Werbung

US-Repräsentantenhaus erkennt Völkermord in Armenien an

Parlament beschließt außerdem harte Sanktionen gegen die Türkei wegen dem Angriff auf Nordsyrien

  • Lesedauer: 4 Min.

Washington. Das US-Repräsentantenhaus hat die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges mit überwältigender Mehrheit als Völkermord anerkannt. Die entsprechende Resolution wurde am Dienstag (Ortszeit) mit 405 zu 11 Stimmen angenommen. In seltener Einmütigkeit stimmten sowohl Demokraten als auch Republikaner für den Beschluss. Darin heißt es, die USA würden den Völkermord an den Armeniern anerkennen und die Tötung von 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich verurteilen. Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches erklärte am Mittwoch, die Regierung und das Volk hielten die Resolution für »völlig null und nichtig«.

Die Türkei gesteht zwar den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Krieges zu, weist aber die Einstufung als Völkermord strikt zurück. Während des Ersten Weltkrieges waren Armenier systematisch verfolgt worden und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern.

Die Sprecherin der Parlamentskammer, Nancy Pelosi, begrüßte das Votum des Repräsentantenhauses: »Heute hat eine überwältigende überparteiliche Mehrheit dafür gesorgt, dass die Wahrheit für immer in das Kongressprotokoll aufgenommen wird«, twitterte sie. Zu oft sei die tragische Realität des Völkermords an den Armeniern geleugnet worden.

Das türkische Außenministerium erklärte dagegen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge, die Resolution sei offenbar »für den inländischen Konsum verfasst und herausgegeben« worden und habe keine »historische oder rechtliche Grundlage«. Sie sei rechtlich nicht bindend und ein »bedeutungsloser politischer Schritt«. Sie richte sich nur an die armenische Lobby und anti-türkische Gruppen. Ankara bestellte zudem den US-Botschafter David Sattersfield wegen der Resolution ein.

Parlament beschließt Waffenexportverbot

Für die Einbestellung des US-Botschafters gab es noch einen zweiten Grund. Das US-Repräsentantenhaus hat Dienstagnacht ebenfalls scharfe Sanktionen gegen die Türkei verhängt, die deutlich über die kurzzeitig von US-Präsident Trump verhängten Maßnahmen hinausgehen. Auch hier zeigte sich parteiübergreifende Einigkeit. Der Beschluss wurde mit 403 Ja-Stimmen verabschiedet, nur 16 Abgeordnete stimmten nicht zu, die meisten davon Republikaner. Nur die Demokratin Ilhan Omar stimmte dagegen. Sie hatte in einem Meinungsartikel in der Washington Post zuvor erklärt, sie lehne Sanktionen als ineffektiv ab.

Laut den neuen Sanktionen sind die meisten Waffenexporte aus den USA in die Türkei künftig verboten. Auch andere Länder sollen für Waffenverkäufe an den Bosporus sanktioniert werden. Außerdem werden auch Sanktionen gegen führende türkische Funktionäre, die an dem Angriff auf Nordsyrien beteiligt waren, ausgesprochen. Zudem wird die staatliche Halkbank, die zentral für die Wirtschaft der Türkei ist, auf eine schwarze Liste aufgenommen.

Das US-Außenministerium wird darüber hinaus angewiesen, das Einkommen und die Vermögenswerte des türkischen Präsidenten Erdogan und seiner Familie zu schätzen. Laut dem »Protect Against Conflict by Turkey Act« soll Trump auch gezwungen werden, die Sanktionen, die vom US-Repräsentantenhaus schon vorher wegen des Kaufs des russischen Flugabwehrsystems S400 ausgesprochen worden waren, tatsächlich zu verhängen.

Ob die Sanktionen aber im Senat zur Abstimmung kommen und wenn es dazu kommt, eine Mehrheit dafür stimmen wird, ist unklar. Zwar arbeiten derzeit mehrere Demokraten und Republikaner in der oberen Parlamentskammer an entsprechenden Gesetzesprojekten, doch Mehrheitsführer Mitch McConnell hatte Sanktionen in der vergangenen Woche als »letztes Mittel« bezeichnet. Der Republikaner will offenbar den NATO-Alliierten Türkei nicht verärgern.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf den USA via Twitter unterdessen vor, die »antiquierte Resolution« sei Rache für die türkische Militäroffensive in Nordsyrien. »Kreise, die glauben, dass sie sich auf diese Weise rächen werden, irren sich.«

Durch die Militäroffensive gegen kurdische Kämpfer in Nordsyrien hatten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stark verschlechtert. Das türkische Militär war mit verbündeten Rebellen am 9. Oktober in Nordsyrien einmarschiert. Ankara betrachtet die Kurdenmiliz YPG als Terrororganisation. Für die USA waren die von der YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte ein wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Der Abzug von US-Truppen aus Nordsyrien hatten den Einmarsch der Türkei erst möglich gemacht.

Der Deutsche Bundestag hatte im Juni 2016 in einer Resolution ebenfalls von Völkermord an den Armeniern gesprochen. Das hatte zu einer massiven Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen geführt. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte die Resolution als für ihre Regierung rechtlich nicht bindend. Auch Frankreich, Russland, die Schweiz und die Niederlande und mehr als ein Dutzend weiterer Staaten werten das Blutbad an den Armeniern als Völkermord. Die Südkaukasusrepublik Armenien fordert seit langem von der Türkei, die Gräueltaten als Genozid anzuerkennen. dpa/nd

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!