Linke Querulantin Ilhan Omar: Angriffe, Armenien und Antisemitismusvorwürfe

Ilhan Omar trollt ihre Kritiker und wird hart angegriffen, auch weil sie außerhalb des Mainstreams der US-Politik steht

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 9 Min.

Ist Ilhan Omar eine dieser Demokratischen »Mavericks« wie Barbara Lee oder Tulsi Gabbard? Ist sie nur eine Unverstandene, ihrer Zeit voraus, steht sie am Ende auf der richtigen Seite der Geschichte? Oder ist sie nur nervig, aber wichtig im Sinne des politischen Pluralismus in der Linken? Ist sie nur ein Fall fehlgeleiteter Identitätspolitik, hat sie ein Distanzproblem zum Erdogan-Regime oder ist sie gar Antisemitin? Tatsächlich ist die Sache komplizierter. Die somalisch-amerikanischen Politikerin ist eine ambivalente Figur und manche ihrer Kritiker machen es sich zu einfach.

In den USA ist der »Maverick«, der politische Einzelgänger, ein wichtiger Teil der Politiklandschaft, die sonst von Fraktionszwang und Lagerdenken geprägt ist. Im Land der »unbegrenzten Möglichkeiten« ist der Korridor des Sagbaren meist eher eng. Das sogenannte Overton-Window, die allgemein gültige Moral oder die politisch akzeptablen Positionen im Parteipolitiksystem, wird nur selten verschoben.

Der neueste Maverick, der an der Erweiterung des Feldes des Sagbaren arbeitet und deswegen hart angegangen wird, ist Ilhan Omar. Die 2018 ins US-Repräsentantenhaus gewählte Politikerin, die mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg aus Somalia geflohen war, stimmte Ende Oktober als einzige Demokratin bei der Armenien-Resolution des US-Kongresses mit Enthaltung. Mit überwältigender Mehrheit von 405 zu elf Stimmen benannte der Beschluss den Völkermord an den Armeniern 1915 durch türkische Truppen als solchen klar.

Jahrelang hatten türkische Diplomaten zuvor die Verabschiedung einer solchen Resolution in den USA erfolgreich mittels Lobbykampagnen verhindert. Trumps-Rückzug von Amerikas Unterstützung für die Truppen des SDF in Nordsyrien und der damit einhergehende Verrat an den Kurden, sorgten für Wut unter Republikanern und Demokraten. Deren Abgeordnete wollten sich in diesem politischen Moment auf die richtige Seite der Geschichte stellen. Das bereitete den Boden für die politisch eigentlich überfällige Armenien-Resolution. Die hatte man bisher vermieden, um den NATO-Partner Türkei nicht zu verärgern.

Politischer Opportunismus war denn auch ein Teil der Rechtfertigung von Omar für ihr Abstimmungsverhalten. Sie fühle sich »nicht gut dabei« die Armenien-Resolution als »Hebel in einem geopolitischen Konflikt« zu benutzen. Statt den politischen Moment zu nutzen und mit ihren Kolleginnen einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, schob Omar hinterher, man müsse zunächst vor der eigenen Haustür kehren. Man solle gleichzeitig andere »Massenabschlachtungen, wie den transatlantischen Sklavenhandel und den Genozid an der indigenen Bevölkerung der USA« verurteilen.

Ein klassischer Fall von »Whataboutism«

Diese Begründung war ein Ausdruck antiimperialistischer Realitätsferne und von scheinbar prinzipienfestem Pazifismus, von leerem Idealismus und ideologischem Puritanismus. Es war eine Position, die den Kurden in Nordsyrien wahrscheinlich geraten hätte, statt pragmatisch US-amerikanische Hilfe und Waffen anzunehmen, Kobane mit Weltrevolutions-Flugblättern oder Apellen an die derzeit handlungsunfähige, weil nun einmal blockierte UN, zu verteidigen. Doch damit hätte man praktisch den Kampf verloren.

Wer die Verurteilung von Sklavenhandel und Genozid an den US-Indigenen trotz besseren Wissens, dass es dazu derzeit keine Mehrheiten gibt, als Bedingung vorschiebt, will Symbolpolitik betreiben. Dass es Omar um ein »Nachtreten« gegenüber den Kollegen, um eine Überlegenheitsgeste von einer, die es schon vorher besser wusste, die verächtlich auf die »Widerstandskämpfer der letzten Stunde« blickt, geht, legen Tweets der Abgeordneten nahe. In denen erklärt Omar, in der »Substanz« unterstütze sie die Resolution. »Wir sollten Menschenrechtsverletzungen nicht nur anprangern, wenn es gerade unseren politischen Zielen nützt«, so Omar. Soweit so, so harmlos, so normal links, wenn auch vielleicht taktisch und diskursstrategisch dämlich in der konkreten Situation vor einem breiten Publikum, das die Gründe für die Enthaltung wenig interessierten.

