brennt und brennt«, sagte der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Doch dann besann er sich: »Ich bin ein wahrer Nationalist! Ich bin es, der meine Heimat verteidigt, meine Fahne, mein Vaterland.«

Man darf es Kilicdaroglu glauben, dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen ist, aber wohl nicht deshalb, weil er vermeiden möchte, dass »unseren Soldaten die Nase blutet«, sondern sicher auch mit Blick auf die Chancen seiner Partei. Doch Kilicdaroglu blieb kaum eine andere Wahl. Der Nationalismus und Militarismus werden in der Türkei kaum hinterfragt. Das gilt auch für die CHP. Es hätte schon viel politischen Mut gebraucht, sich gegen die Invasion zu stellen und sehr wahrscheinlich hätten Wähler und Parteibasis nicht mitgemacht. Trotzdem darf man nicht vergessen: Ihren überraschenden Sieg bei der Bürgermeisterwahl in Istanbul hätte die CHP nie ohne die Hilfe kurdischer Wähler erlangt. Das wird sich in nächster Zeit nicht wiederholen.

Bis auf die prokurdische »Partei der Demokratie der Völker« (HDP), kritisierten nur zwei kleine linke Parteien, die Partei der Freiheit und Solidarität (ÖDP) und die Partei der Arbeit EMEP außerparlamentarisch die Verlängerung der Auslandseinsätze.

Die Medien, von denen circa 90 Prozent ohnehin der Regierung nahe stehen, heizen die Invasionsstimmung weiter an. Zeitungen berichten darüber, dass die kurdischen Kämpfer in Syrien in Panik seien. Milizionäre würden fliehen, sich in Zivilkleidern verstecken. Belege und Quellen für die Berichte gibt es nicht, aber das fällt nur wenigen auf.

Freunde haben die Kurden in Washington in beiden Parteien und im Pentagon. Trump sah sich genötigt, plötzlich monströse Drohungen gegen die Türkei auszustoßen, allerdings ohne dabei deutlich zu formulieren, welche Konsequenzen eine türkische Invasion haben würde. Doch im Grunde war das Verhältnis Washingtons zu den Kurden schon immer ambivalent. Niemals haben sich die USA zur politischen Zukunft der Kurden geäußert oder gar darauf bestanden, dass sie an Verhandlungen über die Zukunft Syriens beteiligt werden.

Zugespitzt formuliert hat es in Washington schon fast Tradition, die Kurden fallen zu lassen. 1975 ließen Henry Kissinger und der Schah von Persien den Kurdenführer Mustafa Barzani mitten im Krieg gegen Saddam Hussein plötzlich im Stich, nachdem sich der Schah und Saddam im Abkommen von Algier über den Verlauf der Grenze geeinigt hatten. 1988 waren es die USA, die Zweifel an der Schuld Iraks für den Giftgasangriff auf Halabdscha säten. Drei Jahre später rief US-Präsident George Bush die irakische Bevölkerung und damit auch die Kurden zum Sturz Saddam Husseins auf. Kurz darauf hoben die USA das Startverbot für die Hubschrauber der besiegten irakischen Armee auf. Saddam konnte den Aufstand von Schiiten und Kurden blutig niederschlagen.

Allerdings sind die USA nicht die einzigen, die die Kurden immer wieder fallen ließen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ermunterte Stalin die iranischen Kurden zur Gründung eines eigenen Staates, den er kurze Zeit später fallen ließ. Der Präsident der kurdischen Republik von Mahabad, Qazi Muhammad, wurde gehängt. Für den türkischen Einmarsch in die syrisch-krudische Provinz Afrin 2018 öffnete Putin der Türkei den syrischen Luftraum. Auch Deutschland und Europa haben trotz aller Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten keine bessere Tradition. Wenn es darauf ankommt, schaut man weg. Das Giftgas, das gegen Halabdscha und andere kurdische Orte eingesetzt wurde, wurde mit Hilfe deutscher Maschinen und Techniker hergestellt. Niemand in Deutschland wurde dafür je bestraft.

Wenn die türkische Armee nun die Kurden angreift wird es wieder sein wie in Afrin. Erst wird gemahnt, es zu lassen, dann versteckt man sich in Berlin und Brüssel rasch hinter dem Recht auf Selbstverteidigung der Türkei. Ganz so, als wäre es die Türkei und nicht die Kurden, die angegriffen werden. und das alles begleitet von ernster Sorge um die Menschen. Vielleicht sollte man sich die Worte des türkischen Oppositionsführers Kemal Kilicdaroglu schon mal aufschreiben: »Unser Inneres brennt und brennt«.

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