Letzte Spuren der Sowjetsoldaten

Stadtführung mal anders: Der Park Babelsberg als Schauplatz der Weltgeschichte.

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein schmaler Betonpfeiler, nicht mehr als einen Meter hoch, ragt auf einer grünen Wiese aus dem Boden. »Das ist eines der wenigen Überbleibsel der DDR-Grenzanlagen im Park Babelsberg«, sagt Holger Raschke. Hier, erklärt der Guide, stöpselten Soldaten ihre Telefonkoffer an, um bei ihren Patrouillen mit dem nächsten Kommandoturm Kontakt aufzunehmen. Die heutige Grünanlage an der Havel war der wohl bestbewachte Park in der DDR - mit mehreren Zäunen, Hundelaufanlage, später auch Signal- und Selbstschussanlagen.

Heute ist davon fast nichts mehr zu sehen: Säuberlich gemähte Wiesen, fein modellierte Hügel, kleines und großes Schloss, ein malerischer Blick auf Wasser, Wald und die Skyline von Potsdam. Der Park lädt mit einer ganzen Reihe kulturlandschaftlicher Höhepunkte zum Flanieren ein. Die weltgeschichtliche Bedeutung der Grünanlage werden jedoch die wenigsten Besucher*innen bemerken - die verbliebenen Spuren von Zweitem Weltkrieg, Kaltem Krieg und DDR-Zeit sind für Unkundige nur schwer zu erkennen.

Tipps

Berlins Taiga: Stadtführungen in Berlin, Potsdam und Eisenhüttenstadt – zu Fuß, mit dem Kleinbus UAZ Buchanka, per Kanu oder Fahrrad. Individuell organisierte Touren zum sowjetischen Erbe in der Region buchbar.

Kontakt: www.berlinstaiga.de

Das versucht Holger Raschke zu ändern. Mit seiner Tourismus-Agentur »Berlins Taiga« bietet er Ausflüge in Berlin und Brandenburg an - zum sowjetischen Erbe. Denn: Was sich zwischen 1945 und 1994 in der Region zugetragen hat, habe ganz besondere Spuren hinterlassen, so Raschke. Der Tourismusmanager referiert historisches Wissen, er füllt seine Spaziergänge aber vor allem mit Anekdoten und persönlichen Erinnerungen.

Der Park Babelsberg ist dabei so etwas wie sein Wohnzimmer. »Ich bin hier um die Ecke im Schatten der Mauer groß geworden - geboren in Babelsberg, aufgewachsen im größten Plattenbauviertel Potsdams, im klassischen WBS 70 im fünften Stock«, erzählt der 37-Jährige an einem milden Herbsttag am Eingang zur UNESCO-Weltkulturerbestätte. Von der Anhöhe am Griebnitzsee ist der Fernmeldeturm auf dem Schäferberg zu sehen. »Ich habe mich immer gefragt, warum wir nicht dorthin konnten. Die Antwort war simpel, aber für mich als Kind nicht leicht zu verstehen: Der Turm stand in einem anderen Land - in Westberlin«, sagt Raschke.

Die kindliche Faszination für eine sonderbare Welt, wie Raschke seine damalige Umgebung aus Mauer, abgeschirmten Militärobjekten und sowjetischen Soldaten beschreibt, ließ ihn nicht los. 2017 setzte er sie in seinem Ausflugsangebot im Rahmen von »Berlins Taiga« um. Inzwischen bietet er mehr als zehn Touren in Potsdam, Berlin, Eisenhüttenstadt oder zu »lost places« in der Region an - zu Fuß und mit einem UAZ Buchanka, dem sowjetischen Pendant zum VW Bulli. 25 Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus der DDR begeht und befährt Raschke viele Orte, deren Geschichten erzählenswert sind.

