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Fußtritt gegen die Zivilgesellschaft
Nach Attac verliert jetzt auch Campact den Status der Gemeinnützigkeit / Schuld ist Scholz
Wenn nach dem Terroranschlag in Halle der kleine Musikverein zur Demonstration gegen Antisemitismus und Rassismus aufruft, kann das gefährlich werden. Weil Nazis die Versammlung angreifen? Nicht nur.
Auch der Staat erschwert das Engagement. So kann progressiven Vereinen der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt werden, was ihre Finanzierung gefährdet. Im Februar traf das die globalisierungskritische Organisation Attac. Jetzt entzog das Berliner Finanzamt für Körperschaften der von mehr als zwei Millionen Menschen getragenen Bürgerbewegung Campact die Gemeinnützigkeit.
Der Bescheid des Finanzamts von diesem Oktober betrifft die Jahre 2015 bis 2017. Er liegt «nd» vor. Die Begründung darin lautet: Die Einrichtung sei überwiegend allgemeinpolitisch tätig gewesen und habe Kampagnen durchgeführt, die keinem gemeinnützigen Zweck zugeordnet werden könnten. «Der Verein hat im Überprüfungszeitraum (...) Kampagnen zu folgenden Themen durchgeführt: Agrarwende, Keine Gülle ins Trinkwasser, Gentechnik verbieten, (...) Ehe für alle, Rettet die Pressefreiheit, Vorratsdaten, Flüchtlinge willkommen heißen.»
Campact-Vorstand Felix Kolb nennt die Entscheidung «ein fatales Signal». Sie könne von Engagement abschrecken, sagt er am Montag vor der Presse. Überrascht wirkte er aber nicht. Zum einen habe sich die öffentliche Stimmung gedreht, man werde immer wieder von Parteien wie der CDU, FDP und AfD attackiert. Zum anderen folge der Bescheid auf das Präzedenzurteil des Bundesfinanzhofs gegen Attac. Dass man als Nächstes dran sein könnte, hat man bei Campact schon befürchtet und seitdem vorsorglich keine Spendenquittungen mehr ausgestellt.
Verantwortlich für den «Fußtritt» macht Kolb Finanzminister Olaf Scholz (SPD): «Leider hat das Ministerium die Einzelfallentscheidung zu Attac im Gesetzesblatt veröffentlicht und damit allgemeinverbindlich gemacht. Das ist keinesfalls Usus.»
Campact droht nach eigenen Schätzungen nun eine Nachzahlung der Schenkungssteuer in Höhe von 300.000 Euro. Die Tätigkeiten so umzustellen, dass man den Kriterien der Gemeinnützigkeit wieder entspreche, sei jedoch keine Option. «Wir haben das Glück, dass wir von Menschen unterstützt werden, die relativ kleine Beträge spenden», so Kolb. Rund die Hälfte der Menschen gebe maximal 48 Euro im Jahr, was deutlich unter dem Freibetrag von 20.000 Euro in zehn Jahren liegt.
Mehr Sorgen macht Kolb sich über kleinere Einrichtungen wie etwa den kleinen Musikverein in Ostdeutschland, der sich über seine Satzung hinaus gegen Rassismus einsetzen will. «Auch Vereine mit sehr speziellem Zweck müssen sich zu gesellschaftspolitischen Themen äußern dürfen», fordert Kolb. Außerdem verlangt er eine Klarstellung, dass politische Bildung nicht in «geistiger Offenheit» erfolgen solle, wie es der Bundesfinanzhof im Urteil gegen Attac formuliert hat. «Gerade bei Themen wie dem Holocaust ist dies schwierig.»
Er habe zudem den Eindruck, dass das linksliberale Spektrum strenger behandelt werde. Die Bertelsmann-Stiftung oder der Bund der Steuerzahler seien bisher nicht betroffen, obwohl sie keine gemeinnützigen Zwecke verfolgten. Auch, um der Willkür einzelner Finanzbeamter vorzubeugen, will Campact gemeinsam mit rund 120 anderen Vereinen in der «Allianz für Rechtssicherheit» eine grundsätzliche Reform des Gemeinnützigkeitsrechts erreichen.
Als «gemeinnützig» ergänzt werden sollten in Paragraf 52 der Abgabenordnung Zwecke aus den Bereichen Frieden, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, informationelle Selbstbestimmung, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter«. Auch LINKE und Grüne unterstützten das. Doch Finanzminister Scholz »drückt sich seit Monaten um eine Reform«, kritisiert Kolb.
Im Bundesfinanzministerium kann man auf Nachfrage von »nd« keinen Zeithorizont für eine derartige Reform nennen, betont aber, die Regierung wolle Ehrenamt entbürokratisieren und Engagement stärken. »Zudem hat sich die Koalition vorgenommen, offene W-LAN-Netze (Freifunk) als gemeinnützigen Zweck anzuerkennen«, so die Sprecherin. Ob das SPD-geführte Ministerium auch auf die Anerkennung von Zwecken wie »sozialer Gerechtigkeit« oder »Menschenrechte« hinwirken werde, kann die Sprecherin nicht beantworten.
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