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Die Uhren gehen jetzt anders
Das Wahlergebnis könnte Parteien zusammenbringen, die sich bislang nicht sonderlich nahe standen
An dem Tag, an dem die Thüringer einen neuen Landtag gewählt haben, sind die Uhren zurückgestellt worden. Weil die Sommerzeit zu Ende ging und die Winterzeit begonnen hat. Dass auch politisch betrachtet die Uhren im Freistaat nun anders gehen, das ist klar. Anders, weil das rot-rot-grüne Regierungsbündnis ausgerechnet in dem Land, in dem diese Konstellation das erste Mal umgesetzt worden ist, seine Mehrheit verloren hat. Doch wie die Uhren im Land von nun an ticken werden, ist nach wie vor völlig unklar.
Aus der Vielfalt der Stimmen wird immerhin eines deutlich: Es spricht vieles dafür, dass es im rot-rot-grünen Lager eine Bereitschaft dafür gibt auszuloten, ob - und wenn ja unter welchen Bedingungen - eine Minderheitsregierung im Freistaat gebildet werden könnte; wobei alle Details absolut unklar sind. Selbstverständlich ist das nicht, denn vor allem in den Reihen von Sozialdemokraten und Grünen hatte es vor der Wahl große Bedenken gegen eine solche Option gegeben. Zu instabil, war stets das Argument dagegen. Vielleicht wurde dies auch aus der wahlkampftaktischen Überlegung heraus gesagt, möglichst viele Menschen dazu zu bewegen, ihr Kreuz bei einer Partei aus dem rot-rot-grünen Lager zu machen, damit es erst gar keine Notwendigkeit für eine Minderheitsregierung gibt. Diese Überlegung ist bekanntlich nicht aufgegangen.
Und so kündigen am Tag danach nicht nur Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) und seine Genossin Susanne Hennig-Wellsow als Landesparteivorsitzende an, sie würden mit allen »demokratischen Parteien« Gespräche über Koalitions- und Zusammenarbeits- und Regierungsoptionen führen. Auch Thüringens SPD-Vorsitzender Wolfgang Tiefensee zeigte sich offen für eine Minderheitsregierung. Am Sonntagabend hatte er schon gesagt, dass er sich stabile Verhältnisse in Thüringen wünscht. »Stabil heißt für mich, dass wir Entscheidungen fällen können« - was bei einer Minderheitsregierung, die sich durch eine weitere politische Kraft tolerieren ließe, möglich wäre, wenn auch mit großen Unsicherheiten verbunden.
Zurückhaltend zu Überlegungen bezüglich einer Minderheitsregierung äußerten sich dagegen die Grünen; wohl auch, weil vor allem führende Thüringer Vertreter der Partei mit dem eigenen Abschneiden bei den Wahlen unzufrieden sind. Mehrere grüne Spitzenpolitiker kritisierten die erhaltenen 5,2 Prozent der Zweitstimmen hinter vorgehaltener Hand als »Katastrophe«, »Klatsche« oder »wahnsinnige Enttäuschung«. Die Partei könne nun nicht einfach so weitermachen wie bisher, hieß es. Dabei wirkt das Schweigen der Grünen bezüglich einer Minderheitsregierung umso lauter, weil inzwischen sogar die Thüringer Liberalen andeuten, die würden sich zumindest Gesprächen über ein solches Modell nicht verweigern. »Eine Minderheitsregierung wäre eine Herausforderung für die Demokratie, aber die Wähler würden dann auch wieder sehen, dass Demokratie tatsächlich im Parlament stattfindet«, sagte der FDP-Spitzenkandidat der Wahl, Thomas L. Kemmerich, noch am Sonntagabend. Zwar schloss er tags darauf ein »Bündnis« oder eine »Koalition« oder eine »Tolerierung« einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung aus. Doch er bekräftigte, die FDP sei bereit, mit einer Minderheitsregierung über Sachfragen wie etwa die Reduzierung des Unterrichtsausfalls im Land zu verhandeln.
Parteipolitisch und demokratietheoretisch betrachtet sind all diese Überlegungen aber nichts im Vergleich mit der Debatte, die am Sonntagabend in der Union begonnen hat. Nachdem die CDU nämlich erst 2018 auf einem Bundesparteitag in Hamburg jede Form der Zusammenarbeit mit der Linkspartei und der AfD ausgeschlossen hatte, will nun ausgerechnet der Thüringer CDU-Parteivorsitzende Mike Mohring mit Ramelow darüber sprechen, was aus dem Wahlergebnis für den Freistaat folgt - was meint, dass er, der immer wieder aufs Schärfste gegen »die Linkskoalition« gewettert hatte, über eine mögliche Zusammenarbeit mit Ramelow sprechen will. Zwar betonte Mohring am Montag, es gehe hier um eine etwaige Zusammenarbeit mit Ramelow, nicht mit den LINKEN. Doch ist diese Unterscheidung freilich eher theoretischer Natur.
Mohring zeigte sich am Sonntag auf der Wahlparty seiner Partei noch auffallend demütig und sprach davon, dass die CDU auch künftig für das Wohl des Landes arbeiten werde. Doch im ARD-»Morgenmagazin« wurde er am Folgetag deutlicher: »Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht«, sagte er - und deutete an, auch gegen den Widerstand aus der CDU-Bundeszentrale an diesem Kurs festhalten zu wollen. »Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen nützlich ist.« Aus diesen Worten spricht auch viel Frust Mohrings über die Bundesspitze der Partei.
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