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Der gütige Helfer
Der Fall Scott Warren zeigt die Repression gegen Flüchtlingshelfer in Arizona und den USA
Was vor mehr als einem Jahr an der Südgrenze der USA passierte, könnte jetzt Konsequenzen für den Flüchtlingshelfer Scott Warren haben. Der Prozess gegen ihn geht am heutigen Dienstag weiter. Der Grund: In der Nacht des 12. Januars 2018 kletterten zwei junge Männer über eine Mauer an der mexikanischen Grenze in das Grenzland von Arizona. Einige Tage später klopften sie an die Tür der «Scheune», ein Gebäude der Nichtregierungsorganisation «No More Deaths» außerhalb des 3000-Einwohner-Orts Ajo.
Der 23 Jahre alte Kristian Perez-Villanueva hatte eine lange Reise aus El Salvador hinter sich. Jose Arnaldo Sacaria-Godoy hatte sich im Alter von 21 Jahren von Honduras aus in Richtung der Vereinigten Staaten aufgemacht. Sie hatten die gefährlich Sonora-Wüste im gleichnamigen Bundesstaat im Norden Mexikos durchquert, die trockenste Region des nordamerikanischen Kontinents. Im Gebäude der Nichtregierungsorganisation «No More Deaths» (Keine weiteren Toten«) erhielten sie Essen und Wasser von Warren.
Kurz darauf wurden die drei von Beamten des US-Grenzschutzes verhaftet. Was sie nicht wussten: Mitarbeiter der »Border Patrol« hatten das Gebäude schon seit längerer Zeit überwacht. Was mit den beiden Migranten passierte, ist unbekannt. Scott Warren – und die Anklage gegen ihn - dagegen ist zum Symbol der Repression gegen Flüchtlingshelfer in den USA geworden. Nach seiner Verhaftung durch Grenzschutz-Agenten wurde Warren der »Verschwörung zur Unterbringung 'illegaler Fremder' und der Verschwörung zur gesetzeswidrigen Beförderung von Migranten« angeklagt.
Es ist nicht das erste Mal, dass der große schlanke Mann mit dem fast schwarzen Pferdeschwanz und den dichten Augenbrauen in Konflikt mit dem Gesetz geraten war. Der 36-Jährige war schon 2017 verhaftet worden, wegen zwei Ordnungswidrigkeiten: Der »Benutzung eines Fahrzeugs in einem Naturschutzgebiet und die Aufgabe persönlichen Eigentums«. Das jedenfalls waren die Vorwürfe gegen den schlacksigen Mann mit dem Baseballcap. Warren hätte mit dem Aufstellen von Wasserkanistern im rauen und sehr trockenen Gebiet des Cabeza Prieta National Wildlife Refuge Migranten geholfen, die bis ins südliche Arizona reichende Sonora-Wüste zu durchqueren.
Die Vorwürfe hätten zu einer Strafzahlung von 5000 Dollar und bis zu sechs Monaten Gefängnis führen können. Vor Gericht argumentierte Warren, seine Handlungen seien durch den »Religious Freedom Restoration Act« von 1993 gedeckt. Er habe erklärt, sein Verhalten sei motiviert »durch die tiefreligiöse Überzeugung, dass alles Leben heilig ist und das er sich ‚verpflichtet‘ gefühlt habe, den Migranten zu helfen«, berichtete der »Tuscon Sentinel«. Laut der Zeitung gab es im Prozess bisher drei Verhandlungstage. Bis heute gibt es kein Urteil.
Warren hatte zwei Jahre zuvor mit einer Dissertation über das Grenzgebiet um Ajo, wo er auch selbst lebt, seinen Doktortitel in Geografie erworben und danach an seiner Alma Mater, die Arizona State University, gelehrt. Im Zuge seiner Forschung im Grenzgebiet fand er die Leiche eines Migranten in der Wüste und war kurz danach zum Freiwilligen und Aktivisten geworden. Warren schloss sich der 2004 gegründeten Gruppe »No More Deaths« an.
