Zaungäste der kapitalistischen Restauration

Thomas Klein über Gründe für die Schwäche der linken Opposition der DDR

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 8 Min.

1989 waren Sie in der DDR Mitbegründer der oppositionellen »Initiative Vereinigte Linke«. Wie kam es dazu?

Eine kleine Gruppe von linken Oppositionellen arbeitete seit Anfang 1989 an einem Projekt, das im September des Jahres in dem Aufruf »Für eine Vereinigte Linke in der DDR« mündete. Der noch unter konspirativen Bedingungen entstandene Appell, bekannt als »Böhlener Plattform«, wandte sich »an alle politischen Kräfte in der DDR, die für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus eintreten«. Die daraus entstandene Initiative fand im Spätherbst 1989 bei linken Oppositionellen sozialistischer, anarchistischer, autonomer, christlicher, rätekommunistischer, antifaschistischer, marxistischer und syndikalistischer Prägung Resonanz. Die Herausforderung war, so unterschiedliche Strömungen der linken antistalinistischen Opposition zu vernetzen und gemeinsam handlungsfähig zu werden.

Zur Person
Thomas Klein, Jahrgang 1948, ist DDR-Oppositioneller, Historiker und Mathematiker. 1989 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Bürgerbewegung »Initiative Vereinigte Linke«. Diese versuchte damals, die linke antistalinistische Opposition zu organisieren. Mit Klein, in der DDR von Berufsverbot und politischer Haftstrafe betroffen, sprach Sebastian Bähr.

Gab es solch eine Vernetzung schon vorher?

Die linke DDR-Opposition war während der gesamten Herrschaft der SED-Politbürokratie permanenter Verfolgung unterschiedlichen Ausmaßes ausgesetzt. Nach der brutalen politischen Vernichtungsauslese in der Zeit des Hochstalinismus waren Linksoppositionelle auch während der poststalinistischen Periode von teilweise langjährigen Haftstrafen, betonharten Berufsverboten, sozialer Diskriminierung und permanentem Ausreisedruck betroffen. Die Zerschlagung ihrer Strukturen konnte jedoch nicht verhindern, dass diese widerständigen Inseln immer wieder von neuem entstanden. Doch die Verstetigung eines strömungsübergreifenden Diskurses und die Stabilisierung jedweder linksoppositioneller Assoziation wurden durch die Herrschenden dauerhaft und nachhaltig unterdrückt. Deshalb stand die linke antistalinistische Opposition 1989 in der DDR ganz am Anfang.

Welches Verhältnis hatte man zu anderen Strömungen der DDR-Opposition?

Obwohl alle neuen oppositionellen Vereinigungen des Herbstes 1989 in ihren Gründungserklärungen mehr oder weniger deutlich die Perspektive eines wirklich demokratischen Sozialismus propagierten, war die »Vereinigte Linke« die einzige, welche einen Zielkatalog konkreter Vorschläge für eine revolutionäre Umwälzung hin zu einem Gemeinwesen sozialistischer Assoziation auf dem Wege basisdemokratischer Selbsttätigkeit zur Diskussion stellte. Diese Vorschläge schlossen die Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse in der DDR gänzlich aus. Die »Vereinigte Linke« forderte zudem als erste Bürgerbewegung am 12. Oktober 1989 den sofortigen Rücktritt des SED-Politbüros und der Regierung. Die Forderung nach der Bildung einer Übergangs-Reformregierung und einem landesweiten politischen Kongress von Betriebsdelegierten war eine deutliche Absage an die SED-»Dialogpolitik von oben« und ein Aufruf zur Gestaltung einer Gegenmacht von unten.

Was war das Ziel?

Das Ziel war, in der DDR nach dem Sturz der herrschenden Politbürokratie mit der Verwandlung von Staatseigentum in Volkseigentum und der Aneignung souveräner politischer Gestaltungsfreiheit des Volkes eine wirkliche Alternative auch zum real existierenden Kapitalismus aufzubauen. Mit dieser Programmatik sah sich die »Vereinigte Linke« jedoch spätestens seit Januar 1990 im Bündnis der Bürgerbewegungen isoliert. Diese sprangen von da an sukzessive auf den »Zug der Einheit« auf oder wanden sich dann ab März 1990 nur noch gegen den Weg der Wiedervereinigung in Form des »Anschlusses« an die BRD.

Konnte die »Vereinigte Linke« in dieser Auseinandersetzung einheitlich auftreten?

