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Ein wirres Manifest
Leo Fischer über den Springerkonzern, dessen Chef verzweifelt nach rechts drängt.
Wenn man mit Medienmenschen über die Transformationen der Branche spricht, ist oft die Rede von »Kanälen«, von »maßgeschneiderten Angeboten«, von der »persönlichen Nutzererfahrung«. Damit meinen sie, dass sich zumindest die Onlinemedien ihrer redaktionellen Verantwortung weitestgehend entzogen haben, gar nicht erst versuchen, so etwas wie eine Blattlinie herzustellen, sondern völlig unvereinbare Ansichten und Haltungen gleichermaßen transportieren, um möglichst unterschiedliche Zielgruppen zu bedienen.
So können auf der Homepage einer ehedem liberalen Tageszeitung gleichzeitig ein Leitartikel, in welchem vor Rechtsradikalen gewarnt wird, und diffuse Räuberpistolen über »Ausländergewalt« erscheinen – durch das »individualisierte Nutzererlebnis« sieht man bevorzugt die Nachrichten, denen man selbst zuneigt. Der Kunstfertigkeit der Redaktion obliegt es, dafür zu sorgen, dass sich die beiden Zielgruppen nicht allzu sehr in die Quere kommen.
Man kann das ein »maßgeschneidertes Angebot« nennen. Man kann es auch als Versuch bezeichnen, ein Nazipublikum möglichst so zu bedienen, dass die Mehrheitsgesellschaft, die man mit liberalen Leitartikeln blendet, davon nichts spitzkriegt.
Ein Medienprodukt, dass diese Technik zur Perfektion gebracht hat, ist Springers »Welt«. Hier können Blogger, die selbst der konservativen »FAZ« zu rechts waren, hemmungslos ihren Mist verbreiten – während der Leitartikel vor »Extremismus« warnt und auch sonst der Himmel voller Hufeisen hängt. Auch hier werden die unterschiedlichen Nutzergruppen fein voneinander getrennt – umso peinlicher für alle Angestellten, wenn der Chef versehentlich alles ausplaudert.
So geschah es nun in einem Leitartikel von Mathias Döpfner mit dem kuriosen Titel »Nie wieder ›nie wieder‹«. Anläßlich des Terrorattentats von Halle veröffentlichte der Chef des Springer-Konzerns ein wirres Manifest, in welchem er als Konsequenz aus dem Attentat u.a. eine härtere Gangart in der Flüchtlingspolitik, ein Ende der Political Correctness und irgendwelche personellen Konsequenzen beim Hamburger SV forderte.
Die genauere Erläuterung, was all diese Dinge mit dem rechtsradikalen Terroristen von Halle zu tun haben, bleibt er schuldig, man muss sie sich zusammenreimen. Ich habe sie mir so zusammengereimt: Menschen werden rechtsradikal, weil wir, Springer, immer noch nicht rechts genug berichten. Würden uns nicht die ganzen Gutmenschen ständig in die Parade fahren, könnten wir endlich offen über den an und für sich kriminellen Ausländer sprechen. Das würde dann paradoxerweise zu einer Beruhigung der Rechten führen, und die Gewalt wäre im Keim erstickt.
Springer hat wirtschaftliche Probleme, und nicht nur dort blickt man mit Neid auf die mediale Parallelwelt, die sich die Neue Rechte mittlerweile errichtet hat: »Tichys Einblick« liegt inzwischen ganz normal in Zahnarztpraxen aus; etwas, das Döpfners »Welt« nicht einmal in guten Zeiten geschafft hat. Aber es ist doch überraschend zu erfahren, dass der Chef einer Mediengruppe, die mit Gruselgeschichten von Messermännern seit Jahren verzweifelt um das rechte Leserpotenzial buhlt, glaubt, hierin noch besonders zurückhaltend zu handeln.
Jahrelang hat Springer gezündelt und im rechten Milieu gefischt. Nun soll ausgerechnet ein rechtsradikales Attentat dafür sorgen, dass hier die letzten eventuell noch vorhandenen Schranken fallen – mit Thesen zur Migration, die der Attentäter von Halle wahrscheinlich vollinhaltlich unterschreiben könnte.
Springer braucht die Rechte – die Rechte aber braucht Springer nicht. Dort spürt man, dass da einer verzweifelt ist, und bastelt lieber weiter am eigenen Medienimperium.
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