- Politik
- Antikoloniale Demonstration
Solidarität mit dem globalen Süden
Bei »antikolonialer Demonstration« ist der Krieg in Kurdistan das bestimmende Thema
Der 12. Oktober symbolisiert die »Entdeckung« Amerikas durch die Europäer im Jahr 1492. Am Samstagnachmittag demonstrierten in Neukölln und Kreuzberg nach polizeilichen Angaben rund 3000 Menschen gegen unterschiedliche Formen von Kolonialismus. Die Menge wurde über drei Stunden von etwa 600 Beamten in Polizeiketten begleitet. Als Grund für die Absicherung nannte ein Polizist die Tatsache, dass es sich um »eine Kurden-Demo« handele. Dieser an sich nicht ungewöhnliche Umstand bekommt angesichts der Invasion der Türkei in Nordsyrien sehr wohl Brisanz. Kurdische Gruppen dominierten tatsächlich die Demonstration. Bereits am Donnerstagabend hatten 3000 Menschen am selben Ort gegen den Einmarsch in der Region Rojava protestiert.
Die Veranstalter*innen sprachen mit 8000 von deutlich mehr Teilnehmer*innen als die Polizei. Deren ungewöhnliche Zusammensetzung entsprach der Zahl der vielen unterschiedlichen Gruppen, die zu der Kundgebung aufgerufen hatten - darunter das Frauen*streik Komitee Berlin, Palästina Spricht, Demokratisches Komitee Palästinas, Jewish Antifa, Academics for Peace, Voces de Guatemala.
Aktivisten aus Lateinamerika trugen traditionelle Kostüme, spielten Flöte und trommelten, tanzten. Daneben liefen Rocker mit dem Aufnäher »Antinational« auf dem Rücken und ebenso Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens.
Auf einem Transparent war zu lesen: »Hände weg von Venezuela. Keine Anerkennung von Putschisten«, auf einem anderen wurde gefordert, die »systematische Ermordung von Sozialaktivisten in Kolumbien« zu beenden, ein drittes bekundete die »Solidarität mit den Aktivisten Guatemalas«. Alle bezogen sich auf Vorgänge in Ecuador. Die Organisatoren der »Antikolonialen Demonstration« erinnerten immer wieder daran, dass die indigene Bevölkerung des Landes derzeit in Massenprotesten auf den Straßen von Quito »gegen das Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF)« kämpfe. Der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno hat die Subventionen für Diesel abgeschafft und damit den Treibstoffpreis um mehr als 100 Prozent erhöht. Dies sowie andere vom IWF aufgenötigte Austeritätsmaßnahmen belasten vor allem die arme indigene Bevölkerung.
Die größte Zahl der Demonstranten folgte allerdings klar dem Aufruf, gegen »die türkische Invasion in Rojava« zu protestieren. Die deutsche Regierung wurde aufgefordert, die »Zusammenarbeit mit der Türkei und Diktatur Erdoğan« zu beenden. »Erdoğan, Faschist!« war eine der am häufigsten während des Marsches skandierten Losungen.
Im Aufruf las sich zur Zusammenführung der Protestgruppen: »Angesichts der türkischen Angriffe auf Nord- und Ostsyrien am 9. Oktober sowie der massiven Proteste in Ecuador, Haiti und Irak hat die Notwendigkeit des vereinten Widerstands in den letzten Tagen noch an Dringlichkeit gewonnen.«
Der Protest bildet den vorläufigen Höhepunkt einer Reihe von Veranstaltungen innerhalb des »antikolonialen Monats« von Oktober bis Mitte November. Die Migrantengruppe »Bloque Latinoamericano«, die seit 2018 besteht und in Berlin ansässige Organisationen vereint, wolle »gemeinsam mit sozialen Bewegungen in Deutschland die Kämpfe des Globalen Südens sichtbar machen und stärken«, erklärt eine Sprecherin der Gruppe. Für sie zeige sich die »koloniale Gewalt« heute »in Gestalt multinationaler Konzerne des Bergbaus, der Energie-, Agrar- und Narkoindustrie, aber auch angesichts von Polizeigewalt, paramilitärischen Verbänden, ausländischen Militärinterventionen und Wirtschaftskriegen«, erklärt sie. Das weltweite Anwachsen faschistischer Bewegungen und die steigende Zahl extrem rechter Regierungen mache es »dringend erforderlich, unsere Beziehungen über unsere Communitys hinaus zu stärken und gemeinsame Widerstandsstrategien und Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus zu entwickeln«, glauben die Aktivisten, die ihren Lebensmittelpunkt in Berlin haben.
Neben einem »Antikolonialen Forum«, zu dem sich in der vergangenen Woche rund 300 Aktivisten zusammengefunden hatten, finden in Berlin bis zum 15. November viele weitere Veranstaltungen statt: Filme werden gezeigt, Theater- und Diskussionsveranstaltungen sind angekündigt. In der Malmöer Straße in Prenzlauer Berg soll ein Wandbild enthüllt werden, das den Opfern des Paramilitarismus in Lateinamerika gewidmet ist - und damit in der deutschen Hauptstadt auf die Kämpfe des globalen Südens aufmerksam machen. Auch an die verbrecherische Kolonialvergangenheit Deutschlands wird dabei erinnert.
Die Polizei meldete am Sonntag sechs Festnahmen. Sie gab weiterhin an, dass im Verlauf der Wegstrecke der Demonstration mehrmals Feuerwerkskörper gezündet worden seien und einzelne Teilnehmende sich vermummt hätten. 17 Strafermittlungsverfahren, unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung, wurden daher eingeleitet.
Das Programm des antikolonialen Monats findet sich unter: berlinanticolonial.wordpress.com
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.