Die »Vereinigte Linke« entstand in einem Spannungsfeld zwischen einer antizentralistischen und antiparlamentarischen Strömung, insbesondere autonome und antifaschistische Initiativen, und andererseits Befürwortern parteiförmiger Strukturen wie jenen, die später die Partei »Die Nelken« bildeten. Die eigene Organisierung zwischen diesen Polen stellte sich als schwierig und langwierig heraus. Zu langwierig, um über die Teilnahme an den Runden Tischen und am Wahlkampf zur Volkskammer hinaus wirksam werden zu können. Als sich die »Vereinigte Linke« endlich als basisdemokratisches Bündnis konstituiert hatte, war der »Zug der Einheit« längst in Fahrt gekommen.

Zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 erhielt das »Aktionsbündnis Vereinigte Linke« dann auch nur 0,18 Prozent der Stimmen. Was war passiert?

Nicht nur die Listenvereinigung aus »Vereinigter Linke« und der Partei »Die Nelken«, sondern alle sich inzwischen nach links abgrenzenden Bürgerbewegungen und die aus ihnen hervorgegangenen Parteien sahen sich gegenüber der neuen »Einheitspartei«, der von der West-CDU dirigierten »Allianz für Deutschland«, als Wahlverlierer. Im Herbst 1989 waren alle Bürgerbewegungen noch Motor der demokratischen Revolution gegen die SED gewesen. Danach gelang es jedoch den inzwischen legalen neuen politischen Vereinigungen nicht, als eigenständige, durchsetzungsfähige und politisch glaubwürdige Kräfte in Erscheinung zu treten. Die moralische Autorität der Bürgerbewegungen als »Opposition der ersten Stunde« vom Herbst 1989 war im März 1990 wie weggeblasen. Jene im Herbst 1989 begonnene Diskussion über selbstgestaltete gesellschaftliche Alternativen durchlief so rasch einen Wandel hin zur »Lösung der nationalen Frage«. Statt Souveränität und revolutionärer Umgestaltung die Wiedervereinigung und die D-Mark. Aus »Wir sind das Volk« wurde »Wir sind ein Volk«.

Hatte die DDR-Bevölkerung 1990 einfach genug vom Sozialismus?

Während ihrer 40-jährigen Herrschaft ist der SED-Politbürokratie das gelungen, was die ideologischen Feldzüge des antikommunistischen westlichen Systemkonkurrenten allein nie erreicht hatten: Mit ihrer Politik, versehen mit dem gefälschten Etikett des »Realsozialismus«, hatte sie die Perspektive eines freiheitlichen und demokratischen Sozialismus in der DDR-Bevölkerung - und nicht nur in ihr - nachhaltig diskreditiert. Die »Vereinigte Linke« war sich über diese Situation von Anfang an durchaus im Klaren. Es nützte ihr nichts. Ebenso wenig, wie der Mehrheit der anderen Bürgerbewegungen ihre opportunistischen »Wendemanöver« des Jahres 1990 nützten, nützte es der bockigen »Vereinigten Linken«, dass sie punktgenau voraussagte, was der eingeschlagene Weg der Preisgabe eigener souveräner Gestaltungskraft für fatale Konsequenzen haben würde. Am besten fuhren noch jene Vereinigungen, welche in die Stallungen westdeutscher »Bruderparteien« einzogen. Ihre Anpassungsbereitschaft machte sie aber nur zu Handlangern oder Zaungästen der kapitalistischen Rekonstruktion.

Die Bevölkerung und die Oppositionsgruppen gingen getrennte Wege?

Von den 1970er Jahren bis in die 1980er Jahre hinein gab es in der DDR einen »Sozialvertrag« zwischen der SED und der Bevölkerung, der letztere erfolgreich entpolitisierte und ruhigstellte: Versprochen waren stetiger Zuwachs materiellen Wohlstands und die Duldung kontrollierter individueller Freiräume gegen politisches Wohlverhalten. Die »Kündigung« dieses Vertrags durch die Bevölkerung erfolgte nicht auf der Grundlage oppositioneller Forderungen der Basisgruppen, sondern aufgrund der Unfähigkeit der Herrschaftselite, ihre materiellen Verheißungen einzulösen. Kurzzeitig gab es dann in der Herbstrevolution ein Fenster vermeintlicher Identität von Oppositions- und Bevölkerungsprotest gegen die SED. Die oppositionellen Minderheiten konnten sich an die Spitze des Protests stellen und diesen zur Revolte ausweiten.

Wieso war diese Zusammenarbeit nur kurzzeitig?