Zusätzlich bediente sich der US-Kongress am Abend der Armenien-Resolution eines Standardwerkzeugs US-amerikanischer Außenpolitik und verhängte Sanktionen gegen die Türkei, vor allem gegen hochrangige Funktionäre des Erdogan-Regimes. Bei dieser Abstimmung beließ es Omar nicht beim Quasi-Nein der Enthaltung, sondern stimmte mit »Nein«. Schon vorher hatte sie ihre Ablehnung von Sanktionen in einem Meinungsbeitrag für die »Washington Post« erklärt. Diese würden vor allem die Zivilbevölkerung treffen. Auch das ist eine in linken Kreisen gängige Argumention. Doch der entsprechende Satz in ihrem Statement zur Ablehnung der Resolution als geopolitischer Spielball enthielt auch den Verweis auf den »akademischen Konsens«. Innerhalb der internationalen, nicht von türkischen Staatsinteressen beeinflussten Geschichtswissenschaft besteht schon seit Langem Einigkeit darüber, dass der Fall Armenien als Genozid einzustufen ist.

Akademischer Konsens und türkische Propaganda

Auch der Halbsatz zum »akademischen Konsens« wurde missverstanden von denen, die nicht genau hinguckten oder ihn missverstehen wollten, weil es ihre Aufgabe als Betroffenenvertreter ist, oder weil es gut in die identitätspolitisch-ideologische Brille, in ihre Abneigung gegenüber Omar passt – Vertreter der armenisch-amerikanischen Gemeinde etwa oder taz-Journalistinnen in Deutschland. Der Vorwurf: Omar würde türkische Propaganda-Argumente über einen angeblich fehlenden wissenschaftlichen Konsens zu Armenien verbreiten.

Trotzdem: Die Erklärung Omars (der akademische Konsens an sich und nicht der aktuell geopolitisch günstige Moment hätte einziger Grund für die Verabschiedung sein müssen) kommt von einer Profi-Politikerin, die eigentlich wissen müsste, das diese nicht durchdringen wird. So blieb in der Öffentlichkeit der Eindruck bestehen, Omar sei quasi eine Marionette türkischer Interessen.

Dazu passt, dass Halil Mutlu, Vorsitzender der Türkisch-Amerikanischen Steuerungskommittees TASC und laut türkischen Medien Erdogan-Cousin, im September 1500 US-Dollar an Omars Kampagne spendete. Ebenfalls scheinbar verdächtig: Auf der jährlichen Gala der Organisation war auch Omar anwesend und ließ sich mit Mutlu fotografieren. Doch auf der TASC-Veranstaltung war auch die Demokraten-Abgeordnete Elaine Luria, Ex-Navy-Kommandeurin und außenpolitische Falkin anwesend. Auch sie posierte mit Mutlu. Es war normale Beziehungspflege in Washington, man redet eben mit vielen Menschen. Überflüssig zu erwähnen: Luria wirft niemand vor, ein verlängerter Arm der türkischen Propaganda zu sein.

Auch der implizit erhobene Vorwurf der monetären Beeinflussung von Omar erscheint bei näherer Betrachtung übertrieben. Omar hat als medial stark sichtbare und kontroverse Figur, als eine der Lieblinge der Graswurzellinken landesweit, allein im dritten Quartal 2019 rund 1,1 Millionen Dollar eingesammelt. Die kamen überwiegend von Kleinspendern, wie die Anzahl der Spender zeigt: rund 76.000. Tatsächlich hat Omar in einem bereits im US-Repräsentantenhaus verabschiedeten Gesetzesprojekt zur Reform der Wahlgesetzgebung im Land einen Anhang untergebracht, der schärfere Regeln für ausländische Lobbyisten im Land vorsieht.

