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Gelbwesten melden sich zurück
Zum Jahrestag der Sozialproteste in Frankreich kritisieren Anhänger mangelnde Aufklärung von Polizeigewalt
Anlässlich des ersten Jahrestages ihrer Bewegung demonstrierten am Sonnabend landesweit 28 000 Gelbwesten, davon 4700 in Paris. Das ist zwar nur ein Zehntel der 282 000 Menschen, die am 17. November 2018 auf die Straßen gingen, aber dennoch ein Aufschwung, nachdem die Proteste im Laufe der Monate stetig zurückgegangen waren.
Mit den Aktionen am Wochenende wollte der verbliebene Kern der »Gilets Jaunes« deutlich machen, dass sich an den Forderungen und der schwierigen Lage der Bevölkerung im Wesentlichen nichts geändert hat. Umfragen zufolge haben 55 Prozent der Franzosen Verständnis für die Gelbwesten und fühlen sich mit ihnen solidarisch, zwei Drittel von ihnen sind jedoch der Meinung, dass die Demonstrationen nicht fortgesetzt werden sollten.
Immerhin hat die Bewegung durch ihre machtvollen Proteste und Blockaden erreicht, dass die Regierung einen landesweiten Dialog organisieren und die geplanten Reformen abmildern oder verschieben musste. Die Ökosteuer auf Treibstoff und weitere neue Steuern wurden zurückgenommen, Überstundenzuschläge und Renten aufgebessert und einige Sparmaßnahmen gelockert. Insgesamt summierten sich diese Zugeständnisse, mit der die Kaufkraft vieler einfacher Familien gestärkt werden sollte, auf 17 Milliarden Euro. »Ich habe dadurch im Jahr immerhin etwa 250 Euro mehr als vorher«, räumt einer der Demonstranten ein. »Das ist nicht viel, aber ohne unsere Aktionen hätten wir selbst das nicht bekommen. Wir sind entschlossen, weiterzumachen und noch mehr durchzusetzen.«
Viele der Gelbwesten, die auf dem flachen Land an großen Kreisverkehren ihre Lager aufgeschlagen und von Zeit zu Zeit den Verkehr blockiert haben, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, sind verbittert über die gewalttätigen Ausschreitungen eines kleinen Teils. Diese hätten die Gelbwesten als ganze in Misskredit gebracht und dazu geführt, dass sich viele enttäuscht von der Bewegung abwandten. Das trifft zum Beispiel auf Jacline Mouraud zu, deren Video im Internet mit einer flammenden Klage über die explodierenden Benzinpreise der Auslöser der Proteste war. »Ich habe ihnen nach der blinden Gewalt Anfang Dezember in Paris den Rücken gekehrt«, erinnert sie sich in einem Fernsehinterview. »Mit diesen Ausschreitungen wollte ich nichts zu tun haben.«
Auch am vergangenen Sonnabend gab es in Paris, wo sich mehrere Hundert Anhänger des Schwarzen Blocks unter die friedlichen Demonstranten gemischt hatten, wieder zerstörte Läden und brennende Autos. Bei Zusammenstößen mit der Polizei wurden 147 Personen vorläufig festgenommen und 129 mutmaßliche Gewalttäter der Justiz übergeben.
Medienberichten zufolge wurden in den vergangenen zwölf Monaten bei Zusammenstößen 2448 Demonstranten und 1797 Polizisten verletzt. Die Anwältin Chloe Chalot, die zwei Dutzend verletzte Demonstranten vertritt, beklagt die flagrante Ungleichbehandlung von Protestierenden und Angehörigen der Ordnungskräfte. So sind in den vergangenen zwölf Monaten rund 10 000 Gelbwesten vorübergehend festgenommen und gegen 5300 von ihnen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Von denen wurden 2000 in Schnellverfahren sofort und weitere 2100 Wochen später vor Gericht gestellt. Dabei wurden gegen 400 Demonstranten Gefängnisstrafen verhängt, die sofort anzutreten waren, 600 erhielten bedingte Haftstrafen und gegen 1260 wurden Geldstrafen verhängt. Dagegen ziehen sich die Ermittlungen gegen 313 Polizisten, die unverhältnismäßiger Gewalt mit zum Teil schweren Gesundheitsschäden für die Opfer beschuldigt werden, seit Monaten hin. Bisher ist in lediglich zwei vergleichsweise banalen Fälle Anklage erhoben worden.
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