Die Verbindung war aber nur äußerlich, da sich hier ganz verschiedene Präferenzen ausdrückten: Die Prioritäten der oppositionellen Gruppen der 1980er Jahre waren die Herstellung von Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit innerhalb eines Prozesses umfassender Demokratisierung und Ökologisierung der Gesellschaft sowie die Solidarität mit der Zweidrittel-Welt. In der Mehrheitsbevölkerung hatten Versorgungssicherheit und Reisefreiheit den Vorrang. Die Opposition war mehrheitlich unfähig, den »Sinn« der hier aufscheinenden sozialen Frage zu begreifen – namentlich bei der VL fällt dies besonders ins Gewicht. Die alten konsumistischen Verheißungen der DDR-Bürokratie wurden dann in der Systemkrise zu neuen materiellen Verheißungen im Gewand der »Allianz für Deutschland« und ihrer angekündigten blühenden Landschaften. Der »Anschluss« vollzog sich dann als von der politischen Klasse des Westens dirigierte markt- und profitgesteuerte Transformation der Wirtschaft und der Lebenswelt des Ostens. Die Treuhand-Politik wurde zum Sinnbild dieses Prozesses. Die politischen und ökonomischen Konsequenzen daraus resultierender eingefrorener und eskalierender Widersprüche sind nicht erst heute in aller Deutlichkeit zu besichtigen.

Wie bewerten Sie das generelle strategische Vorgehen der VL?

Der erste schwere Fehler war die Teilnahme an Hans Modrows »Regierung der nationalen Verantwortung«, in welcher den Bürgerbewegungen die Hände gebunden werden sollten. Der sofortige Rückzug aus dieser Regierung wegen Modrows wortbrüchigem Alleingang »Deutschland einig Vaterland« machte die Sache auch nicht besser. Die »Vereinigte Linke« hatte letztlich auf die Selbsttätigkeit der Massen gesetzt, die nicht durch Stellvertreterpolitik kanalisiert werden sollte. Anstatt an dem Erfahrungsprozess auf der Straße und in den Betrieben teilzunehmen oder diesen Protest zu organisieren, hatte man sich aber lediglich darauf fokussiert, politisch für diesen zu werben.

War die Teilnahme am Runden Tisch die richtige Entscheidung?

Die »Vereinigte Linke« sprach sich im Oktober 1989, anders als die anderen Oppositionsgruppen, vergeblich für einen Runden Tisch der Opposition aus. Von diesem aus hätte man die SED und die sich langsam von ihr emanzipierenden Blockparteien herausfordern können, anstatt sich mit ihnen zu verständigen. Trotzdem war die Teilnahme daran richtig, denn der Runde Tisch erwies sich dann häufig als erfolgreiche Kontroll- und Mobilisierungsinstanz angesichts des fragwürdigen Regierungshandelns der Modrow-Regierung.

Hatte die »Vereinigte Linke« neben einer sich demokratisierenden SED/PDS überhaupt eine Chance?

In dem Maße, wie sich SED/PDS und später die PDS zum unwiderruflichen Bruch mit dem Stalinismus und einer umfassenden Demokratisierung bekannten, gab es Annäherungen eines Flügels innerhalb der »Vereinigten Linken«, die sogar bis zu Beteiligungen an offenen Listen reichten. Doch die Bindungskräfte der verunsicherten SED-Mitglieder an ihre Parteiheimat, die unerfreulichen Überlebenspraktiken auch ihres erneuerten PDS-Apparates und die weitreichende Unterminierung der antistalinistischen Lippenbekenntnisse in der Folgezeit erwiesen deutlich, dass solche Annäherungen von Anfang an illusorisch waren. Der Kollos PDS erdrückte weitgehend die emanzipatorischen Impulse. Ebenso blieben aber auch die Erwartungen des anderen Flügels innerhalb der »Vereinigten Linken«, das Bündnis mit den Bürgerbewegungen im wiedervereinigten Deutschland auf oppositioneller Basis zu erneuern, überwiegend fruchtlos.

Wie ist die vollzogene Wiedervereinigung letztlich zu bewerten?

Die Niederlage der emanzipatorischen Kräfte und damit der Abbruch des herbstrevolutionären Prozesses mündete in den Anschluss der DDR an die BRD gemäß dem westdeutschen Grundgesetz. Die Wirtschaft und die Lebenswelt des Ostens durchliefen in der Folge eine markt- und profitgesteuerte Transformation – eine Rekapitalisierung, dirigiert von der politischen Klasse des Westens. Der rabiate Privatisierungs- und Deindustrialisierungsprozess im Interesse des westdeutschen Kapitals machte den Osten zum Labor und Pilotprojekt neoliberaler Neuordnungsexperimente, die dann auch im Westen praktiziert werden sollten. Namentlich diente die Anschlusspolitik dann auch der Vorbereitung des größten Sozialabbaus der Nachkriegsgeschichte in Gestalt der rot-grünen Agenda-Politik der Regierung Schröder-Fischer. So konnte auch in Deutschland nachholend die bereits in Westeuropa und den USA praktizierte neoliberale Strukturneuordnung mit dem deutschen Wiedervereinigungsprozess erleichtert und beschleunigt werden.

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