Die war von den Anführern lokaler Glaubensgemeinden gegründet worden, darunter der katholische Bischof Gerald Kicanas, der presbyterianische Priester John Fife und Mitglieder der jüdischen Community. Ziel der Organisation: Die Anzahl der toten Migranten in Arizonas »Borderlands« zu reduzieren. Dazu stellten die Aktivisten Wasserkanister auf der Route der Migranten auf, versuchten auch medizinische Hilfe zu leisten. Auf der Suche nach Hilfebedürftigen durchkämmten sie die Wüste mit dem Auto oder zu Fuß. Die gemeinnützige Organisation koordinierte auch bereits existierende Arbeit von anderen Gruppen wie »Humane Border«, die »Samariter« und andere religiös-motivierte Freiwillige. Dazu betrieb »No More Deaths« auch ein Gebäude, von den Aktivisten auch »Scheune« genannt. Hier trainierte die Organisation ihre Aktivisten und veranstaltete Treffen. In der Hütte lagerten auch Nahrungsmittel, Wasser und Medizin.
Kritiker sehen die erneute Verhaftung von Warren 2018 als Vergeltungsaktion des Grenzschutzes. Einige Stunden vorher hatte »No More Death« das Büro der Border Patrol in Tucson informiert, man werde einen Bericht herausgeben, der die Zerstörung von tausenden Gallonen Wasser durch Beamte des Grenzschutzes dokumentiert, die von Hilfsgruppen in der Wüste deponiert worden waren. Am diesem Abend sollte zudem ein Bericht im Lokalfernsehen zum Verhalten der Border Patrol-Agenten ausgestrahlt werden.
Mit der Anklage gegen Warren geht die US-Regierung gegen die Praxis von Aktivisten vor, die so an der Südgrenze der Vereinigten Staaten dafür sorgen wollen, das weniger Migranten bei der Überquerung der Grenze umkommen. Das hat den Flüchtlingshelfern von »No More Deaths« neue Aufmerksamkeit gebracht und einige motiviert, andere aber abgeschreckt. Die Organisation muss seitdem mehr Ressourcen in juristische Auseinandersetzungen investieren.
Am 11. Juni dieses Jahres fand der erste Verhandlungstag im Prozess gegen den Flüchtlingshelfer statt. Nach der Anhörung nutzte der Collegeprofessor die Aufmerksamkeit, um unter dem Schatten einiger Bäume nahe des Gerichts in Tucson auf die Situation an der Grenze und die der zwei Männer aufmerksam zu machen, denen er damals geholfen hatte.
»Seit meiner Verhaftung im Januar 2018 wurden mindestens 88 Leichen im Ajo-Gebiet der Arizona-Wüste gefunden. Wir wissen, dass dies nur eine Mindestanzahl ist und dort draußen noch viel mehr sind, die nicht gefunden wurden.« Warren verlas zudem eine kurze Rede. »Der Plan der Regierung in dieser humanitären Krise? Politische Maßnahmen, die Menschen ohne Papiere und Flüchtlinge und ihre Familien kriminalisieren, Strafverfolgung von humanitärer Hilfe, Güte und Solidarität«.
Am ersten Verhandlungstag war der Schleuservorwurf gegen Warren fallengelassen worden. Obwohl vier Geschworene im Sinne der Anklage entschieden, befanden acht andere, Warren sei unschuldig. Doch der Vorwurf der Unterbringung der Migranten bleibt bestehen. Darüber sollte am Dienstag verhandelt werden.
Eine Verurteilung könnte ihm einen bis zu zwanzigjährigen Gefängnisaufenthalt bescheren. Die US-Bundesstaatsanwaltschaft bot ihm – wie im US-Justizsystem üblich – einen Vergleich an. Das Verfahren würde eingestellt, wenn sich Warren zur minderschweren Ordnungswidrigkeit der »Hilfe und Begünstigung der Einreise ohne Prüfung« schuldig bekennt. Doch das lehnte der Flüchtlingshelfer ab. Deswegen steht er wieder vor Gericht.
Übersetzung: Moritz Wichmann
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