Johnson will Neuwahlgesetz durchpeitschen

Bislang keine zwei Drittelmehrheit für Neuwahl / Boris Johnson bringt neues Gesetz ein

  • Lesedauer: 4 Min.

London. Der britische Premierminister Boris Johnson will an diesem Dienstag ein Gesetz für eine vorgezogene Neuwahl am 12. Dezember durchs Unterhaus bringen. Das kündigte die Regierung am Montagabend an. Mit dem Kniff will Johnson die eigentlich für eine vorgezogene Parlamentswahl notwendige Zustimmung von zwei Dritteln aller Abgeordneten umgehen. An der Hürde war Johnson am Montag inzwischen zum dritten Mal gescheitert.

Johnson spekuliert dabei auf die Unterstützung der kleineren Oppositionsparteien. Die Liberaldemokraten und die Schottische Nationalpartei SNP hatten signalisiert, dass sie auf diesem Wege einer Wahl am 9. Dezember, also etwas früher als Johnsons Vorschlag, zustimmen würden. Die größte Oppositionspartei Labour lehnt eine Neuwahl derzeit ab, eine Zweidrittelmehrheit ist für Johnson damit unerreichbar. Für die Verabschiedung des Gesetzes wäre eine einfache Mehrheit jedoch ausreichend. Spekulationen in britischen Medien zufolge könnten sich beide Seite womöglich auf einen Termin dazwischen, am 10. oder 11. Dezember, einigen.

Johnson führt eine Minderheitsregierung an und muss im Streit über den EU-Austritt um jede Stimme kämpfen. Er braucht daher dringend einen Wahlsieg. »Dieses Parlament kann das Land nicht mehr länger in Geiselhaft nehmen«, sagte Johnson nach der Abstimmung am Montag.

Der Gesetzentwurf soll nach dem Willen der Regierung alle drei Lesungen bereits am Dienstag durchlaufen, wie der Vorsitzende des Unterhauses, Jacob Rees-Mogg, ankündigte. Ob sich Liberaldemokraten und die SNP darauf ohne Weiteres einlassen werden, scheint jedoch zweifelhaft. Beide Parteien wollen den EU-Austritt eigentlich verhindern. Sie dürften Bedingungen für ihre Zustimmung stellen. Von einem etwas früheren Wahltermin erhoffen sie sich offenbar bessere Chancen durch die Stimmen von mehr Studenten, da diese dann noch keine Semesterferien haben. SNP-Fraktionschef Ian Blackford forderte während der Debatte am Montag, das Wahlalter von 18 auf 16 Jahre zu senken. Junge Briten gelten als sehr viel proeuropäischer als ihre Eltern und Großeltern.

Der Wortlaut des Gesetzentwurfs sollte am Dienstag veröffentlicht werden. Er werde »extrem kurz, einfach und begrenzt in seinem Umfang sein«, so Rees-Mogg. Als Zugeständnis der Regierung gilt, dass es vorerst keinen weiteren Versuch geben soll, das Ratifizierungsgesetz für das Austrittsabkommen durchs Parlament zu bringen. Die Liberaldemokraten und die SNP wollen in eine Wahl gehen, bevor der EU-Austritt vollzogen ist.

Wenige Stunden vor der Abstimmung am Montag hatte sich die Europäische Union auf eine flexible Brexit-Fristverlängerung (»Flextension«) um bis zu drei Monate geeinigt. Damit folgten die bleibenden 27 EU-Staaten einer Empfehlung von EU-Ratschef Donald Tusk. Demnach soll der EU-Austritt spätestens am 31. Januar erfolgen. Er ist aber auch eher möglich, wenn eine Ratifizierung des Austrittsabkommens vorher gelingt.

Die Entscheidung für die »Flextension« fiel am Montag bei einem Treffen der EU-Botschafter in Brüssel. Der Einigung zufolge sind weitere Verhandlungen über das Austrittsabkommen ausgeschlossen. Zudem wird festgelegt, dass Großbritannien für die kommende EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen einen Kommissar nominieren muss. Die EU-Staaten rufen London dazu auf, sich während der Verlängerung in einer »konstruktiven und verantwortungsvollen Weise« zu verhalten.

Johnson nahm die Verlängerung am Abend in einem Schreiben an Tusk widerwillig an. Er war gesetzlich dazu verpflichtet. »Ich muss meine Sichtweise klar machen, dass diese ungewollte Verlängerung der britischen EU-Mitgliedschaft unsere Demokratie und die Beziehung zwischen uns und unseren europäischen Freunden beschädigt«, schrieb Johnson in dem Brief an Tusk. Er warnte die EU zudem vor einer weiteren Verschiebung.

Die Scheidung Großbritanniens von der EU war ursprünglich schon für den 29. März vorgesehen, wurde aber im Frühjahr zweimal verschoben. Auch Johnsons Vorgängerin Theresa May kam mit ihrem in Brüssel vereinbarten Brexit-Deal im Parlament nicht durch.

Johnson war gesetzlich verpflichtet, den Antrag auf Verlängerung zu stellen, weil es ihm nicht gelungen war, sein überarbeitetes Brexit-Abkommen rechtzeitig durchs Parlament zu bringen. Das Parlament verschob die Entscheidung darüber, bis das entsprechende Ratifizierungsgesetz verabschiedet ist. Doch auch damit blieb Johnson stecken.

Der Premierminister schickte den Antrag auf Verlängerung ohne Unterschrift nach Brüssel, begleitet von einem zweiten Schreiben, in dem er deutlich machte, dass er keine Verschiebung will. Zuvor hatte er einmal betont, er wolle »lieber tot im Graben« liegen, als eine Verlängerung zu beantragen.

Die Briten hatten vor über drei Jahren - im Sommer 2016 - in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. dpa/nd

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