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So weit, so unklar
Das Stimmungsbild bleibt diffus. Tritt das ein, was auch jüngste Umfragen zeigen, wird das Regieren in Thüringen ziemlich schwierig.
Auf der einen Seite ist der grenzenlose Optimismus von Bodo Ramelow. Auf der anderen Seite sind da die Wahlplakate. Denn einerseits lässt der erste linke Ministerpräsident Deutschlands seit Tagen keine Gelegenheit aus, sich völlig entspannt und grenzenlos zuversichtlich zu zeigen. Es werde, sagt Ramelow in dieser oder jenen Variante immer wieder, ganz sicher reichen für eine erneute rot-rot-grüne Koalition im Thüringer Landtag. Je näher der Wahltag heranrückt, desto vehementer beteuert Ramelow das.
Andererseits aber zeigen die Wahlplakate überall im Freistaat, dass dieser Wahlausgang ein unglaublich knapper werden wird; falls das Ergebnis überhaupt dazu führt, dass sich daraus eine mehrheitsfähige Regierungskoalition formen lässt. Zuletzt sind nämlich auf den Plakaten genaue Stimmempfehlungen aufgetaucht. Damit die 1,73 Millionen Wähler auch ja wissen, wie sie am Sonntag ihre Stimme abgeben sollen. Denn es wird auf jede Stimme ankommen.
Die SPD beispielsweise, der ein historisches Tief unter zehn Prozent droht, fährt inzwischen ganz unverhohlen eine Zweitstimmen-Kampagne und setzt dabei ganz auf die Strahlkraft ihres im Land ziemlich beliebten Spitzenkandidaten Wolfgang Tiefensee; auch weil man in der Parteizentrale der Thüringer Genossen weiß, dass die Sozialdemokraten in den allermeisten der 44 Landtagswahlkreise kaum eine realistische Chance haben, ein Direktmandat zu erringen. Dass es für eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün knapp werden könnte, liegt vor allem an ihrer Schwäche. Also wirbt die Thüringer SPD inzwischen auf ihren Großplakaten mit dem Zusatz: »Zweitstimme ist Stimme für Tiefensee«.
Anders die CDU: Sie kämpft um beide Stimmen - was auch bei ihr Ausdruck einer Schwäche ist. Denn bislang haben die Christdemokraten noch immer in fast allen Wahlkreisen die Direktmandate geholt, selbst 2014, dem Jahr, in dem ihre 24-jährige Regierungsära im Freistaat vorerst endete. Doch diesmal könnte es für die CDU auch bei vielen Direktmandaten ganz, ganz eng werden. Gerade im Osten Thüringens ist die AfD eine ernsthafte Konkurrenz. In anderen Orten im ländlichen Raum kündigt sich ein Dreikampf zwischen den Kandidaten von CDU, AfD und Linkspartei an. Da für den Direkteinzug in den Erfurter Landtag die relative Mehrheit reicht, könnte hier die LINKE triumphieren, weil sich AfD und CDU gegenseitig die Stimmen wegnehmen. In jedem Fall gilt auch bei der Verteilung der Direktmandate vor diesem Wahlsonntag: alles absolut unklar.
Die jüngsten Umfragen haben das unsichere Bild der letzten Wochen noch einmal bestätigt: Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Insa-Umfrage im Auftrag der Funke-Mediengruppe kann die Linkspartei bei der Wahl mit 28 Prozent der Stimmen rechnen und damit erstmals eine Landtagswahl gewinnen. Die Christdemokraten, die 1990 bis 2014 in Thüringen den Regierungschef stellten - zwischenzeitlich sogar mit absoluter Mehrheit -, kämen wie die AfD nunmehr auf 24 Prozent der Stimmen, die SPD auf 9, die Grünen auf 8 und die FDP auf 5 Prozent. So ähnlich hatten auch andere Umfragen die Stimmung im Land zuletzt wiedergegeben.
Was stets zu der gleichen Aussage führt: Weil alle Parteien Gespräche mit der AfD über eine Regierungsbildung ausgeschlossen haben und CDU und LINKE auch nicht miteinander koalieren wollen, hätte bei einem solchen Wahlergebnis weder eine rot-rot-grüne Koalition noch ein Bündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP eine Mehrheit im Landesparlament. Diskussionen gibt es deshalb auch über eine Minderheitsregierung, quasi als Allparteienbündnis gegen die AfD von Björn Höcke. Dafür müsste die CDU eine LINKE-geführte oder die LINKE eine CDU-geführte Koalition tolerieren, was derzeit ziemlich unwahrscheinlich erscheint. Ramelow hat noch einen weiteren Einwand gegen eine Minderheitsregierung, in der alle irgendwie dabei sind, außer der AfD: »Das würde Höcke nur in die Hand spielen. Wir sind die Systemparteien, und die AfD ist die Opposition.«
In Thüringen gibt es keine Frist für die Regierungsbildung. Der Ministerpräsident bleibt so lange geschäftsführend im Amt, bis ein neuer gewählt ist. Für 2020 gibt es bereits einen beschlossenen Haushalt. Doch danach? Wie es in Thüringen weitergeht, wird deshalb maßgeblich davon abhängen, ob die FDP wieder in den Landtag kommt. Schafft sie es, ist eine rot-rot-grüne Mehrheit im Parlament sehr unwahrscheinlich. Bleibt sie draußen, könnte es ganz knapp reichen für eine zweite Amtszeit von Bodo Ramelow.
Was die Liberalen auch wissen: Auf den Großplakaten ihrer jüngsten Serie steht deshalb gleich dreifach deutlich zu lesen, damit es wirklich jeder begreift: »Das Zünglein an der Waage. Kleines Kreuz, große Wirkung! FDP wählen, Rot-Rot-Grün beenden.« Es dürfte an wenigen Tausend Stimmen hängen.
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