Linke Politik und eine anderes Verhältnis zu Israel

Vor allem aber ist Identitätpolitik (für Muslime) – ob nun »missglückte« wie im Fall der Armenien-Resolution – nur ein kleiner Teil von Omars Politik, wenn auch einer, mit dem sie sich in den Worten des »The Nation«-Journalist David M. Perry immer wieder selbst ein Bein stellt. Ansonsten stimmt sie zuverlässig mit dem linken Flügel der Demokraten im Parlament. Ein Blick in ihren Twitter-Feed zeigt, wofür sie sich sonst einsetzt: Frauenrechte, einen »Green New Deal«, die Abschaffung von Studiengebührenschulden, die Förderung von Gewerkschaften und Gewerkschaftern – alles solide linke Themen eben.

Und vielleicht war die Armenien-Resolution auch ein Art von Offline-Gegentrollen einer Abgeordneten, die wie kaum eine andere Parlamentarierin von rechts mit Hasskommentaren angegriffen wird. Eine weitere Stichelei gegen die linke Korrektheit ihrer Kritiker erlaubte sich Omar letztes Wochenende bei einem Wahlkampf-Auftritt des US-Präsidentschaftskandidaten ihrer Wahl: Bernie Sanders. Sie sei »begeistert«, rief sie im Williams-Stadion in Minneapolis zehntausend jubelnden Sanders-Anhängern zu, einen Präsidenten zu unterstützen, der gegen den »westlichen Imperialismus« kämpfen werde.

Wie Sanders setzt sich auch Omar für eine Abkehr der traditionellen Demokratenpolitik der bedingungslosen Israelsolidarität ein. Anders als der jüdische Senator aus Vermont unterstützt sie aber auch die Boykottbewegung BDS, wenn auch eher moralisch und politisch als praktisch, weil sie die Wirksamkeit der Kampagne bezweifelt. Vor allem das ist der Grund, warum in vielen Zeitungsartikeln über Omar Nebensätze wie dieser stehen: Sie habe einen Tweet verfasst, »der von vielen als antisemitisch interpretiert wurde«. Warum das so sei, wird mittlerweile nicht mehr erklärt. Es bleibt der Eindruck, das die erklärte Unterstützerin einer Zweistaatenlösung eben eine Antisemitin sei.

Der Hintergrund: Anläßlich ihrer Wahl holten Kritiker 2018 einen Tweet Omars aus dem Jahre 2012 hervor. Damals diente sie noch als Abgeordnete im Staatsparlament von Minnesota und hatte empört auf den Gazakrieg reagiert: »Israel hat die Welt hypnotisiert, möge Allah die Menschen aufwecken und ihnen helfen, die teuflischen Dinge, die Israel tut, zu sehen«. Sechs Jahre später entschuldigte sich Omar nach öffentlicher Kritik, mit dem Tweet »unbewusst« antisemitische Bilder verwendet zu haben.

Wer unbedingt wollte, konnte auch Anfang des Jahres in einer Omar-Bemerkung in einer Twitter-Diskussion mit dem linken Investigativjournalisten Glenn Greenwald Antisemitismus erkennen. Dabei ging es über den Einfluss der Lobbygruppe American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und ihre Spenden an einflussreiche US-Demokraten. »Es geht nur ums Geld«, twitterte Omar.

Neue Vorwürfe

Auch am Wochenende gab es wieder neue Antisemitusmusvorwürfe gegen die Politikerin. Angesichts der Ankündigung des New Yorker Ex-Bürgermeisters und Milliardärs Michael Bloomberg eventuell in letzter Minute ins Rennen um die Nominierung der US-Demokraten zur den Präsidentschaftswahlen einzusteigen, gab es eine Debatte um den Einfluss von Milliardären in der US-Politik. Auf die Nachricht, dass US-Milliardär Leon Cooperman die Kandidatur Bloombergs unterstütze, reagierte Omar mit dem Kommentar: »I wonder why«.

Trotz des Kontexts der politischen Debatte um zu viel politischen Einfluss von Amerikas Reichen, bezeichnete eine »Jerusalem Post«-Redakteurin Omars Bemerkung als antisemitisch, schließlich seien sowohl Bloomberg als auch Cooperman jüdisch. Mehrere Medien griffen dies auf und veröffentlichten weitere Artikel. Der Vize-Präsident der progressiven jüdischen Gruppe »J Street« verteidigte Omar gegen die Vorwürfe: »Diese Art, wie hier ein Antisemitismus-Vorwurf als Waffe eingesetzt wird, ist genau das, was die sehr reale Bedrohung des Antisemitismus untergräbt.«

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