Die nächste Eskalation im Bürgerkrieg

Trotz internationaler Kritik hält der türkische Präsident Erdogan an seiner Offensive in Nordsyrien fest

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Situation im Nordosten Syriens ist extrem unübersichtlich. Das türkische Militär auf der einen Seite, die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) auf der anderen geben zwar Informationen heraus, die sich aber oft widersprechen. Und für die Journalisten vor Ort ist die Recherche eine gefährliche, mühsame Arbeit, meist ohne die Erleichterungen, die die moderne Technik bietet: Mobilfunk und Internetzugang sind eingeschränkt; ob beides »gezielt gestört« wird (SDF) oder einfach nur nach Jahren des Krieges »veraltet und kaputt« ist (türkische Regierung), auch darin besteht Uneinigkeit.

Sicher ist, dass das türkische Militär am Mittwoch mit einer großangelegten Offensive im überwiegend von Kurden bewohnten Nordosten Syriens begonnen hat. Zunächst wurden Ziele, die den von kurdischen Kräften dominierten SDF zugeschrieben werden, bombardiert, später versuchten türkische Truppen dann, die Grenze zu überqueren. Auf der türkischen Seite führen nur wenige Straßen in Richtung Syrien; weiter östlich verläuft zudem jene Straße nur wenige Meter neben der syrischen Grenze, über die der gesamte Warenverkehr zwischen der Türkei und Irak abgewickelt wird.

Der Handel zwischen beiden Ländern werde auf keinen Fall eingeschränkt, teilte das türkische Wirtschaftsministerium vor Beginn der Offensive am Montag mit; zuvor hatte der irakische Handelsminister Mohammad Haschim an die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan appelliert, Einschränkungen im Güterverkehr zu vermeiden. Denn die von der US-Regierung verhängten Iran-Sanktionen haben die irakische Wirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen; als Transitland für Ein- und Ausfuhren auf dem Landweg ist Iran ausgefallen. Als Alternative für den Güterverkehr in Richtung Westen bleibt nur eine umständliche und auf Grund der hohen Gebühren für den Suez-Kanal für viele Unternehmen unfinanzierbar teure Route über Saudi-Arabien oder Jordanien und Ägypten und dann der Seeweg.

Das türkische Militär begann an den Grenzorten Tel Abyad und Ras al-Ain. Zuvor waren die US-Truppen in der Region auf Weisung von Präsident Donald Trump abgezogen worden. Die türkische Regierung wirft den syrischen Kurden und der SDF vor, mit der türkisch-kurdischen PKK zu kooperieren und will deshalb entlang der Grenze eine bis zu 30 Kilometer breite »Sicherheitszone« einrichten.

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) berichtet unter Berufung auf Mitarbeiter vor Ort, ein Großteil der Anwohner habe die Stadt bereits verlassen, als auf der anderen Seite der Grenze das türkische Militär aufmarschierte. Aus der anderen Richtung habe sich eine große Zahl von Kämpfern der SDF genähert.

Gleichzeitig begann auch auf beiden Seiten die psychologische Kriegsführung: Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten dürften den Einmarsch keinesfalls als Invasion bezeichnen, forderte Erdogan am Donnerstag bei einer Fraktionssitzung der Abgeordneten seiner Partei AKP. Man werde sonst den 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei den Weg nach Europa öffnen. Die SDF indes drohte damit, man könne nun die Lager nicht mehr schützen, in denen Tausende Kämpfer des Islamischen Staats und deren Angehörige festgehalten werden. Berichte machten die Runde, es sei bereits zu Unruhen und Ausbrüchen gekommen; bestätigen lässt sich das nicht.

Die syrische Regierung indes ergriff die Gelegenheit, die syrischen Kurden, die sich in den vergangenen Jahren eine inoffizielle Autonomie erkämpft haben, dazu aufzurufen, sich auf die Seite der syrischen Regierung zu stellen.

Doch gleichzeitig droht eine weitere Vertiefung des Bürgerkriegs: Die mit der Türkei verbündete Freie Syrische Armee (FSA) kündigte an, die Operationen gegen die SDF auszuweiten. Und die sogenannte Astana-Gruppe, in der die Türkei zusammen mit Russland und dem Iran parallel zu den Vereinten Nationen auf eine Beendigung des Syrien-Kriegs hinarbeitete, droht nun zu zerfallen. In Iran lebt ebenfalls eine große kurdische Minderheit; mehrmals gab es in den vergangenen Monaten Anschläge gegen die Revolutionsgarden. In einer Resolution forderte das iranische Parlament Präsident Hassan Ruhani auf, sich von der türkischen Syrien-Politik zu distanzierten; die »nationale Einheit Irans« müsse »oberstes Gebot« sein. Außenminister Dschawad Zarif verurteilte den Einmarsch scharf.

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