• Politik
  • »Toxische Maskulinität«

Rambo und Popeye

Notiz über «toxische Maskulinität» und soziale Hierarchie.

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich hab dich lieb.‹ Das ist so ein Satz, der dem Vater niemals über die Lippen gekommen wäre. Niemals. Mir aber auch nicht. Zumindest nicht ihm gegenüber. Für meinen Vater war das ein Frauensatz. Also war es das auch für mich«: Unlängst hat der Journalist Christian Baron autobiografisch einen Topos zusammengefasst, der im Gespräch über Geschlechterverhältnisse als »toxische Männlichkeit« firmiert. Darunter wird ein Ensemble ansozialisierter, gerade in beiläufigen Alltagshandlungen eingeschliffener Dispositionen verstanden, das männliche Herrschaft ausmache und durchsetze. Jene Unfähigkeit, Gefühle zuzulassen, ist quasi die Mutter dieses Haltungsbündels. Demselben wird eine lange Reihe negativer Features zugerechnet - sexualisierte wie nicht-sexualisierte Aggression, wettbewerbsförmiges Dominanzverhalten, Hierarchiefixiertheit, eine Neigung, Konflikte psychisch oder physisch gewaltsam zu lösen, ein »das Weibliche« verachtender Ethos der Härte.

Der modern klingende Begriff entstammt den Männergruppen der 1980er. Zumal hierzulande waren dort Klaus Theweleits »Männerphantasien« wichtig: Das »toxisch« Männliche, also eine Zuspitzung, in der Mannwerdung gipfele und kenntlich werde, sah man im soldatisch-faschistischen »Körperpanzer« als physio-psychischem Erbstück jenes Freikorpsgeistes, den er untersucht hatte. Heute aber wird der Ausdruck einerseits unspezifischer verwendet: Oft beschreibt er, salopp gesagt, alle Machismen von Herrenwitz bis Femizid. Andererseits aber scheint, seit sich die Auseinandersetzung mit eben jenen Alltagshandlungen verstärkt hat, in denen sich Geschlecht reproduziert, auch dieser »toxische« Typus neu gezeichnet zu sein: Es ist zuvörderst ein grober, ungehobelter Kerl, ein unapologetischer Klotz, ein Brecher mit Bierbauch und lautem Organ, mit dem »Mikroaggressionen« von »Cat Calling« bis »Manspreading« spontan assoziiert sind: der Unterschichtenmann.

Tatsächlich hängt heute akzentuierter Maskulinismus mehr mit Deklassierung zusammen als mit Fantasien von »Stahlgewittern«. Nicht zufällig stammen die eindrücklichsten Schilderungen toxischer Männlichkeit in jüngerer Zeit von Autoren, die von weit unten kommen - Jack Urwin (»Boys don’t cry«, 2017), Édouard Louis (»Wer hat meinen Vater umgebracht?«, 2019) und Christian Baron, dessen Essay »Ein Mann seiner Klasse« bald in Buchform erscheint - und nicht von ungefähr sind das allesamt Männer: Die Übermännlichkeit der Unterklasse richtet sich zwar massiv gegen Ehefrauen, macht sich aber eher Söhne als Töchter zum Opfer. Zudem zeigen diese Berichte, wie sich diese nicht nur individuell gegen ihre Träger richtet - die »harten Kerle« vernachlässigen sich und sterben früh -, sondern auch deren kollektive Unterordnung und somit die Klassenhierarchie stabilisiert. Der subalterne Männlichkeitskult scheinkompensiert, so Raewyn Connell in ihrem Klassiker »Der gemachte Mann«, soziale Machtlosigkeit. Baron berichtet, wie sich der Vater die Kistenschlepperjobs schönredete: immerhin »Männerarbeit«!

Auch wenn die Kerle da unten nicht allen Machismen entsprechen - sie hätten etwa, so Connell, gegebenenfalls wenig Probleme, weniger zu verdienen als die Frau -, gibt es hier nichts zu romantisieren. Diese Maskulinität ist nicht für sich »proletarisch« - sich selbst bewusst -, sondern brutalisierter Ausdruck vereinzelten Elends nach dem Ende des Proletariats als formierter Klasse. So ist sie dem trunkenen Jurastudenten dienstbar, der sie sich ausleiht, wenn er in der Disco Frauen begrapscht - oder dem Mainstreamporno, der Männer einlädt, sich in animalisch kopulierende Muskelkörper zu fantasieren, die er zugleich degradiert. Wichtig ist es aber, die Verschiebung zu registrieren, die sich seit den »Männerphantasien« ergeben hat: Theweleits körpergepanzerter, lust- und empfindungsgehemmter Soldatenmann ist als hypervirile Karikatur nach Art der Comicfigur »Popeye« dorthin abgesunken, wo man von Freikorps nichts weiß, aber John Rambo bewundert. Wer das nicht sieht, läuft Gefahr, einem Popanz aufzusitzen - und gegenüber Rambo und Popeye gerade die Maskulinität zu prämieren, die tatsächlich die Macht hat: Connell nannte sie Anfang der 1990er die »Männer von Vernunft«; inzwischen aber haben sie sich lockergemacht, sind erlebnis- und genussfähig geworden - und nicht selten ein bisschen künstlerisch.

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