Katalonien zittert vor dem Generalstreik

Anhaltende Proteste gegen die Gefängnisstrafen für Unabhängigkeitsbefürworter legen die Region vielerorts lahm

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Mittwoch sind zahllose Menschen in fünf Marschsäulen über 100 Kilometer zu Fuß auf dem Weg nach Barcelona, um dort am Generalstreiktag zu einem riesigen Protest zusammenzukommen. Die Hauptverkehrsadern in Katalonien sind durch den Marsch blockiert. Dazu fanden allein am Donnerstagmittag in der katalanischen Metropole gleichzeitig drei große Demonstrationen von Schülern und Studenten statt. Auch sie sind seit Tagen im Streik. In den anderen katalanischen Städten wird ebenfalls demonstriert. Straßen und Schienen werden blockiert. Schon vor dem Generalstreiktag am Freitag war das normale Leben in Katalonien kaum möglich. Die Proteste sind die Reaktion auf die drakonischen Strafen von bis zu 13 Jahren, zu denen neun Anführer der Unabhängigkeitsbewegung für die Durchführung eines von Spanien untersagten, friedlichen Referendums vom Obersten Gerichtshof in Madrid am Montag verurteilt wurden.

Die friedlichen Massenproteste werden überlagert von schweren Ausschreitungen. Derzeit wird aber von der Bewegung alles getan, um die Gewalt zu stoppen, die ihrem Anliegen nur schadet. Schnell hat sich die Organisation Tsunami Democràtic (Demokratischer Tsunami) von der Gewalt distanziert. Tsunami Democràtic stand hinter der erfolgreichen Blockade des Flughafens am Montag. »Trotz der Polizeibrutalität, die absolut inakzeptabel ist, muss bei jeder Aktion verhindert werden, dass irgendwer Gewalt propagiert oder sie für gewaltsame Aktionen nutzt«, heißt es von Tsunami Democràtic. Oriol Junqueras, der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), der mit 13 Jahren die Höchststrafe erhielt, twitterte aus dem Knast: »Alle Unterstützung für die großen und friedlichen Mobilisierungen. Gewalt repräsentiert uns nicht.« Der Erklärung von Junqueras schlossen sich alle inhaftierten ehemaligen Regierungsmitglieder und Aktivisten an.

Der katalanische Regierungschef Quim Torra fand nach erneuten Ausschreitungen am Mittwoch auch klare Worte. Für Torra gibt es »keinerlei Rechtfertigung für Vandalismus oder um Autos abzubrennen«. Seine Botschaft war klar: »Das muss sofort aufhören.« Die Unabhängigkeitsbewegung sei stets friedlich gewesen und bleibe es auch. »Solche Vorgänge dürfen wir auf unseren Straßen nicht zulassen.«

Torra machte für die Krawalle auch »infiltrierte Provokateure« und »Randalierer« verantwortlich. Tatsächlich gibt es Bilder von Gruppen maskierter Männer mit gelben Armreifen am Oberarm - zur gegenseitigen Erkennung - bei denen es sich um Mitglieder der spanischen Guardia Civil handeln soll. Zeugen haben beobachtet, wie solche Trupps aus Hotels kamen, in denen spanische Paramilitärs untergebracht sind. Videos zeigen sogar uniformierte Nationalpolizisten beim Barrikadenbau und beim Abfackeln von Müllcontainern.

Die Sichtweise von Torra wird von Augenzeugen der Ausschreitungen als zu kurzsichtig kritisiert. »Es gibt junge Leute, die Aktion wollen und sich anstacheln lassen«, erklärte ein Augenzeuge dem »nd«. »Es gibt sicher Eingeschleuste, viele«, sagt der Augenzeuge. Es gäbe allerdings auch Heißsporne aus der Bewegung, die sich einspannen ließen.

Zur aufgeheizten Stimmung hat sicher auch die Verhaftung und Inhaftierung von sieben Mitgliedern der Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) wegen angeblichem Terrorismus beigetragen. Das hat dazu geführt, dass sich etliche Menschen maskieren. Sie werden nicht mehr wie früher aus den Demonstrationen geworfen. Klar ist auch, dass Gewalt gezielt provoziert wurde. Dabei hat auch die katalanische Polizei eine unrühmliche Rolle gespielt. Deshalb wird massiv der Rücktritt des verantwortlichen Innenministers Miguel Buch gefordert. Schon am Montag am Flughafen gingen katalanische Mossos d’Esquadra brutal gegen friedliche Protestierer vor. Am späten Mittwoch wurde ein Jugendlicher von einem Polizeiwagen überfahren. Zwei Menschen wurden von Sicherheitskräften mit Gummigeschossen jeweils ein Auge ausgeschossen. Auch die Mossos gehen zum Teil so brutal wie die spanische Nationalpolizei und die Guardia Civil am Referendumstag vor zwei Jahren vor.

Die spanische Nationalpolizei dagegen, so berichtet eine Berichterstatterin der britischen BBC, hat Montagnacht die Gewalt im Zentrum Barcelonas ausgelöst. Jean Mackenzie twitterte, dass Polizisten »mit Gummigeschossen in eine Mahnwache für die katalanischen Gefangenen geschossen hat«. Damit sei die Lage sofort »erschreckend und gewalttätig« geworden.

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