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Remis in der Wahlheimat
Trainer Dirk Schuster führt Aue im 1000. Pflichtspiel des FC Erzgebirge zu einem 1:1 beim Karlsruher SC
Dirk Schuster hat ganz offensichtlich nicht lange gebraucht, um sich als neuer Trainer Aues in der alten, neuen sächsischen Heimat einzuleben. Der gebürtige Karl-Marx-Städter, der seit Mitte der 90er Jahre und seiner aktiven Zeit beim KSC in Karlsruhe wohnt, grüßte die versammelte Journalistenschar am Montagabend nach dem 1:1 beim Karlsruher SC mit einem kernigen »Glück auf«. Der für Bergbauregionen wie Gelsenkirchen oder Aue gängige Gruß klingt im Badischen eher exotisch. Doch das steigerte in der Wahlheimat des einstigen Verteidigers nur den Respekt vor einem Coach, der in der letzten Dekade auch beim KSC immer mal wieder im Gespräch gewesen war.
Schuster, der sich als Cheftrainer beim SV Darmstadt 98 von 2012 bis 2016 sowie von 2017 bis 2019 als stoischer Verfechter eines noch stoischeren Defensivfußballs erwies und im Offensivspiel vor allem auf lange Bälle setzte, überraschte bei der Zweitligapartie in Karlsruhe mit einer ganz anderen Vorgehensweise. Aue spielte bis zur Roten Karte für Jan Hochscheidt mutig und flott nach vorne und hatte im Vergleich zu den limitierten Karlsruhern die bessere Spielanlage, die bessere Technik und das höhere Tempo.
Hätte der KSC mit Benny Uphoff nicht seinen besten Mann im Tor gehabt, es hätte nach einer halben Stunde auch 0:3 für die Gäste aus dem Erzgebirge stehen können. Doch Pascal Testroet in der 18. Minute und Dimitrij Nazarov fünf Minuten später scheiterten am KSC-Keeper. Stattdessen stand es zur Halbzeit 0:1 - sehenswert erzielt durch Hochscheidt nach sieben Minuten, eingeleitet mit einem grandiosen Zuspiel von Florian Krüger: Aues Routinier Hochscheidt erlief den Schnittstellenpass, umkurvte Uphoff und schob den Ball über den Umweg des Innenpfostens aus denkbar spitzem Winkel ein. Diejenigen unter den rund 250 mitgereisten Auer Fans, die das Ganze aus rund 150 Metern Luftlinie Entfernung hatten sehen können, dürften sich noch mehr gefreut haben als diejenigen, denen nur die Kenntnis der zwischenzeitlichen Führung reichte, um jede Menge Endorphin auszuschütten.
Nach einem Foul von Hochscheidt an Marco Thiede ertönte nach 41 Minuten dann erstmals aus der Karlsruher Kurve der Evergreen: »Und ihr macht unseren Sport kaputt!« Wie die meisten Ultragruppen fordern auch die vier Karlsruher Sektionen der aktiven Fanszene ein Ende des Videobeweises - konsequenterweise auch, wenn er ihrem Team einen Vorteil bringt. Der Kölner Videokeller hatte erstmals interveniert, woraufhin Schiedsrichter Sven Waschitzki den Auer vom Platz stellte. Von der Tribüne hatte der unabsichtliche Tritt gegen Thiedes Achillessehne tatsächlich übel ausgesehen, doch selbst der Gefoulte fand nach der Partie, dass es eine gelbe Karte auch getan hätte.
Logischerweise änderte sich danach die Dynamik des Spiels. Zehn Auer verteidigten gegen elf Karlsruher ebenso konzentriert wie hartnäckig und verzichteten auf jede Offensivaktion. Chancen hatte nun fast nur noch der KSC - und das meistens nach Standards. »Wir haben mit allem, was wir in der Pipeline hatten, dagegengehalten und uns allen Widerständen entgegengestemmt«, sagte Schuster, der viel Lob für seine Mannschaft parat hatte. Während der Partie hatte er sie immer wieder vehement von der Seitenlinie aus angefeuert, aber auch kritisiert, beides bevorzugt mit wild kreisenden Armbewegungen.
Der Rest ist aus Auer Sicht schnell erzählt: Der Gegentreffer zum 1:1 fiel nach 64 Minuten durch Anton Fink. Und als Referee Waschitzki meinte, das Spiel mit einem Elfmeter für Karlsruhe wegen eines angeblichen Fouls von Sören Gonther an Marvin Pourié entscheiden zu müssen, intervenierten die Kölner Videoschiedsrichter in der 83. Minute erneut. Der Elfmeter wurde kurz darauf annulliert. Es blieb beim 1:1 und einem überraschenden Zwischenzeugnis für eine Auer Mannschaft, die das Spiel womöglich gewonnen hätte, wenn es mit elf gegen elf zu Ende geführt hätte werden können.
Der FC Erzgebirge belegt am Ende des 13. Spieltages Platz fünf und hat mit bislang 20 Punkten schon mehr als die Hälfte dessen beisammen, was am Ende der Saison zum Klassenerhalt reichen dürfte. Der »FC Erzgebirge«? Jawohl. Denn auch wenn sich der Volksmund nach wie vor schwertut: Seit dem 1. Januar 1993 treten die Sachsen unter genau diesem Namen an, die Partie in Karlsruhe war nun das 1000. Pflichtspiel unter der Firmierung, die viele in Aue immer noch als aufgesetzt empfinden. Und so wie die BVB-Fans nach wie vor ins »Westfalenstadion« und nicht in den »Signal-Iduna-Park« gehen, ertönt im Lößnitzgrund vor Anpfiff immer noch der Lobgesang auf »zwei gekreuzte Hämmer und ein großes W«, gefolgt von »das ist Wismut Aue, unsere BSG«. Das wird auch in der kommenden Saison so sein. Und zwar nach Lage der Dinge ebenfalls in der zweiten Liga.
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