S-Bahn sucht den Superbetreiber

Senat beschließt Eckpunkte für die Vergabe von zwei Dritteln des Schnellbahnnetzes / Startschuss für Milliarden-Ausschreibung

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein Vertrag der Superlative: 4,7 Milliarden Euro sollen in die Beschaffung von 1340 S-Bahn-Wagen und die Instandhaltung der Flotte über die geplante 30-jährige Betriebsdauer fließen. Weitere drei Milliarden Euro soll der Betrieb von zwei Dritteln des Netzes für 15 Jahre kosten. Am Dienstag hat der Senat den Beginn des Vergabeverfahrens beschlossen.

»Der Startschuss ist gefallen«, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) bei der Senatspressekonferenz am Dienstag. Mit dem Ausschreibungsprozedere sollen »eine dauerhaft gute Qualität der S-Bahn und angemessene Preise« gesichert werden. Denn: »Alles, was wir zu viel zahlen, können wir nicht in die Qualität stecken«, ist Günther überzeugt.

Möglichst noch dieses Jahr soll die Ausschreibung für die Teilnetze Stadtbahn (S3, S5, S7, S75 und S9) sowie Nord-Süd (S1, S2, S25, S26) starten. Es wird vier Teillose geben. Für jedes der zwei Netze sollen Fahrzeuglieferung und Instandhaltung sowie der Betrieb ausgeschrieben werden. Auf Drängen der Koalitionspartner SPD und LINKE wird jedoch auch die Möglichkeit eingeräumt, dass ein Gesamtangebot aus einer Hand gemacht wird. Das erhält zumindest die Möglichkeit, dass die Deutsche-Bahn-Tochter S-Bahn Berlin GmbH im Ergebnis der Ausschreibung wie derzeit das Gesamtnetz aus einer Hand betreiben kann.

Das Verfahren mit den Teilgeboten soll es Konkurrenten der Deutschen Bahn ermöglichen, ernsthaft zu bieten. Das soll den Auftraggebern Berlin und Brandenburg 800 Millionen Euro über die Laufzeit von 15 Jahren sparen, hat Günthers Verwaltung errechnet. »Wir können die prognostizierten Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich in keinster Weise nachvollziehen und halten die Darstellung für unseriös«, sagt Robert Seifert, Vorsitzender der Betriebsgruppe der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft bei der S-Bahn Berlin. Durch die mögliche Aufteilung auf bis zu vier neue Betreiber befürchtet die EVG vielmehr »deutliche Verschlechterungen für die Fahrgäste bis hin zu völligem Chaos«.

»Wenn ich S-Bahn höre und Chaos: Das war die ganze Zeit ein Unternehmen«, entgegnet Günther mit Blick auf die nach überbordenden Sparmaßnahmen vor zehn Jahren ausgebrochene S-Bahnkrise. Die Senatorin hält die Schnittstellenproblematik zwischen mehreren Betreibern für »überthematisiert«: »Ich sehe, dass sehr viele Schnittstellen problematisch sein können. Aber es ist nicht der Untergang des Abendlandes.«

Die EVG befürchtet vor allem erhebliche Nachteile für die Beschäftigten. »Die Senatorin will mögliche neue Betreiber nur unzureichend zur Übernahme von Personal verpflichten und äußert sich auch zur Frage der Bedingungen lediglich vage«, kritisiert Seifert. Auch das will die Senatorin nicht auf sich sitzen lassen. »Wir haben innerhalb der Koalition alles ausgeschöpft, um bei der Vergabe der Übernahme die Beschäftigten zu sichern«, erklärt sie. »Genau diese Beschäftigten werden gesucht wie Goldstaub, von jedem. Selbst wenn es ein neuer Betreiber werden sollte, werden diese eine gute Perspektive haben«, ist sie überzeugt. Zumal das Land eine Beschäftigungsgesellschaft gründen werde, falls sich abzeichnet, dass Teile des Personals nicht übernommen werden.

1300 Wagen sollen für die beiden Teilnetze beschafft werden, die ersten sollen 2026 fertig sein. Gewünscht ist laut Günther eine »ambitionierte Weiterentwicklung« der gerade in der Erprobung befindlichen neuen Fahrzeuge der Baureihe 483/484 für die Ringbahn. Sie sollen sich leicht zu einem späteren Zeitpunkt für einen autonomen Betrieb umbauen lassen können. Gehören sollen sie dem Land Berlin, genau wie das Grundstück für die geplante neue Werkstatt am Eisenbahn-Außenring an der Schönerlinder Straße in Pankow. »Wir suchen gemeinsam mit dem Land Brandenburg noch einen Standort für das Netz Stadtbahn«, räumt Günther ein.

Um die Ausschreibung starten zu können, muss auch die neue brandenburgische Landesregierung, die sich am 20. November konstituieren soll, mit den Bedingungen einverstanden sein. Das sei nicht risikolos, sagt Günther. »Alles noch mal auf Los zu stellen wäre allerdings ungewöhnlich.« Der Zuschlag in dem Verhandlungsverfahren soll um den Jahreswechsel 2021/22 erfolgen. Ab 2028 bis 2033 soll dann nach und nach der Betrieb übernommen werden.

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