Im Park Babelsberg bedeutet das einen Marsch durch die Epochen. Zunächst beleuchtet Raschke die Entstehung der Residenz für Prinz Wilhelm, den späteren ersten deutschen Kaiser, und erläutert, wie die damals prägenden Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné und Hermann von Pückler-Muskau im 19. Jahrhundert den Park grundlegend gestalteten. Dann geht es weiter mit der strategischen Bedeutung des Gebiets am Ende des Zweiten Weltkrieges. Weil sich der Park zwischen dem Potsdamer Stadtzentrum und Berlin befindet und zudem auf einer Anhöhe liegt, habe es hier noch im April 1945 heftige Kämpfe zwischen Roter Armee und Wehrmacht gegeben. Das bezeugen heute ein paar Bäume, erklärt Raschke und zeigt auf Einschusslöcher im Stamm und Einritzungen, die vermutlich Soldaten am »Tag des Sieges«, am 9. Mai, hier hinterließen. Auch nach Kriegsende stand die Grünanlage im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit - mit der Potsdamer Konferenz im Schloss Cecilienhof. Der Park Babelsberg lag genau zwischen Tagungsstätte und Wohnort der Delegationen um Harry Truman und Josef Stalin. Die beiden Granden waren samt ihrer Delegationen im Villenviertel am Griebnitzsee untergebracht.

Wenige Hundert Meter weiter langt die Tour vor drei Studentenwohnheimen an - und damit in der DDR-Zeit. Denn der nördliche Teil des Parks beherbergte auch eine Richterschule, die nach dem Krieg zur Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften »Walter Ulbricht« umfunktioniert wurde. Diese Kaderschmiede der SED umfasste einst weit mehr Gebäude als die drei jetzt noch sichtbaren Blöcke und wurde nach der Wiedervereinigung von der Universität Potsdam weitergenutzt - doch zu sehen sind diese heute nur noch auf alten Luftbildern. Mensa und Vorlesungssäle mussten vor wenigen Jahren dem Rückbau des Parks entsprechend dem preußischen Ursprung weichen.

»Diese Entwicklung sehe ich kritisch«, erklärt Raschke und warnt vor dem Abriss auch der letzten Gebäude, weil es in Potsdam an Wohnraum mangelt, gerade an günstigen Unterkünften für Studierende. »Zudem sind dies spannende Zeugnisse einer kurzen Architekturepoche der DDR, nämlich der Nachkriegsmoderne. Man kann nur hoffen, dass im Fall dieser Laubenganghäuser noch nicht das letzte Wort gesprochen ist«, sagt Raschke mit Verweis auf die aktuellen Architekturdebatten in Potsdam.

Neben der verständlichen, aber nicht verkürzt wirkenden Darstellung der geschichtlichen Abläufe gibt Raschke immer wieder Einblicke ins Hier und Jetzt der Parkgestaltung. So geht es in seiner Führung auch um das fehlende Angebot an Speisen und Getränken am Schloss Babelsberg oder um den Starkregen in den Sommermonaten, der Wege ausgespült hat und dessen teils für Fußgänger gefährliche Folgen noch immer nicht beseitigt sind.

Die Stärke seines Vortrages jedoch liegt in Raschkes Sinn für Details und damit praktisch erlebbar werdenden Spuren der Geschichte im Park. So ist es auf die Initiative des Babelsbergers zurückzuführen, dass bei der jüngst begonnenen Restaurierung des Dampfmaschinenhauses am Havelufer Zeugnisse der DDR-Grenzanlagen gesichert werden sollen. Das Backsteingebäude lag mitten im Todesstreifen. Damit sogenannte Republikflüchtlinge besser zu erkennen waren, wurden die Wände weiß angestrichen. Die Farbe ist verblasst, aber noch deutlich zu erkennen, genauso wie Einritzungen in das Gemäuer - von Grenzsoldaten, wie Raschke vermutet. Solche Spuren sind es, die einen Spaziergang durch den Park Babelsberg mit anderen Augen ermöglichen und die historische Bedeutung dieses Fleckchens Grün bezeugen. Eine spannende Entdeckungstour, die ihren perfekten Ausklang in der Fahrt mit dem Buchanka findet - rumpelnd geht es den Babelsberg hinunter Richtung Innenstadt.

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